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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 03.12.2015
LebenDie Südtiroler Punkszene

Für immer Punk

Veröffentlicht
am 03.12.2015
Punk’s not dead? BARFUSS hat drei Generationen Südtiroler Punks getroffen und die Geschichte der Szene hierzulande nachgezeichnet.
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Es ist Anfang der 1990er Jahre. Haimo Perkmann streunt durch Südtirols Gassen und lebt zwischen Jugendlichen mit bunten Iros, Nietenarmbändern und zerfransten Lederjacken. Er bereist Europa und wohnt in besetzten Häusern. In Athen diskutiert er mit Gleichgesinnten, manchmal werden leichte Drogen konsumiert. In Berlin ist es total versifft. Das Parterre ist die Toilette, es gibt Ratten und es stinkt fürchterlich. In Leipzig geht es nüchtern und intellektuell zu, aber auch lebensgefährlich wegen der Nazis. Nach einer gebrochenen Nase verlässt Haimo dieses Haus.

Einnerungen an eine wilde Zeit. „Wir haben einfach Abseits vom Mainstream Spaß gesucht“, sagt Haimo heute nach zehn Jahren in der Punkszene. Seit sieben Jahren besitzt der Vater von zwei kleinen Söhnen eine Textfirma in Meran. Noch heute prägt den 43-Jährigen seine Zeit als Punk.

Haimo Perkmann

„Die Gesellschaft reagierte mit totaler Ablehnung auf uns.”

Haimo Perkmann

Schon in der Mittelschule wird Haimo klar, dass der klassische Mainstream nichts für ihn ist. Im Punk findet er mit 15 eine Randgruppe, die ihn nicht nur politisch interessiert, sondern auch ästhetisch in ihren Bann zieht.

Südtirol ist zu der Zeit „einfach wahnsinnig eng und provinziell“. Ein Grund, warum die jungen Leute selbst aktiv werden. Haimo und seine Punk-Kollegen besetzen Häuser in Südtirol und im Ausland und organisieren ihre eigenen Feten. „Die Gesellschaft reagierte mit totaler Ablehnung auf uns“, sagt Haimo. In Lana haben die aufsässigen, pöbelnden Jugendlichen fast überall Hausverbot.

Aber es gibt auch eine andere Seite: Die Gruppe um Haimo ist politisch sehr interessiert. Sie wollen etwas verändern und demonstrieren – unter anderem gegen die Parteigründung der Freiheitlichen. Und sie werden mehrmals verhaftet. Immer für einige Stunden lang, aufgrund von Protesten, einmal sogar nur wegen eines Nietenarmbands – „Waffenbesitz“.

„Man kann nicht die Gesellschaft ablehnen und gleichzeitig Geld schnorren.“

Haimo Perkmann

„Wir lebten damals mit sehr wenig. Fast schon mönchisch. Mein Vater hat uns immer einen Bettelorden gespottet“, sagt der Mann mit dunklem Ziegenbärtchen und Brille und grinst. 1993 veranstalten die Punks um Haimo die ersten und einzigen „Chaostage Südtirol“. Drei Tage lang sorgen sie im Europaviertel in Bozen für Aufsehen indem sie gegen den Weihnachtskommerz und für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum demonstrieren und schaffen es damit sogar in die Schlagzeilen.

Fast ein Jahr lang verbringt Haimo in Bozen mit Obdachlosen auf der Straße. Dann entdeckt er den Widerspruch: „Man kann nicht die Gesellschaft ablehnen und gleichzeitig Geld schnorren.“ Das Ende seiner Zeit als richtiger Punk. Heute sind seine wilden Zeiten längst vorbei, obwohl der Familienvater immer noch gerne Punk hört. „Die Punkmusik war einfach revolutionär“, sagt Haimo. „Was die oft zusammengeschrien haben …“


In den 80er- und 90er-Jahren war die Punkszene in Südtirol breit gefächert und spielte sich laut Haimo vor allem in Bruneck, Welsberg, Kurtatsch und Meran ab. Aber wie ist die Szene überhaupt entstanden und wie haben sich die Punks im Laufe der Jahre verändert?

Im Oxford Dictionary scheint der Begriff Punk bereits im 16. Jahrhundert auf, als Adjektiv für verdorben und wertlos. „In Zusammenhang mit der Punkszene fällt der Begriff zum ersten Mal in den frühen 70er-Jahren bei der Pre-Punkband Suicide“, sagt Philipp Meinert, einer der zwei Autoren des Buches „Punk in Deutschland – sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven“ und selbst ehemaliger Punk.

„Die Initialzündung für das, was wir heute als Punk verstehen, waren die Sex Pistols.“

Philipp Meinert

Eine feste Definition könne man dem Punk nicht geben. „Punk ist als Subkultur unglaublich heterogen“, erklärt der Berliner, der für das Punkfanzine „plastic bomb“ schreibt. Die Wurzeln liegen in den Nachkriegsprodukten der späten 60er-Jahre in den USA. Im Auslauf der Hippiebewegung entstehen Bands die rauen Garage-Rock spielen, auf der anderen Seite Bands wie The Velvet Underground, eine New Yorker Artrock Band, die bereits gesellschaftliche Tabuthemen bricht.

„Die Initialzündung für das, was wir heute als Punk verstehen, waren aber mit Sicherheit die Sex Pistols in England“, so Meinert. Um 1976 entsteht in London eine große Bewegung. Zu dieser Zeit stehen die Siouxsie and the banshees mit Hakenkreuz-Armbinden auf der Bühne um zu provozieren – typisch für den Punk. Nach Deutschland kommt der Punk um 1978. Der Spiegel von April schreibt damals: „Häßlich geschminkte Jugendliche tragen in Müll-Klamotten, mit Nazi-Insignien und Hundeketten Protest gegen Arbeitslosigkeit und Langeweile in der Industriegesellschaft zur Schau …“

In den späten 70ern hält der Punk auch in Südtirol langsam Einzug, obwohl es zu der Zeit noch keine richtige Punkszene gibt – die Leute wollen sich keiner Gruppe zuordnen. Sie bewegen sich zwischen der Hippieszene, Punk und Reggae, haben aber das für den Punk typisch Rebellische und wollen etwas verändern. Einer von ihnen ist Peter Oberdörfer, heute 55 Jahre alt, Autor, Theatermacher und Präsident der Südtiroler Autorenvereinigung SAV.

Peter Oberdörfer

Peter ist in den späten 70ern Hippie mit einem starken Bezug zum Punk. Er sieht zwar nicht aus wie ein typischer Punk, trägt damals schon lange Haare anstatt buntem Iro, aber er ist politisch engagiert. Und er bekommt die raue Punkszene mit Schlägereien und Randalen hautnah mit. „1980 waren die Ramones in Mailand, da gab es richtige Fights zwischen den Punks“, sagt Peter. Auf einem Konzert in Rimini tanzte ein Typ mit Rasierklingen in den Händen „Pogo, ok. Aber das ging zu weit. Das habe ich am Punk immer kritisiert“, sagt Peter.

1983 entstehen in Meran die sogenannten „Müsli-Punks“ – eine Gruppe, die zwar den Look der Punks übernehmen und Punkmusik hören, aber denen das „no future“-Gehabe zu destruktiv war. „Sie wollten kritisch sein, waren aber extrem unpunkig“, sagt Peter und lacht.

Er geht zu dieser Zeit nach Berlin und kommt in Kontakt mit einer Horde von 30 Punks. „Es war wie ein Indianerstamm“, so der kreative Mittfünfziger, der wahnsinnig fasziniert war. „Beim näheren Kennenlernen habe ich aber gemerkt, dass manche einfach Trottel waren.“ Die Gewaltbereitschaft untereinander sei enorm gewesen. „Abgesehen davon, dass manche zu engstirnig waren und viel zu viel gesoffen oder Drogen konsumiert haben“, so Peter. Gründe für ihn, sich nie völlig der Punkszene anzuschließen. Bis heute bezeichnet er sich als Individualisten.

Als 20-Jähriger eröffnet Peter zusammen mit anderen ein autonomes Jugendzentrum in Latsch, schreibt politische Songtexte – über Nazis und darüber, wie es wäre, wenn über Nacht alle Reichen bettelarm und alle Armen stinkreich würden. Er ist gegen das Militär, den Waffenhandel und die Nachrüstung und demonstriert gegen die Volkszählung 1981, bei der sich alle Südtiroler einer Volksgruppe zuordnen mussten.

„Wenn es eine Ungerechtigkeit gibt, dann muss man sich auch die Freiheit nehmen, mal jemanden zu beschimpfen und zu sagen: Fuck!“, sagt Peter und streckt seine beiden Mittelfinger in die Luft. „Und das mache ich auch heute noch, in dem Sinne bin ich heute noch ein Punk.“

„Wenn es eine Ungerechtigkeit gibt, dann muss man sich auch die Freiheit nehmen, mal jemanden zu beschimpfen und zu sagen: Fuck!“

Peter Oberdörfer
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„Heute ist Rebellion vielleicht schwieriger geworden. Mit was wollen sie heute auch schon schocken?“

Peter Oberdörfer

In der Musik wird immer noch rebelliert, anderweitig scheint es um die Punks etwas ruhiger geworden zu sein. „Heute ist Rebellion vielleicht schwieriger geworden. Mit was wollen sie heute auch schon schocken?“, fragt Peter. „Die Szene heute ist introvertierter“, bestätigt auch Meinert. Laut dem Experten geht es heute nicht mehr nur ums Provozieren. „Wer heute Punk ist, macht es eher für sich und seine Freunde.“ Vielleicht ist das der Grund, warum die Punkbewegung in Südtirol heute etwas abgeebbt ist. Während es vor zehn Jahren noch deutlich mehr Punkkonzerte gab und mehr Punks mit auffälligen Iros auf den Straßen Südtirols unterwegs waren, sind die paar Punks heute eher unscheinbar.

Michaela „Michi“ Hafner sitzt im Ost West Club in Meran bei einem Bier. Dass sie ein Punk ist, erkennt man äußerlich an ihrer Jacke mit den vielen Aufnähern, am Nietenband und am Anarchie-Anhänger um den Hals. Ansonsten ist ihr Style eher zurückhaltend. Ihre Haare, die schon grün, blau, pink und rot schimmerten, hat sie gerade wieder braun gefärbt. „Weil ich gerade Arbeit suche“, sagt sie und lächelt.

Neben ihr sitzt Julian „Gugso“ Gutgsell. Er besucht zurzeit eine Fachschule für Elektrotechnik und singt in der Punkband Gassenstroiner. Er hat sich selbst die Buchstaben A.C.A.B. auf die Finger tätowiert „All Cops Are Bastards“ – sein ausgewaschener pinker Iro ist auf eine Seite gekämmt. „Mit Irokesenschnitt und Springerstiefel laufen heute nicht mehr so viele rum, man passt sich eben an. Aber es gibt schon noch viele die das Punksein leben, nur es nicht so offensichtlich nach außen transportieren“, sagt er. Wie Michaela ist er 19 Jahre alt und seit einigen Jahren in der Punkszene.


Julian Hutgsell und Michaela Hafner treffen sich regelmäßig zum Feiern im OstWestClub in Meran.

Und obwohl ihr Outfit im Vergleich zu den früheren Generationen eher unauffällig scheinen mag, spüren auch sie teilweise Ablehnung der Gesellschaft. „Mir ist oft aufgefallen, dass blöd über mich geredet wird, aber das ist in den Dörfern immer so“, sagt Michaela und lacht. Man müsse eben freundlich sein, dann zerstreuen sich auch Vorurteile.

Die heutige Punkgeneration setzt vor allem auf Spaß. Aber es gibt auch offene Gesellschaftskritik: Es gebe zu wenig Platz für Kultur. „Es wird viel zu viel aufs Geld geschaut und deshalb vor allem auf die Touristen“, sind sich Julian und Michaela einig. Für junge Leute werde nicht viel gemacht – Einrichtungen wie der Ost West Club seien für die Politik nicht wichtig und Festivalorganisatoren würden unnötig Steine in den Weg gelegt.

Die Punkszene im Burggrafenamt beläuft sich heute auf eine Gruppe von etwa 15 Leuten. „Es werden aber langsam wieder mehr“, sagt Michaela, die gerne die Anarchie leben würde. Aber sie sieht es realistisch. „Da müsste man wahrscheinlich auf der Straße leben.“

Samuel, ein Südtiroler Punk

Heute sind einige Punks im Vergleich zu früher vielleicht etwas zurückhaltender, aber etwas haben alle Generationen gemeinsam: Den Spaßfaktor und den Do-it-yourself-Charakter. Punks werden selbst aktiv, schaffen sich teilweise eigene Räume und Veranstaltungen und nehmen nicht alles hin, was sie stört. Sie hinterfragen, sind rebellisch und wollen etwas verändern. Punks sind und bleiben Querdenker – einfach anders als der Mainstream.

Einfach anders als der Mainstream.

Peter Oberdörfer

Punk bedeutet für mich Rebellion, im Sinne von: Die Welt, so wie sie ist, ist nicht in Ordnung und dagegen lehnen wir uns auf.

Haimo Perkmann

Für mich war Punk eine Art profaner Bettelorden, eine Bewegung, die sich offen und extrovertiert gegen die vorgespielte Moral der „anständigen Bürger“ wendet, aber auch eine spirituelle Bewegung mit vielen Ritualen.

Michaela Hafner

Für mich ist Punk eine Gegenbewegung zur rechten Szene. In der Punkszene kann man das tun, was einem gefällt. Man ist auch gegen die Gesellschaft.

Fotos
Haimo Perkmann, Petra Schwienbacher,
Flickr/Metropolico.org, Sara Mostacci, Sven Serkis.

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