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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 18.02.2016
LebenScheibenschlagen in Laatsch

Fliegende Feuerscheiben

Veröffentlicht
am 18.02.2016
Das Scheibenschlagen ist ein uralter Brauch. Warum die Vinschger glühende Holzscheiben in die Nacht hinausschießen und ein Schilfkreuz anzünden.
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“Fliag Scheibele fliag.”

Rund um eine offene Feuerstelle am Bunker in Laatsch, genauer gesagt im rätoromanischen Ortsteil Engatet, stehen Männer und Frauen mit ihren Söhnen und Töchtern. Sie halten biegsame Haselnussruten, sogenannte „Gart’n“ ins Lagerfeuer. Vorne dran zwei Zentimeter dicke und zehn Zentimeter breite Zirben- und Birkenscheiben mit einem Loch in der Mitte. Und dann warten sie. So lange bis die Holzscheiben anbrennen und außen ein fingerdicker, glühender Rand entsteht.

Sie schwingen die Scheiben auf den Ruten in der Luft umher, bis sie im dunklen Schneehimmel glühen. „Jetzt sind sie fertig“, sagt ein Mann mittleren Alters, der die schwarz-orange Scheibe eines Volksschulbuben kritisch betrachtet. Auf die Antwort hat der Kleine gewartet und drängt sich ungeduldig an den anderen Laatschern vorbei. Die Rute streckt er dabei in den Himmel. Sie soll die anderen nicht verbrennen.


Die Kleinen freuen sich besonders über diesen feurigen Brauch.

„Hoaß, hoaß, bleide Goaß.”

Auf der Wiese, vor der Holzrampe, die in der Dunkelheit nicht leicht zu erkennen ist, bleibt er stehen. Er hält die Gart wie einen Golfschläger, holt aus und schwingt sie kräftig im Kreis. Dreimal. Dabei krächzt er laut: „Hoaß, hoaß …“ Dann schlägt er die Scheibe fest auf die Holzrampe auf. Funken springen. „Bleide Goaß.“ Die Scheibe fliegt in die dunkle Nacht.

Es ist gar nicht so einfach, den richtigen Schwung und die richtige Kante beim Abschlag zu finden. Neben Erfahrung gehört auch jedes Mal ein bisschen Glück dazu. Das weiß auch Wolfgang Schöpf, 52-jähriger Laatscher, der jahrelang der „Capo“ beim Scheibenschlagen war. Dennoch behauptet er: „Wir haben das Scheibenschlagen einfach in uns drin.“

Mit sechs Jahren zum ersten Mal dabei, ist er vor zwei Jahren zusammen mit anderen alteingesessenen Scheibenschlagern „in Pension gegangen“. Es gab einen Generationswechsel. Die „Alten“ machten den Jungen platz. Aber immer noch kommen sie jedes Jahr, um sich das Spektakel anzusehen und um den ein oder anderen schlauen Spruch raus zu hauen.


Funken erhellen die dunkle Winternacht.

Nacheinander entzünden die Männer und Frauen gemeinsam mit Kindern oder Enkelkindern die Holzscheiben. Einige sind mit bunten Streifen bemalt, einige rund, andere schlicht und eckig. „Ich will nicht“, gibts nicht. Schöpf drängt jeden Zuschauer dazu, es selbst mindestens einmal zu versuchen.

Es ist Sonntag, der 14. Februar. „Holerpfonnsunnta“ oder „Scheibenschlogsunnta“, um genau zu sein. Die Vinschger frönen jedes Jahr am ersten Fastensonntag einem uralten Brauch – dem Scheibenschlagen. In Laatsch, der kleinen Ortschaft der Gemeinde Mals, treffen sich die Bewohner sogar mehrmals, um die glühenden Scheiben auf die Wiese zu schießen. Jeden Tag wird etwas anderes entzündet. Am Montag die „Hex“, am Dienstag der „Hockr“ und am heutigen Sonntag ein 14 Meter hohes, imposantes Kreuz aus zwei Lärchenstämmen, umwickelt mit dürrem Schilf – die sogenannte „Larmstong“. Wie es der Traditon gebührt, entzündet sie um acht Uhr der Capo.

Jeder schaut gebannt in die Flammen, die begünstigt durch den Wind nach oben kraxeln und binnen Minuten das ganze Kreuz entzünden. Im Flackern der heißen Flammen schmelzen die dicken Schneeflocken wie Butter in der heißen Pfanne. Die Dorfbewohner blicken in die Flammen und rufen aus vollem Leibe: „Folzaroner Schiss …“ Mit Folzaroner meinen die Engateter die Konkurrenten – die anderen, die in Laatsch noch Scheiben schlagen.

Der Schnee schmilzt im Feuer wie Butter in der heißen Pfanne.

Wolfgang Schöpf

„I bin a Originaler”, sagt der ehemalige Capo im Scheibenschlagen über sich selbst.

Der Vater von drei Mädchen zieht seine Gart mit der glühenden Scheibe aus dem Feuer und macht es dem Buben vor ihm nach – wenn auch ein bisschen gekonnter. Er schwingt die Gart und spricht dabei einen typischen Laatscher Scheibenschlagspruch:

„He Reib Reib,
wem keart ebr dia Scheib?
Dia Scheib kert die Lootschr
Zum a Knia Scheib
geat sie guat.
Susch solln sies nit veribl hobm.
Schmolz in der Pfonn, Pfluag indr Erd,
schau wias Scheibale ausi geat.“

Die Scheibe schießt in einem hohen Bogen weit über die Wiese hinaus, wo sie noch zweimal aufspringt, um im Schnee zu verglühen. „Die Scheiben fliegen hinaus wie Sternschnuppen“, sagt er enthusiastisch. Sein Gesicht strahlt im Licht des Lagerfeuers.

„Die Scheiben fliegen hinaus wie Sternschnuppen.“

Scheibenschlagen ist ein alter heidnischer Brauch in Mitteleuropa. Die hölzernen Scheiben wurden entweder mit einem Gruß an eine Person oder einem althergebrachten Reim hinausgeschleudert. Damit bat man für Glück, Fruchtbarkeit oder eine gute Ernte. Und man trieb den Winter fort. Auch heute wollen die Laatscher mit dem magischen Brauch den Winter verjagen, was aber nicht so gut klappt. Es schneit immer mehr und der kalte Wind bläst erbarmungslos.

„Man sagt auch, dass das Scheibenschlagen etwas mit der Pest zu tun hatte. Man hat mit den gebrannten Scheiben angezeigt, wo noch Leute leben“, erklärt Schöpf. Und je weiter und schöner die Scheibe fliegt, desto mehr Glück hat der Werfer, sagt man. Heute schlägt man Scheiben vor allem im schwäbisch-alemannischen Raum, in Vorarlberg und im Vinschgau.


Tradition haben sie, die Vinschger.

Oh Schreck! Fast wäre das ganze Schilfkreuz umgekippt.

Sechs Stunden zuvor. Zwei Uhr nachmittags.

Angekommen in Laatsch, sind die Aufbauarbeiten schon in vollem Gange. Dass es begonnen hat, dicke Flocken zu schneien, scheint hier keinen zu stören. Schließlich soll mit dem Scheibenschlagen der Winter vertrieben werden, so sagt es die Tradition. „Und so ist es besser, als wenn es windig ist, wie in den vergangenen Jahren“, sagt Schöpf erleichtert.

Die Larmstong liegt jetzt noch auf zwei Böcken auf. Rund herum stehen um die 15 Laatscher Männer und binden mit einem Draht dürres Schilf dran. So viel, dass das liegende Kreuz den Männern bis an den Bauch reicht. An die drei oberen Enden des Kreuzes nageln sie Nadelbäume. Dann stellen sie die Larmstong auf – der schwierigste Teil. Die Burschen und Männer verteilen sich auf beiden Seiten und hieven den Koloss mit haushohen Scheren aus zwei zusammengebundenen Baumstämmen und dicken Latten Richtung Himmel. Jedes Mal schreien sie „Ho Ruck“ im Chor.

Es geht nur langsam und mühsam voran. Manchmal hebt sich das Kreuz nur wenige Zentimeter. Und immer wieder gibt Schöpf, Musiker und ehemaliger Messner des Dorfes, den Männern Anweisungen. Er kann sich einfach nicht raushalten. Zu sehr ist er mit dem Brauch verwurzelt. Den Jungen das traditionelle Scheibenschlagen zu überlassen, wie er ursprünglich wollte, fällt ihm sichtlich schwer.

Unter den Scheren und Stützen hebt sich die Larmstong immer weiter Richtung Himmel. Jetzt, endlich steckt sie fest in dem eingebuddelten Rohr. Dann ein Schreckensmoment: Sie biegt sich gefährlich weit nach vorne. Aufregung. „ Kommt nach vorne“, schreit Schöpf. Hektik breitet sich aus. Die Männer eilen nach vorne.

Schon nach kurzer Zeit haben sie alles wieder im Griff und die Larmstong steht nach eineinhalb Stunden. Die Helfer haben sich die Pause mit belegten Broten, Tee und Glühwein verdient.

Schon einen Monat zuvor beginnen alle Vorbereitungen. Die Kinder des Dorfes sammeln Schilf, gehen von Tür zu Tür und erbetteln Holz. Dabei haben sowohl die Folzaroner als auch die Engateter ihr eigenes Revier, obwohl sich nicht alle daran halten. Heute geht es zivilisierter zu als früher. „Die anderen sammeln auch hier bei uns ihr Schilf“, gibt ein junger Bub zu. Unternommen haben er und die anderen dagegen nichts. „Ihr müsst euch schon wehren“, ermutigt Schöpf und zwinkert. „Bei uns ging es noch brutal zu. Wir haben uns geprügelt und gerauft.“ Er lacht. Die Rivalität zwischen den Scheibenschlagern war zu dieser Zeit noch groß. In fünf Orten in Laatsch wurde Scheiben geschlagen: In Folzaron, Promaser, Triet, Wall und Engatet. Die Larmstongen mussten bewacht werden, damit sie die anderen Gruppen nicht vorzeitig anzündeten.

Damals wickelte man noch Stroh um die Larmstong, das die Kinder sammelten und sie buddelten von Hand ein Loch für die Larmstong. Das dauerte Wochen. Am Scheibenschlogsunnta wurde dann traditionell „Schneamilch“ gegessen – mit Sahne, Zimt und Zucker bedeckte Weißbrotstückchen und Rosinen.

„Früher war alles anders“, seufzt Schöpf und wirkt dabei wehmütig. Er war Trieter und zusammen mit seinen zwei Brüdern leidenschaftlicher Scheibenschlager. Dann wurde das Scheibenschlagen in Triet verboten. Ein letztes Mal durften die Burschen noch hoch auf den Hügel. „Wir sind weinend wieder runter. Es hat uns das Herz raus gerissen“, erzählt Schöpf. „Wir sind einfach so sehr damit verwachsen.“

„Früher war es brutaler. Wir haben uns geprügelt und gerauft.“


Kinder, Eltern, Großeltern – alle quetschen sich ans wärmende Feuer.

Jetzt kommt ein Paar aus Vilpian zur Runde um das Feuer. Sie haben noch nie zugesehen, wie jemand Scheiben schlägt. Jetzt bekommen sie die Chance. Und natürlich müssen sie es auch selbst versuchen. Da kennt Schöpf nichts. Und wieder fliegen die Scheiben nacheinander wie Sternschnuppen in die Nacht.

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Petra Schwienbacher
Anna Gruber

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