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Tausende Hühner stehen in einer großen Halle dicht nebeneinander auf dem Boden. Eingepfercht. Viele trampeln sich zu Tode, viele ersticken. Männliche Küken, die unbrauchbar für die Eierproduktion sind, werden vergast oder kommen lebendig in einen Schredder. Sie sind der Abfall der Industrie. Jährlich werden Milliarden Hähnchen für uns „produziert“. Die Zustände in den Schlachthäusern sind oft katastrophal. Neue Bilder flackern über den Bildschirm. Ferkel, die ohne Betäubung kastriert werden. Milchkühe, die Jahr für Jahr Kälber gebären, die ihnen nach der Geburt weggenommen werden. Viele haben durch die Überzüchtung zu große Euter, Entzündungen sind die Folge. Manche können durch das enorme Gewicht der Euter nicht mehr gerade stehen. Ein Leben lang müssen sie diese Tortur ertragen, bis sie am Ende wie die Fleischkühe geschlachtet werden.
Melanie Ezechiele sitzt vor ihrem Computer und starrt fassungslos auf den Bildschirm, auf dem sie gerade wie so oft ein Aufklärungsvideo angesehen hat. „Nach all den Videos habe ich den Glauben an die Menschheit verloren“, sagt sie. Seit ihrem 13. Lebensjahr lebt die junge Frau vegetarisch. Lange Zeit dachte sie, dass es reicht, auf Fleisch und Fisch zu verzichten, um Tierleid zu vermeiden. Jetzt weiß sie, dass das nicht genug ist, um Tieren zu helfen. „Milchkühe leiden noch mehr als Fleischkühe“, sagt Melanie bestürzt. Mit 18 Jahren verzichtet sie auch auf alle anderen tierischen Produkte und lebt seitdem konsequent vegan. Sie isst kein Fleisch, keinen Fisch, keine Eier, keine Milchprodukte und keinen Honig. Auch bei Kosmetik meidet sie diese Inhaltsstoffe. „Dann gehe ich eben in drei Geschäfte, bis ich alles habe. Bei der Naturalia in Meran und bei Lush in Bozen gibt es zum Beispiel viele vegane Produkte“, sagt sie.
Heute, vier Jahre später, sitzt Melanie im Meraner Kunsthaus bei einem Glas Mineralwasser und erzählt über ihre Erfahrungen als Veganerin. Mittlerweile ist sie 22 Jahre alt und arbeitet als Piercerin in Bozen. Sie fällt auf, ihre Körperkunst würden die meisten als extrem bezeichnen: Piercings, Tattoos, Plugs und Brandings. Hinter der hart aussehenden Fassade steckt ein weicher Kern und eine riesige Liebe zu Tieren. „Am Anfang war die Umstellung schwierig“, sagt Melanie. Die Lust auf Fleisch war noch da. Sie war es jahrelang gewohnt, es schmeckte ihr. Das Ekel-Bewusstsein sei erst mit der Zeit gekommen, so Melanie. Sie probierte neue Rezepte aus, wie veganes Gulasch aus Kartoffeln und Räuchertofu oder eines ihrer Lieblingsgerichte: Gemüse-Lasagne mit Nudeln aus Hartweizengries und Béchamel aus Sojamilch und Margarine. Sie findet für alle Gerichte mit Fleisch eine leckere Alternative. Dennoch sei es manchmal schwierig, sich vegan zu ernähren, sagt sie. Vor allem auswärts. „Man ist im Restaurant immer die einzige, die eine Extrawurst ist und wieder nichts findet“, sagt sie.
Mittlerweile entdecken auch einige Restaurants die vegane Küche für sich, wie der Punto Vegetariano in Bozen, wo Melanie gerne isst. Auch beim Chinesen wissen die Köche mittlerweile, wie sie ihr Essen gerne möchte, auch wenn sie am Anfang erklären musste, was Veganismus ist. „Ich esse aber lieber zu Hause. Im Restaurant werde ich mit Fleisch konfrontiert. Ich rieche und sehe es, das ist mir unangenehm“, sagt die Meranerin, die seit einem Jahr glücklich verliebt ist. Ihren Freund Stefan habe sie als Fleischesser kennengelernt, sagt sie und lacht: „Das klingt immer so brutal.“ Von Anfang an stellte sie klar, dass es nur eine Beziehung geben könne, wenn er kein Fleisch isst. Sie hatte bereits eine Beziehung hinter sich, die an den verschiedenen Ansichten gescheitert ist. Stefan war schnell von Melanies Lebensweise überzeugt und lebt seit Beginn der Beziehung auch vegan. „Ich glaube, er wird auch vegan bleiben, er macht es nicht nur für mich“, ist sich die Meranerin sicher.
Melanies 13-jähriger Bruder lebt seit einem Jahr vegetarisch, auch ihre Mutter hat ihre Essensgewohnheiten durch sie ein bisschen geändert. Schwieriger ist es für Melanie, ihre Freunde zu überzeugen. „Es gab viele Streitereien, als ich gesagt habe, dass ich vegan bin“, sagt sie und trinkt einen Schluck Mineralwasser. Viele können es nicht verstehen und die junge Frau stört es, dass Veganer in manchen Augen extrem sind. „Es ist doch viel extremer, wenn man Tiere für eine Mahlzeit umbringt“, sagt sie. Für sie ist es schwer, wenn ihre Freunde gegen ihre Überzeugung sind. Deswegen tun sich Veganer manchmal auch schwer mit sozialen Kontakten, sagt sie.
„Ein Umdenken bei den Leuten dauert noch lange”, räumt Melanie ein. Zu tief sei das Fleischessen in der Gesellschaft verankert. Wir wachsen damit auf und hinterfragen es nicht. „Die Eltern geben uns Fleisch, sagen es ist gesund und wir denken nicht weiter darüber nach.“ Außerdem findet Melanie die Tatsache, dass wir bei den Tieren einen Unterschied machen, makaber. „Unsere Hunde und Katzen lieben wir, aber Kälber und Schweine essen wir“, sagt sie.
Eine vegane Ernährung ist vielfältig, obwohl sich noch immer hartnäckige Vorurteile halten: „Veganer sind Körnerfresser.“ Oder: „Veganer können nichts essen, außer Obst und Gemüse.“ Falsch gedacht. Die amerikanische Ärztegesellschaft sehe die vegane Ernährung sogar als die gesündeste an. Auch Mangelerscheinungen seien ein verbreiteter Irrglaube. Man müsse sich aber natürlich richtig und nicht einseitig ernähren, sagt Melanie. Sie war in den letzten Jahren immer fit und gesund und zwar ganz ohne Vitamine oder Pillen. „Dann kann die Ernährung ja nicht so falsch sein“, sagt sie und lächelt.
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