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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 24.05.2018
LebenFestivals in Südtirol

„Natürliche Selektion“?

Veröffentlicht
am 24.05.2018
Mit über 50 Festivals diesen Sommer kann sich Südtirol eigentlich nicht beklagen. Trotzdem müssen Events wie Rock the Lahn und Love Electro das Handtuch werfen. Warum?
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„Jeder weiß, dass es unmöglich ist, eine neue Location zu finden, deshalb wird es 2018 das letzte Love Electro Festival geben.“ 

Arno Parmeggiani, Love Electro

Die bekanntesten elektronischen Musiker der Welt vor der bombastischen Kulisse der größten historischen Anlage Südtirols. Das ist das Love Electro Festival. Eines der bekanntesten Festivals in Südtirol. In den vergangenen acht Jahren kamen Gäste aus ganz Europa in die Festung, 300 Künstler aus der ganzen Welt sind aufgetreten.

Jetzt ist Schluss.

Mit schwerem Herzen geben die Organisatoren das Erfolgskonzept auf. Das Amt für Museen der Provinz Bozen hat im vergangenen Jahr die Führung der Festung übernommen und mitgeteilt, dass das Festival „nicht in ihr Zukunftskonzept passt“.

„Wir waren alle sprachlos. Seit Jahren gibt es eine tolle Zusammenarbeit mit der Gemeinde, dem Bürgermeister, dem Land und den Sicherheitskräften. In all den Jahren ist nie etwas passiert und eine tolle Szene hat sich entwickelt und jetzt diese Absage“, bedauert Gründer Arno Parmeggiani und meint weiter: „Jeder weiß, dass es unmöglich ist, eine neue Location zu finden, deshalb wird es 2018 das letzte Love Electro Festival geben.“

Mit einem Festival voller elektronischer Musik hat Parmeggiani vor acht Jahren ins Schwarze getroffen. Das Love Electro ist eines der bekanntesten Festivals in Südtirol geworden und war auch im Ausland bekannt. Trotzdem ist jetzt Schluss. Ein Schicksal, das sich das Love Electro mit mehreren anderen Südtiroler Open Airs teilt.


Keine Zukunft: das Love Electro Festival in der Franzensfeste

Full Tension, Rock the Lahn, Sunside, Hofers Rock, Miracle Hill, Rock in Dusty Valley, Final Collapse … Sie alle sind Geschichte. Aber warum? Gibt es in Südtirol zu viele Festivals? Übernehmen sich manche, weil sie zu groß werden wollen oder ist die Schuld anderswo zu suchen?

Südtirol ist ein kleines Einzugsgebiet mit 500.000 Einwohnern. Von Mai bis September finden hierzulande über 50 Festivals statt. Über 500 Bands, DJs und Elektroniker treten auf und über 5.000 freiwillige Helfer sorgen dafür, dass die Besucher ein unvergessliches Wochenende erleben. Und das sind immerhin mehr als 50.000. Von Festivalsterben kann also eigentlich keine Rede sein. In Sachen Festivals und Open Airs ist Südtirol immer noch bunt und vielfältig. Und doch finden viele Festivals von früher mittlerweile nicht mehr statt.

„Natürliche Selektion“, nennt das Philipp Kieser. Für ein Land wie Südtirol gebe es noch immer sehr viele Festivals. Dass da nicht alle ewig bestehen können, sei auch klar. Kieser ist seit Kurzem in der Dachorganisation für Offene Jugendarbeit „netz” für Junge Kultur und Festivals zuständig. Die neu geschaffene Stelle wird vom Amt für Jugendarbeit finanziert – das Land Südtirol will damit Jugendkultur unterstützen und den Organisatoren von Festivals Hilfestellung bieten.

Michael „Töx“ Torggler, einer der Organisatoren vom Rock in Dusty Valley, findet andere Worte als Kieser: „Die Luft ist raus in Südtirol.“ Nach acht Festivals im Sommer fanden im Herbst 2015 und 2016 noch zwei Indoor-Ausgaben vom Rock in Dusty Valley statt bevor endgültig Schluss war.

„Die Luft ist raus in Südtirol.“

Michael Torggler, Rock in Dusty Valley

Karin Husnelder, Andreas Schatzer, LR Achammer und Philipp Kieser (von links) bei der Vorstellung der Aktion #southtyrolmusicfestivals

Die Gründe für das Aus der Festivals sind vielfältig: zum einen die bürokratischen Hürden, zum anderen das finanzielle Risiko und der enorme Aufwand. Kommen dann nicht genug Besucher, um die Kosten zu decken, weil es beispielsweise wie bei Rock in Dusty Valley regnet, stoßen Festivalorganisatoren schnell an ihre Grenzen. Seit zehn Jahren sind Südtirols Festivalorganisatoren in einem Netzwerk zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Pünktlich zum Auftakt der Sommer-Festivalsaison 2018 präsentieren sie gemeinsam die Aktion #southtyrolmusicfestivals, die von der Landesregierung unterstützt wird. Einmal mehr geht es dabei auch um die Koordinierung der Festivaltermine. Kieser erklärt: „Natürlich wird geschaut, dass sich die Daten nicht überschneiden, aber das passiert.“

Wenn die Festivalorganisatoren darüber diskutieren, was denn die Gründe sein könnten, warum einige Veranstaltungen nicht bestehen, fällt schon mal die Aussage, dass 50 Festivals pro Saison vielleicht zu viele für das kleine Südtirol seien und man sich gegenseitig die Besucher wegschnappe. Man versucht sich mit der Einsicht zu trösten, dass eben nicht jedes Festival in einem so kleinen Einzugsgebiet gut besucht sein kann.

Arno Parmeggiani sagt dazu: „Es ist in den letzten Jahren schon etwas viel geworden. Jedes Jugendzentrum hatte gefühlt sein eigenes Konzert, das als Festival vermarktet wurde. Die Leute sind einfach total übersättigt und dementsprechend schwer zu begeistern.“

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Sich verändern. Das fällt vielen Organisatoren nicht leicht.

Der 30-jährige Arno Parmeggiani organisiert seit zehn Jahren Festivals in Südtirol und darüber hinaus. Und zwar nicht als Verein, sondern professionell. Mit seiner Firma entstand vor zehn Jahren in Bozen das Künstlerkollektiv wupwup, das auch ein Plattenlabel und eine Modelinie namens „Tanzen ist auch Sport“ betreibt. 2010 entstand das Love Electro in Brixen, vor sechs Jahren das Crazy Castle Festival am Schlossberg in Bruneck. Alle Events sind Vorreiter in Sachen elektronischer Musik, die mittlerweile einen großen Teil der Südtiroler Festivalkultur einnimmt. Elektronische Musik boomt wie nie zuvor. Elektronische Festivals laufen in Südtirol zurzeit so gut wie früher Rock- und Metalfestivals. Müssen sich die Veranstalter also anpassen?

Philipp Kieser meint ja. Die Gründe, warum ein Festival nicht mehr stattfindet, seien zwar vielfältig. Nicht immer liege es aber nur an der Bürokratie. „Die Festivalorganisatoren dürfen nicht nur ihrem eigenen Geschmack folgen, sondern müssen sich an die jungen Leute anpassen. Dann laufen die Festivals auch. Ansonsten bleiben sie auf der Strecke“, so Kieser.

Sich verändern. Das fällt vielen Organisatoren nicht leicht. Auch Rock the Lahn wollte sich nicht verändern. „Dann wäre es nicht mehr Rock the Lahn gewesen. Wir wollten uns treu bleiben“, sagt Thomas Kobler, Organisator vom Rock the Lahn Festival, das 2017 zum letzten Mal stattfand.

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Seit 2004 gehörte Rock the Lahn zum festen Bestandteil der Südtiroler Festivalszene. Für unzählige Musik- und Open-Air-Liebhaber war das zweite Wochenende im Juni ein Fixtermin. Rock the Lahn wollte stets wachsen und neue Bands nach Meran holen. Der größte Clou gelang den Organisatoren 2015 mit Limp Bizkit.

Schon damals hörte man Stimmen, die vorwarfen, dass sie verrückt seien, Limp Bizkit in eine 40.000-Einwohner-Stadt zu holen. Und in der Tat könnte die Saison mit der berühmten Nu-Metal-Band mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die Organisatoren „goodbye“ sagen mussten. Es ist immer wieder eine Gratwanderung, welche Bands auf ein Festival geholt werden und welches Risiko die Organisatoren damit eingehen. „Die Leute haben es leider nicht so angenommen, wie wir es gerne gehabt hätten“, bedauert Kobler. Das Open Air konnte die großen Kosten nicht decken. 2017 ging es mit dem Line-up zwar wieder einen Schritt zurück, doch der Besucheransturm blieb auch in diesem Jahr aus.

Das besiegelte das Aus für das Festival. In einem langen Facebook-Post verabschieden sich die Organisatoren von ihren Fans, von den Bands und Helfern, die das Musikfestival zwölf Jahre lang unterstützt haben. „Es schmerzt“, sagt Kobler. „Wir möchten auch gar keine Polemik darüber anstoßen, warum Openairfestivals gerade in Südtirol immer öfters die Segel streichen müssen und warum es unter jungen Menschen anscheinend immer weniger Interesse gibt, Live-Bands zu unterstützen, aber wir spüren sehr wohl, dass eine Veränderung der Festivalkultur stattfindet.“

„Es schmerzt.“ 

Thomas Kobler, Rock the Lahn

Seit 25 Jahren erfolgreich: Rock im Ring ist aus dem Festivalkalender nicht wegzudenken.

„Ich finde eine positive Berichterstattung über jene, die es noch gibt, weitaus produktiver als den x-ten Abgesang auf jene, die das Handtuch geworfen haben.”

Martin Stampfer, Rock im Ring

Südtirol ist als Land eigentlich zu klein für große Festivals. Dennoch schreibt das Alpen Flair mit 20.000 bis 30.000 Besuchern jährlich Rekordzahlen für das Alpenland. Das größte Festival Südtirols lockt jedes Jahr zahlreiche Besucher aufs alte NATO-Areal in Natz-Schabs. Vielleicht liegt es daran, dass die bekannte Band Frei.Wild das Festival unterstützt. Vielleicht ist die Bewerbung im Ausland ein Grund. Immerhin reisen sehr viele Besucher aus den Nachbarländern an. Auf jeden Fall läuft das Alpen Flair. Von Krise keine Spur.

Martin Stampfer, einer der Macher von Rock im Ring, kann einer Krise oder einem Sterben der Festivals in Südtirol wenig abgewinnen. „Ich finde eine positive Berichterstattung über jene, die es noch gibt, weitaus produktiver als den x-ten Abgesang auf jene, die das Handtuch geworfen haben. Der Szene ist damit nicht gedient und das motiviert auch potenziell interessierte Jungorganisatoren nicht, das Wagnis einzugehen.” Auch bei Rock im Ring, das 2018 sein 25. Jubiläum feiert und es immer wieder schafft, internationale Bands auf den Ritten zu holen, lief in der Vergangenheit nicht immer alles rund. Aber allen Gerüchten zum Trotz wird die diesjährige Ausgabe nicht die letzte sein.


Arno Parmeggiani

Veranstaltungsorte zu finden, scheint eines der Hauptprobleme für die Events zu sein. Laut Arno Parmeggiani muss man aber auch die Schuld bei sich und dem eigenen Publikum suchen, warum der Ruf der Festivals nicht immer der beste ist und sie Großteils wenig Akzeptanz in der Bevölkerung genießen. „Man muss ehrlich sein und feststellen, dass es Festivalbesucher gibt, die sich nicht benehmen können, den Weg zum Gelände verschmutzen, sich sinnlos vor dem Eintritt zum Festival betrinken und beim Heimweg durch die Gegend schreien.“ Man könne keinem Nachbarn verübeln, hier verbittert zu sein. „Andererseits muss man aber auch feststellen, dass Feuerwehrfeste, Kirchtige oder Dorffeste es hier wesentlich leichter haben. Die unguten Nebeneffekte werden hier oft schweigend akzeptiert. Hier wird sicherlich mit zweierlei Maß gemessen, das war schon immer so“, gibt Parmeggiani zu bedenken.

In der Szene ist man sich einig, dass das Festivalsterben auch mit den Locations zu tun hat. Neben der Festung Franzensfeste wurde auch der öffentliche Safety Park in Bozen nicht mehr für Musikfestivals genehmigt. Bürgermeister, die mehr gegen als für die Veranstalter arbeiten, verängstigte Gemeindereferenten, die mit einem Musikfestival Sodom und Gomorrah befürchten. Südtirol gehen die Veranstaltungsorte aus.

„Feuerwehrfeste, Kirchtige oder Dorffeste haben es in Südtirol wesentlich leichter.“ 

Arno Parmeggiani, Love Electro

Full Tension Festival 2015 in Bozen: Line-up mit AnnenMayKantereit, Bilderbuch und Napalm Death

Beim Full Tension Festival hat es mit der Location geklappt, dafür waren es andere Gründe, die das Festival ins Aus katapultierten. 2013 fand dieses Bozner Festival zum ersten Mal statt, 2015 zum zweiten und bereits zum letzten Mal. Vielleicht lag es am Konzept, das etwas anders war als das der Festivals in Südtirol bisher: es gab keinen Zeltplatz, das Festival fand an drei Tagen statt und jeder Tag war einem anderen Musikgenre gewidmet. Von AnnenMayKantereit bis Bilderbuch, von Napalm Death bis Anti Flag und Juli war dabei alles vertreten.

Tobias „Tobe“ Planer war einer der vier Organisatoren. Im Nachhinein wurde gemeinsam analysiert, warum das Festival nicht gut gelaufen ist. „Es waren pro Tag leider ein paar hundert Leute zu wenig“, sagt Planer. Auf die Frage, ob sie sich übernommen hätten, meint er weiter: „Ja, weil keine Geldgeber, Vereine oder Institutionen dahinter standen und das finanzielle Risiko auf unseren Schultern lastete.“ Zwar versuchten sie wie alle Festivalorganisatoren so vernünftig wie möglich zu kalkulieren, aber ein Restrisiko bleibt immer bestehen. Das Fazit: Full Tension zahlt noch immer eine Restschuld zurück.

„Es waren pro Tag leider ein paar hundert Leute zu wenig.“  

Tobias Planer, Full Tension

Gewisse Festivals haben versucht, sich im Laufe der Jahre anzupassen, mit einer zweiten Stage, mit DJs oder Drum and Bass, um das verwöhnte Publikum zufriedenzustellen. Trotzdem konnten viele nicht überleben. Vor allem im Sektor Rock und Metal sind in den vergangenen Jahren Festivals gestorben. Aber es werden auch jedes Jahr neue Festivals geboren. Denn die Festivalorganisatoren wollen sich nicht unterkriegen lassen und Festivals wie das Alpen Flair und Rock im Ring sind der Beweis dafür, dass auch rockige Festivals noch ankommen und dass es möglich ist, große Events in Südtirol dauerhaft erfolgreich zu organisieren. Aber große Events sind eben auch an ihre Location gebunden. Fällt diese weg wie bei Love Electro wird’s schwierig. „Wir sind ein Unternehmen und wenn wir keine Planungssicherheit haben, müssen wir abbrechen“, begründet Parmeggiani die Entscheidung, das Love Electro 2018 zum letzten Mal zu veranstalten. „Das Love Electro Festival und die Festung Franzensfeste gehören zusammen. Jeder weiß, dass es keine Location in Südtirol gibt, was sollten wir also machen?“

Große Events sind eben auch an ihre Location gebunden.

Fotos (in dieser Reihenfolge):
Rock the Lahn, zukunvt, LPA/Ingo Dejaco, Rock in Dusty Valley, Rock the Lahn, Lars Hagen/Rock im Ring, David Forer, Full Tension, Lars Hagen/Rock im Ring

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