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Schweiß tropft von den glühenden Gesichtern. Auf den T-Shirts zeichnen sich dunkle Ränder ab, als die sechs Spieler auf ihren 26-Zoll-Rädern ihre Runden auf dem dampfenden Asphalt drehen. Kaum ein Lüftchen weht um sieben Uhr abends im Hof des Jugendtreffs in der Bozner Vintlergasse. Und doch spielen sie heute wieder Bikepolo – bewaffnet mit Helmen und teils improvisierten Schlägern.
Beide Teams, heute zwei gegen zwei, machen sich konzentriert an den jeweiligen Spielfeldrand, wo orange-weiße Leitkegel aus dem Straßenverkehr die Tore bilden. Einer der Spieler steht auf der Tribüne und stellt die Stoppuhr auf zehn Minuten. Es ist Hanspeter Lobis, von allen „Henz“ genannt. Ein roter Ball liegt in der Mitte des Spielfeldes. „Ready?“, ruft Henz laut, um gegen die Musik im Hintergrund anzukommen. „Three, two, one. Polo!“ Auf das Signal hin treten die Spieler in die Pedale ihrer Drahtesel und stürmen los. Der Countdown für das zehnminütige Spiel läuft.
Riding Pigeons, also „reitende Tauben“, so nennt sich die Bozner Bikepolo-Gruppe. Zweimal pro Woche trifft sie sich zum Spielen – das ist zumindest das Ziel. Meistens bleibe es bei einem Mal, verrät Henz und lacht. Der Name ist ihm eingefallen. „Tauben sind urbane Viecher und Bikepolo ein urbaner Sport“, erklärt der 38-Jährige. Er engagiert sich gemeinsam mit seinen acht Teamkollegen für die in Südtirol noch unbekannte Szene. Auf dem Spielfeld stehen heute auch Initiator Daniele, der Deutsche Eike, Jörg, Ben als einzige Frau im Team und Fede mit dem einzigen professionellen Bikepolo-Rad. Mit dabei sind an anderen Tagen auch Luca und Niko.
Regelmäßig treffen sich alle auf dem einzigen Platz, den sie in Bozen ergattern konnten, obwohl es kein idealer Platz fürs Bikepolo sei. Zu klein, zu gefährlich. Die Fußballtore stören, die Lichtmasten ebenso. „Hier kann man nie hundert Prozent geben und es ist ziemlich gefährlich“, sagt Henz. Normalerweise wird wie beim Hockey auf einem Feld mit einer Bande außen herum gespielt. Drei gegen drei. „Die simpelste Regel ist Mann gegen Mann, Schläger gegen Schläger und Bike gegen Bike“, sagt Henz und lacht. Die übrigen Regeln variieren je nach Land und werden üblicherweise vor jedem Turnier festgelegt. Was aber immer gilt ist, dass Torschüsse nur mit der schmalen Auflagefläche des Schlägerkopfes erlaubt sind. Zuspielen darf man sich den Ball wie man will, sollte er aber mit der breiten Fläche angestoßen werden und ins Tor gehen, zählt der Punkt nicht.
„Un minuto quaranta“, ruft Henz aufs Spielfeld. Jede Mannschaft versucht noch ein letztes Mal, den Ball zu erspielen und ein Tor zu schießen. Die Helme sind teilweise mit Gittern versehen, um sich vor blauen Augen zu schützen. An den Hockeyhandschuhen ist die Daumenpartie ein bisschen eingeschnitten, um sie beweglicher zu machen. Ben trägt zusätzlich Knieschützer. „Ich nicht, ich bin eher für ein bisschen weh tun“, sagt Henz mit einem breiten Grinsen. Später am Abend wird ihm diese Aussage fast Leid tun. Fede trifft ihn beim zweiten Spiel mit dem Schläger mit voller Wucht am Schienbein.
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Der Mannschaftssport ist schnell. Verliert ein Spieler den Ball, kann er auf dem Rad nicht mehr so einfach zurück. Es braucht viel Taktik, Geschick und Gleichgewichtssinn. Mit einer Hand führt man das Rad, mit der anderen den Schläger. Gerade ist Daniele am Zug. Er spielt den Ball in Richtung Tor, radelt hinterher. Noch bevor er schlagen kann, verliert er kurz das Gleichgewicht und berührt mit dem rechten Fuß den Boden. Die Regeln verlangen jetzt ein sogenanntes „Tape out“ – er muss das Spielfeld verlassen und mit dem Schläger einmal auf den Boden tippen.
„Es ist ziemlich cool, auch wenn es beim Zuschauen vielleicht ein bisschen langweilig wirkt“, sagt Henz, bevor er das Spiel abpfeift. Seine Kollegen nehmen sich nach dem schweißtreibenden Spiel die Helme ab und greifen zur Wasserflasche.
Bikepolo kommt aus dem Do-It-Yourself-Bereich. Vor einigen Jahren gab es noch keine Firmen, die Schläger herstellten. „Man hat einfach Skistöcke und Rohre genommen“, erklärt Henz und zeigt einen der selbstgebastelten Schläger. Der Sport wurde Anfang 2000 das erste Mal in Seattle von Fahrradkurieren gespielt. Seit 2009 werden Weltmeisterschaften im Bikepolo ausgetragen, seit 2011 betreibt die kleine Gruppe in Bozen den Sport. Dazu gekommen ist sie durch Daniele. Der „Polo-Opa“ und selbstständige Fotograf hat Bikepolo beim Studium in Stuttgart kennengelernt und schließlich beim Weltcup in Berlin teilgenommen. Als er wieder nach Bozen zurückgekommen ist, organisierte er mit Henz den ersten alley cat, eine Schnitzeljagd auf dem Fahrrad durch die Stadt.
Sie haben sich regelmäßig getroffen, an der Uni Plakate aufgehängt und über Facebook Leute gesucht. Gekommen sei aber nie einer, sagt Henz heute und lacht. Zwei Jahre später stieß Eike zu der Gruppe. Der Thübinger lebt der Arbeit wegen seit eineinhalb Jahren in Südtirol. Mit ihm kam auch Benedetta „Ben“ dazu. Sie ist die einzige Frau in dem von Männern dominierten Sport. Auch auf Turnieren, sagt sie, habe sie noch nie eine Frau getroffen. Davon lässt sie sich aber nicht einschüchtern. In der Szene sind alle locker drauf, Konkurrenzkämpfe gibt es nicht.
Vom 12. bis 13. September findet in Bozen ein Bikepolo-Turnier statt. Bis dahin will Henz gemeinsam mit seiner Mannschaft weiter trainieren und auch alleine auf den Talferwiesen „um ein besseres Ballgefühl zu bekommen“. Die Leute dort sehen ihm jedes Mal fasziniert zu beim Sport, den hierzulande kaum einer kennt.
Jeden Mittwoch ab 19 Uhr spielt die Gruppe in der Vintlergasse in Bozen. Wer sich ihnen anschließen möchte, ist jederzeit willkommen und kann sich über die Facebookseite melden.
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