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Hammer, Nagel und Bohrmaschine sind derzeit meine besten Freunde. Ich baue mir ein Nest und hämmere mich Schlag für Schlag dem Stillen einer Sehnsucht entgegen, die uns alle plagt. Die Sehnsucht nach Heimat. Nach der Geborgenheit, die wir in dieser Welt voll von Krisen, Kriegen und Unbeständigkeit doch so sehr suchen. Nach dem Platz, dessen Geruch man kennt und dem man vertraut, weil man daheim auch im Dunkeln noch jeden Lichtschalter findet. Eine Sehnsucht nach diesem bekannten, wohligen Gefühl, das ich kriege, wenn ich im Zug sitze, die Wolken auf dem Brenner hinter mir lasse und die Sonne in mir zu strahlen beginnt, wenn ich nach einer Weile die ersten hügeligen Weinanlagen sehe.
Dieses Gefühl, ist jedoch nicht das einzige, wonach wir Ypsiloner uns sehnen. Dieses innige Verlangen nach etwas, das bereits in der Vergangenheit liegt oder vielleicht doch noch irgendwo in der Zukunft schlummern könnte, reißt ständig ein Loch in unser Herz. Diese Sehn-sucht begleitet uns durch den Alltag. Zufrieden mit der Gegenwart sind wir höchst selten.
Ist es die krisenlastige Zeit, die uns zu dieser Lust auf Nostalgie treibt?
Darum pocht unser Herz auch lauter, als das der Generationen vor uns. Es pocht dagegen an, im Sumpf der Möglichkeiten zu versinken. Es pocht dagegen an, von der Reizflut versenkt zu werden. Es pocht gegen Schnelllebigkeit, Digitalisierung und Instabilität. Viel zu oft hat es dabei Probleme im Rhythmus der modernen Zeit mit zu pochen. Denn Fakt ist: Es darf weder für Menschen noch für Orte zu sehr oder zu lange schlagen. Auf Bindung haben wir nämlich keine Lust. Generation Y heißt, immer Neues zu tun, nie stillzustehen oder Chancen ungenützt zu lassen und vor allem mehr realisieren zu wollen, als die Realität überhaupt fassen kann.
Doch irgendwann kommt bei jedem Ypsiloner der Punkt, an dem er es satt hat, im Fluss der Modernität mit zu schwimmen. Dann, wenn das laute Pochen des Herzens den Rummel des Alltags übertönt und man nicht mehr anders kann, als sich der schreienden Sehnsucht hinzugeben. Normalerweise fliehen wir dann in andere Länder oder kraxeln hoch hinauf in die Berge. Ganz weit weg vom Trubel. Dieses Mal macht sich die Sehnsucht jedoch anders bei mir bemerkbar: Ich stehe auf alte Dinge. Dinge, die Geschichte in sich tragen und die mich in andere Zeiten versetzen, wenn ich sie berühre. Tänze aus den 20ern, Möbel vom Flohmarkt und Autos, die man noch mit einer Haarnadel reparieren konnte. Ich mag diese alten Dinge und kralle mich regelrecht an ihnen fest, so als könnte die Vergangenheit mir sonst entfliehen.
Sie sind einfach echt, während die Authentizität unserer Gesellschaft schon lange verloren gegangen ist. Genauso wie die Fähigkeit Prioritäten zu setzen. Wir wollen alles auf einmal und das am liebsten gleich. Und wahrscheinlich sehnt sich unser Herz deshalb immer öfter nicht nur nach den Dingen vergangener Tage, sondern auch nach deren Langsamkeit und deren Kontinuität. Nach Zeiten, in denen man Momente noch leben konnte und nicht von einem Termin zum anderen, von einem Land zum nächsten und von einem Selfie zum aktuelleren eilte. Und es sehnt sich nach einem gleichmäßigen Rhythmus, der anders läuft als der der modernen Zeit.
Kaputte Autos waren früher genauso gut reparierbar wie Omas und Opas Beziehung. Heutzutage schmeißen wir beide weg.
„Früher war alles noch besser“, würde meine Oma diesen Text nun resümieren. Doch nicht nur sie, sondern auch ich nehme diesen Satz mittlerweile öfter als mir lieb ist in den Mund. Und in einer gewissen Hinsicht stimmt er auch. Früher, als die Möglichkeiten noch geringer waren und man dadurch mit weniger zufrieden war. Früher, als es die große Liebe noch gab und das Wort Scheidungskinder noch keinen Platz im Duden hatte. Früher, als man in Pensionskassen einzahlte und im Alter davon leben konnte. Früher, als Fähigkeiten noch mehr zählten als Noten, die auf formelles Papier gedruckt werden. Früher, ja früher.
Weil ich aber nun mal nicht früher, sondern als Ysi im Hier und Jetzt lebe, gibt es nur eine einzige Lösung: Ich nehme Hammer und Nagel in die Hand, kaufe mir einen Oldtimer und tanze Lindy Hop. Und gehe endlich auf Sehnsuchtsentzug.
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