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1.618 Leute in einer Stadt verschwinden zu lassen, ist eigentlich ein Kunststück. Besonders, wenn es sich um 1.618 Studenten handelt, die alles andere als verschlafen sein sollten. Doch Bozen als Studentenstadt zu bezeichnen, fällt schwer. Wo sind die schrägen Plakate, die Studentenpartys ankündigen? Wo die wöchentlichen Poetry-Slams? Wo die Demonstrationen für längere Öffnungszeiten der Bars? Warum hört man so selten englischsprachige Gespräche, und warum wird man verständnislos angeschaut, wenn man nach einem Studentenpreis fragt? Trotz dieses anscheinend nicht existierenden Studentenlebens studieren viele Südtiroler in Bozen. Doch warum?
Ich verabrede mich mit einem alten Schulfreund, der an der Uni Bozen Ökonomie und Sozialwissenschaften studiert. Um mir ein klareres Bild von der Universität machen zu können, nimmt er mich zu einer Vorlesung mit und zeigt mir das Universitätsgebäude. An einem Montagabend treffen wir uns vor der Bozner Uni. Es ist bereits dunkel, und die Eingangshalle ist gähnend leer. Francesco geht zu einem Bildschirm und beginnt darauf herumzutippen. „Ich muss nur schnell nachschauen, in welchem Raum wir heute Vorlesung haben“, sagt er und wählt den Kurs „Economia Aziendale“ aus. Raum E422 ist unser Ziel. Ich bin ziemlich erstaunt; einen Touchscreen-Bildschirm habe ich in meiner Uni noch nie gesehen. Während wir durch lange, moderne Gänge gehen, erklärt er mir, dass sein Kurs jede Woche in einem anderen Raum stattfindet. Das ermöglicht es nicht-universitären Gruppen und Vereinen, Räume in der Universität anzumieten. Die Universität will also für alle Südtiroler da sein. Das klingt doch schon mal gut.
Kurz darauf sitzen wir in einem großen, hellen Raum, vom Sitzplatz aus sieht man Jenesien. Um mich herum sitzen etwa 40 Leute; Francesco kennt sie alle. Mehr Kommilitonen gibt es in seinem Studiengang nämlich gar nicht. Es ist die erste Vorlesung der Betriebwirtschaftslehre dieses Jahr, und der Professor aus Trient erklärt, um welche Themen sich der Kurs drehen wird. Die kleine Klassengröße ermöglicht es ihm, seine Vorlesung auf Diskussionen aufzubauen – so etwas gibt es an meiner Universität nur in Seminaren. Auf seine Fragen bekommt er ausnahmslos Antworten, mal in perfektem, mal in etwas brüchigerem Italienisch, wo er freundlich aushilft. Francesco erklärt mir, dass nur sechs der 40 Leute im Raum aus Südtirol kommen. Die meisten Kommilitonen können nur zwei der drei Unterrichtssprachen, also Deutsch, Italienisch und Englisch, auf C1-Niveau, und müssen die dritte erst erlernen.
Ein paar Tage später treffe ich mich wieder mit Francesco, diesmal in der Mensa. Matthias Cologna, ein Kommilitone, ist mit dabei. Die beiden wollen mir erzählen, warum sie in Bozen studieren – obwohl sie als Bozner ihre gesamte Schullaufbahn in der Landeshauptstadt verbracht haben. Francesco wollte zwar schon immer weg, doch dann hat er den Studiengang „Ökonomie und Sozialwissenschaften“ entdeckt. Der war genau das Richtige für ihn, da er seine Vorliebe für Philosophie mit etwas Praktischerem wie Wirtschaftswissenschaften kombinieren konnte. Matthias ging es ähnlich; er ist besonders am Politik-Teil des Studiums interessiert. Auch der ist nämlich Teil dieses Studienganges, den es außer in Bozen nur noch in Oxford, Mailand und Graz gibt.
Doch bleibt nicht alles beim Alten, wenn man in Bozen für sein Studium bleibt? Francesco und Matthias sind sich einig: Das Einzige, was gleich geblieben ist, ist, dass sie noch zu Hause wohnen. „Und auch das finde ich nicht schlimm“, sagt Matthias. „Ich sehe meine Eltern nicht besonders oft. Wenn ich morgens aufstehe, sind sie schon weg, mittags bin ich in der Mensa, und abends sehe ich sie kurz. Ich wohne im Endeffekt mit meinen Eltern in einer Wohngemeinschaft.“ Er grinst. „Ich bin mir sicher, dass viele Mitbewohner viel anstrengender sind als Eltern.“
Francesco erklärt, warum das Leben sich trotzdem komplett verändert: Weil so gut wie alle Schulfreunde außerhalb Südtirols studieren, freundet man sich ohnehin mit neuen Leuten an. Francesco und Matthias sind zwar beide Bozner, haben sich aber erst an der Uni kennengelernt. „Ich glaube, in Bozen ist man eher gezwungen, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen, als in Städten wie Innsbruck, Wien oder Mailand, wo dann die Hälfte der ehemaligen Klasse studiert“, meint Francesco.
Doch etwas muss die zwei Bozner an ihrer Uni doch stören? „Ja, der Name unserer Bibliothek ist ein Witz. An anderen Universitäten ist die nach Einstein oder Gauß benannt, bei uns nach Luis Durnwalder“, sagt Francesco. Verwundert frage ich die beiden nach dem Nachtleben, immerhin wird das als nicht-existent beschrieben – und als größtes Manko der Stadt Bozen. „Alle zwei Wochen gibt es eine Studentenparty. Da wird entweder eine Halle gemietet, wie die Halle 28, das Juwel, das StudioUno in Trient oder einfach die Eingangshalle der Uni, und dort wird dann gefeiert.“ Wieder Verwunderung, davon habe ich noch nie gehört, auch nicht in meiner Zeit als Oberschülerin in Bozen. Francesco lacht und sagt: „Ich wusste vorher ja auch nichts davon! Mein Eindruck ist, dass man als Student in einer Parallelwelt, in einem zweiten Bozen lebt. Wenn du keinen Studenten kennst, dann bekommst du auch nichts von den Partys mit, auch wenn es die alle zwei Wochen gibt.“ Und eine Parallelwelt sei nicht nur das Partyleben, sondern das gesamte Studentenleben.
Die Studenten in Bozen, es gibt sie also doch. Und mit ihnen das Studentenleben. Doch Fragen bleiben: Wie wohnt es sich in Bozens Studentenheimen? Woher kommen die 17 Prozent an ausländischen Studenten in Bozen – und warum sind sie nach Südtirol gezogen, um zu studieren? Dazu bald mehr hier auf BARFUSS.
Infos zu Studentenpartys bekommst du übrigens auch als Nicht-Bozner-Student auf der Facebook-Seite Uni-Party Bolzano/Bozen.
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