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Innsbruck, Wien, Salzburg oder Graz. Das sind jene Städte, die Südtirols Studienanfänger magisch anziehen. Nach der Matura ziehen sie mit Sack und Pack über den Brenner, hinein in das aufregende Studentenleben. Dort angekommen, führt der erste Weg zum Meldeamt. Wer sich in Österreich eine Unterkunft nimmt, ist verpflichtet innerhalb von drei Tagen zumindest einen Nebenwohnsitz anzumelden. Wer das nicht tut, kann zur Kassa gebeten werden: Das österreichische Meldegesetz sieht dafür Strafen bis zu 726 Euro vor. Wenn Studenten ihren Lebensmittelpunkt an den Ort ihrer Ausbildungsstätte verlegen, müssten auch sie einen Hauptwohnsitz anmelden. „Bei Studentinnen und Studenten“, so Eva Papouschek Juristin in der MA 62, „trifft aber oft eine Nebenwohnsitzmeldung zu. Spätestens wenn sich jemand entschließt, eine Arbeit zu suchen und über das Studium hinaus hier bleiben möchte, wäre eine Änderung in einen Hauptwohnsitz notwendig.“
Weil die Gemeinden pro Erstwohnsitz eine bestimmte Summe vom Steuerkuchen zurückbekommen, um damit die bereitgestellte Infrastruktur zu finanzieren, ist zwischen den Gemeinden ein regelrechter Kampf ausgebrochen. Wien beispielsweise bekommt vom Bund pro Hauptwohnsitz etwa 2.800 Euro jährlich. Unistädte wollen den Studenten den Hauptwohnsitz deshalb mit Schmankerln wie vergünstigten Semestertickets oder Prämien schmackhaft machen. Auslandssüdtiroler, egal ob Student oder nicht, die noch Studienbeihilfe und Krankenversicherung von zu Hause beziehen, sollten sich davon nicht beirren lassen: Beihilfen aus Südtirol sind an einen Wohnsitz eben dort gebunden. Unsere Autorin hat mittlerweile einen festen Job in Wien und hat sich deshalb für den Hauptwohnsitz entschieden und den Kampf mit der Bürokratie aufgenommen:
1. Station: Meldeamt
IIm Bezirksamt für den 9. Wiener Gemeindebezirk herrscht kein großer Andrang, nach wenigen Minuten werde ich einem Sachbearbeiter zugeteilt. Ich überreiche ihm Meldezettel und Reisepass. Leicht genervt weißt er mich auf fehlende Angaben hin, zehn Minuten später habe ich alles erledigt und mein Nebenwohnsitz ist zum Hauptwohnsitz geworden. Zum Abschied drückt er mir einen Zettel in die Hand, der mich an das Einwanderermeldeamt im 20. Wiener Gemeindebezirk verweist. Auf die Frage, ob das wirklich notwendig sei, antwortet er, jetzt sichtlich entnervt: „Keine Ahnung. Ich weiß doch nicht was die im Zwanzigsten draußen machen. Ich muss das allen Ausländern mitgeben." Gut, muss ich das wohl selbst herausfinden.
2. Station: Italienisches Konsulat
Zwischendurch gönne ich mir ein Intermezzo und tauche im Konsulat in die italienische Bürokratie ein. Gleich am Eingang werde ich von einem freundlichen Carabiniere begrüßt. Von einem Bild über der Tür schmollt mir Giorgio Napolitano entgegen. Mithilfe des Carabiniere fülle ich das Formular aus, mit dem ich mich ins Verzeichnis der Auslandsitaliener eintrage, kurz A.I.R.E. Hiermit werde ich von meiner Heimatgemeinde abgemeldet und gehöre jetzt zu den „Italiani all’estero“. Studienbeihilfe und Krankenversicherung muss ich mir jetzt in Österreich besorgen. „Und? Ist in Wien alles besser?", fragt mich der Carabiniere mit trotzigem Unterton. „Ja, für mich schon. Ich lebe sehr gerne in dieser Stadt", entgegne ich ihm patzig. Ob ich denn jetzt auch gleich meine Identitätskarte erneuern könne, frage ich eine Mitarbeiterin. „Ma, lei è iscritta all' A.I.R.E.?" "Si, da cinque minuti", antworte ich stolz. „Ma, signorina, non è così facile! Deve passare un pò di tempo. Prima mandiamo tutto al suo comune in Alto Adige, poi il comune lo manda al Ministero degli Interni, quello lo manda al Ministero degli Esteri e quello lo ripassa a noi!" Jetzt fühle ich mich endgültig zurückversetzt nach Italien. Auf die Frage, wie lange das denn dauern würde, antwortet sie: „Lascia passare un pò di tempo, e ritorna verso tre mesi." Drei Monate? „E le raccomando, entro i prossimi tre mesi deve andare dal Einwanderermeldeamt, se no, le danno una multa oltre 300 Euro!" Dann mal schnell dorthin.
3. Station: Einwanderermeldeamt – MA35
Die MA35 hat in Wien einen besonders schlechten Ruf. Das Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaften gilt als besonders unterbesetzt und dementsprechend chaotisch. Seit 2006 müssen sich alle EU-Bürger, die in Österreich einen Wohnsitz (egal ob Haupt- oder Nebenwohnsitz) anmelden hier eine Anmeldebescheinigung ausstellen lassen.
Abgelegen im 20. Wiener Gemeindebezirk steht sie also, die MA35. Gleich beim Betreten der großen Eingangshalle ergreift mich ein seltsames Gefühl. Menschen aus aller Herren Länder stehen sich entlang roter Bänder die Füße in den Bauch. Die Halle, die Schlange – irgendwie wie am Flughafen. Im Erdgeschoss findet die Nummernausgabe nach Herkunftsland statt, erst fünf Stöcke höher beginnt der eigentliche Wartemarathon. Zum ersten Mal fühle ich mich in Wien wie eine richtige Ausländerin. Geschlagene vier Stunden muss ich warten. Nach zwei Stunden verlieren die ersten Kinder die Fassung, schreien, kreischen und toben herum. Ich lese die mitgebrachte Zeitung bis auf das Kinoprogramm von vorne bis hinten durch, kopiere Formulare und Dokumente, warte. Als ich dann endlich an der Reihe bin, geht – zumindest für EU-Bürger – alles sehr schnell: Formulare werden überflogen, abgestempelt, eine Rechnung ausgedruckt und raus bin ich. Die Verwaltungsgebühr von 29,30 Euro muss ich noch an der Kasse bezahlen, dann bin ich fertig und offiziell eingewandert.
Was sich geändert hat? Bei den Gemeinderatswahlen in meiner Heimatgemeinde Vahrn darf ich ab jetzt nicht mehr wählen, dafür in zwei Jahren in Wien. Um das italienische Parlament zu wählen, muss ich künftig nicht mehr nach Hause fahren, sondern kann bequem von hier aus per Briefwahl daran teilnehmen. Ich kann mich demnächst um eine Wiener Genossenschaftswohnung bewerben und viele andere Sozialleistungen werden auch zugänglich (harhar). Wo ich denn wirklich herkomme werde ich allerdings immer noch gefragt. Oft!
Konsulate der italienischen Botschaft in Österreich
RICHTIGSTELLUNG: Die Südtiroler Hochschülerschaft und andere Leser haben uns richtigerweise auf ein paar wichtige Details hingewiesen . Die Nachrecherche hat gezeigt wie widersprüchlich die Gesetze zweier EU-Länder und die Auskunft inländischer Behörden sein können. Falsche Informationen wurden nach eingehender Recherche aus dem Text entfernt und Missverständnisse hoffentlich aus dem Weg geräumt. Auf die einzelnen Punkte geht die Autorin weiter unten, in der Kommentarliste ein.
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