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In der momentanen Ausländerpolemik gibt es oft ja nur einen Standpunkt: den unseren. Von unserer einheimischen Warte aus beobachten wir die zunehmende Zuwanderung, tun unsere Meinung dazu kund und empören uns über Gewaltexzesse, die anscheinend immer nur von einer Seite kommen. Wir schreien nach Schutz unserer Traditionen, die wir durch Ausländer zunehmend gefährdet sehen, und sehen unser Tiroler Brauchtum von Schulkindern mit Kopftuch und ohne Deutschkenntnisse bedroht.
Wie es sich auf der anderen Seite der Debatte lebt, als Objekt der Empörung und des gesellschaftlichen Diskurses – davon hört man selten. Wir Einheimischen sind Dreh- und Angelpunkt aller relevanten Themen im öffentlichen Fokus. Das Land sind wir.
Sprache als Makel
Tanja steht auf der anderen Seite. Tanja ist geborene Kubanerin, seit 15 Jahren in Südtirol ansässig und mittlerweile italienische Staatsbürgerin. Seit 13 Jahren arbeitet sie bei meiner Oma im Haushalt. Als Kinder hat sie uns Enkeln ein paar Wörter Spanisch und ein wenig Merengue beigebracht, was die Besuche bei ihr immer lustig machten. Sie erzählte uns von ihrer Heimat Kuba, von ihrer Familie, von einem Land, von dem wir bisher keine Ahnung hatten. Wir hätten sie nie gegen jemanden tauschen wollen, der dieselben Geschichten zu erzählen hat wie wir selbst und alle hier.
Tanja und ich tun nun für einen Nachmittag so, als würden wir eine Wohnung suchen. Wir telefonieren quer durch alle Mietanzeigen der vergangenen Woche und wollen sehen, ob ihr Italienisch mit spanischem Akzent für potentielle Vermieter schon Ausschlusskriterium ist, und ob mein einwandfreier Dialekt dagegen Türen öffnet. Tanjas Italienisch ist so gut wie fehlerfrei, aber man hört am Telefon trotzdem, dass da kein waschechter Südtiroler mit einem spricht. Ob das problematisch bei der Wohnungssuche ist, wollen wir herausfinden.
Die erste Anzeige ist für eine Wohnung in Bruneck: Tanja ruft an: „Buona Sera“, sagt sie und dass sie am Mietangebot interessiert sei. Ob es noch disponible sei? Der Angerufene fragt nach ihrem Namen und woher sie denn sei. „Sono cubana", sagt sie, aber dass sie schon seit 15 Jahren hier wohne und arbeite. Die italienische Staatsbürgerschaft habe sie auch. Ach so, sagt das Gegenüber am Telefon. Leider habe er schon einige Interessierte, eventuell solle sie es in einer Woche nochmal probieren. Danke, pfiati.
Ich rufe mit meinem Handy dieselbe Nummer an. „Grüß Gott“, sage ich in feinstem Südtirolerisch, ich hätte eben die Wohnungsanzeige gelesen. Ich frage, ob das Angebot noch aktuell, oder das Apartment schon vergeben sei. Der Mann sagt (wie zuvor zu Tanja), dass sich bereits einige Interessierte gemeldet hätten. Ach schade, sage ich. Der Angerufene redet aber weiter, da könne man schon trotzdem mal vorbeikommen, fix sei ja noch nichts. Bevor er einen Besichtigungstermin mit mir vereinbaren kann, ziehe ich mich aus der Affäre und sage, ich müsse nochmal überlegen. Das solle ich tun, und mich auch gern gleich auf dieselbe Nummer zurückmelden.
Hätte ich diese Wohnung gewollt, hätte ich zumindest einen Besichtigungstermin erhalten – der Tanja verwehrt blieb.
Unterschiedlich tolerant
Die nächste Wohnung, ebenso im Raum Pustertal: Tanja ruft an, sagt ihre zwei italienisch-spanischen Sätzchen – da ist das Gespräch auch schon wieder vorbei. „Schon vergeben", so der Vermieter und legt auf. Ich bin dran. „Ist die Wohnung denn noch frei?“, frage ich. Aber ja, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung, und ich dürfe gern zur Besichtigung vorbeikommen. Tanja guckt verärgert. Es sei immer so schwierig hier, sagt sie: Arbeit finden, Wohnung finden – alles nicht so einfach, wenn man kein Deutsch spricht. Das Problem sei nicht mal, dass sie eingebürgerte Kubanerin sei. Schon Italienisch sei den Leuten im Pustertal oft zu viel.
Richtung Bozen wird das Nebeneinander der Landessprachen alltäglicher. Das zeigt sich auch bei unseren Anrufen in der Landeshauptstadt: Kein einziges Mal kommt es vor, dass Tanja vorgelogen wird, dass die Wohnung schon vergeben sei. Oft wird bei ihr allerdings kritischer nachgefragt: Woher sie komme, was sie arbeite, mit wem sie gedenke einzuziehen – Fragen, die mir kaum jemand stellt. Ansonsten scheint es aber um einiges einfacher, als Zugezogene nicht deutscher Muttersprache in Bozen eine Wohnung zu finden als in anderen Landesteilen.
Auch unsere Anrufe in Meran sind mäßig spannend, weil grundsätzlich alle sehr freundlich sind, in gleichem Maße zu uns beiden. Tanja freut´s, mich auch. Es ist nicht schön, jemandem dabei zu sehen zu müssen, wie er aufgrund von zwei Sätzen aussortiert wird. Auch ein Anruf in Sterzing verläuft gut. Nach dem miesen Start lässt das hoffen.
Trotzdem begegnet einem beim Lesen der Wohnungsanzeigen vielfach der Zusatz: „Nur an Einheimische“. Der theoretische Grundsatz der Gleichbehandlung, der unter anderem Benachteiligungen aus Gründen der Herkunft verbietet, scheint im privaten Wohnungsmarkt noch nicht angekommen zu sein. So wird etwa auch eine Wohnung im Vinschgau laut Anzeige explizit nur an Einheimische vergeben. Tanja will trotzdem anrufen, sie wohne immerhin seit fünfzehn Jahren hier, della zona sei sie auch, sagt sie kämpferisch. Leider erreichen wir niemanden. Ich hätte gern gehört, wie sie dem Angerufenen ihr Anrecht auf die Wohnung erklärt.
Einheimische werden bevorzugt
Wir rufen noch auf die Annonce einer Wohnung in Klausen an: Auf Tanjas Nachfrage wird ihr kurz und knapp gesagt, dass die Wohnung schon vergeben sei. Ein paar Sekunden später rufe ich an, und siehe da: „Ja, ist noch zu haben.“ Dasselbe gleich darauf in Brixen Umgebung. Hier bemüht man sich immerhin noch um eine Ausrede, warum man gerade eben keinen Besichtigungstermin vereinbaren, aber gern nächste Woche nochmal telefonieren könne. Als ich dann anrufe, ist eine Wohnungsbesichtigung in den kommenden Tagen plötzlich kein Problem mehr.
Noch ein Anruf im Unterland: Während Tanja schnell abgewimmelt wird, sagt man mir nicht nur in aller Freundlichkeit, dass die Wohnung noch frei sei. Auch der Preis sei verhandelbar, und beim Einzugsdatum lässt sich sicher auch was machen. Überaus freundlich, sehr kulant. Ich habe dieses Telefonat auf Lautsprecher geschaltet, Tanja hört alles mit. Irgendwie schäme ich mich für die Freundlichkeit, die mir entgegengebracht wird. Ich habe nichts getan, um diese Vorzugsbehandlung zu verdienen, denke ich, und niemand weiß das besser als die Kubanerin mir gegenüber, die das ganze Haus hier seit 13 Jahren am Laufen hält, während ich bei schönen Besuchen neben ihr die Füße hochgelegt und Kuchen gegessen habe.
Ich gucke sie an. Ihr Groll richtet sich aber nicht gegen mich, bloß gegen die angerufene Vermieterin. „Che stronza“, sagt sie lapidar. Wo sie Recht hat.
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