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Fahnen. Überall Deutschlandfahnen. Sie stecken an den Balkonen der Häuser und Hotels, hängen in Miniaturausgaben an deutschen Autos und stehen zum Kauf bereit vor dem Supermarkt. Und das, obwohl die Fußball-WM noch nicht begonnen hat. Grund dafür ist die Deutsche Nationalmannschaft: Vom 21. bis zum 31. Mai bereitet sich die Elf von Nationaltrainer Jogi Löw im Passeiertal auf das WM-Turnier in Brasilien vor. Das Tal ist im Ausnahmezustand. Wo man in der Nähe des Sportplatzes auch hinblickt: überall Security, Carabinieri, Feuerwehr, Reporter und Schaulustige. Das Tal profitiert von dem Gastspiel der deutschen Kicker – ohne Frage. Aber die Fans? Die warten oft stundenlang, auch im Regen. Ob sich die Warterei auszahlt?
Eine Horde Leute steht auf der Kreuzung zum Fußballplatz und dem Luxushotel „Andreus“, das die Nationalmannschaft komplett für sich gemietet hat. Es sind vor allem Touristen. Bewaffnet mit Fotoapparat und Schirm. Trotz des Nieselregens wollen sie alle zumindest einen Blick auf irgendeinen der Spieler erhaschen. Sie lehnen sich an die kleinen eisernen Gitter und gaffen. Über die Hälfte der Schaulustigen seien Deutsche, verrät der Kommandant der örtlichen Feuerwehr. Gemeinsam mit zwei Kollegen und weiteren Helfern steht er hier bei jedem Wetter in sicherer Entfernung zum Platz, im Sechs-Stunden-Rhythmus. Sie seien dafür verantwortlich, dass niemand ohne Akkreditierung, also ohne einem Pass um den Hals, die Absperrung passieren kann. „Ohne die Nummern drei und vier auf dem Pass darf hier niemand vorbei“, sagt Andreas Palla, einer der freiwilligen Helfer. So lautet die Anordnung. Eine Ausnahme gibt es nicht.
Sehr zur Enttäuschung einiger Fans, die hier oft den ganzen Tag stehen. Sie sehen lediglich die weißen Zelte rund um den Fußballplatz, der zu St. Martin gehört, obwohl drei Viertel seiner Fläche auf dem Gemeindegebiet St. Leonhard liegen, erzählt Klaus Gurschler, Tourismusreferent der Gemeinde St. Leonhard. „Das Ziel, das Tal bekannter zu machen, hat sich hundertprozentig erfüllt“, sagt er. Kein Wunder. Seit Tagen berichten fast alle deutschen Medien über den Aufenthalt der Nationalmannschaft in Südtirol – und das durchwegs positiv. Sogar Nationalspieler Mats Hummels von Borussia Dortmund twitterte, das „Andreus“ sei das schönste Hotel, in dem er je war. Eine perfekte Werbung, die dementsprechend gekostet hat. Von mehr als 800.000 Euro war die Rede, die Nationalelf ins Tal zu holen. Das stimme nicht ganz, sagt Gurschler. „Die Gemeinde zahlte 300.000 und das Land 340.000. Logisch, die Investitionen in die Sportplätze sind eine andere Sache.“ Von der positiven Auswirkung des Aufenthalts der deutschen Fußballstars ist auch Bernhard Tscholl überzeugt. Der Besitzer eines Supermarktes meint: „Wenn Gelder da sind, wieso nicht. Sie lassen dafür ja auch etwas liegen." Seine Frau Maria findet hingegen, es würde zu viel Tamtam gemacht. „Sie sollen die Leute mindestens täglich eine halbe Stunde daran teilhaben lassen. Vor allem die Kinder“, spricht sie die Isolierung der Spieler an.
Jetzt werden die Fans unruhig, sie zücken die Kameras, schauen gespannt auf die Straße. Endlich fahren die Spieler in schwarzen Kleinbussen mit abgedunkelten Scheiben vorbei. „#BereitWieNie“ steht in großen weißen Buchstaben auf dem Bus. Zu Gesicht bekommen die Fans aber keinen der Mannschaft. „Die meisten Leute verstehen aber, dass die Spieler ihre Ruhe haben wollen“, sagt Andreas Palla. Er seit zwar Italienfan, habe sich aber sofort als freiwilliger Helfer gemeldet, also er hörte, dass die deutsche Nationalelf hier ihre Zelte aufstellen würde. Als solcher darf er bei einigen Trainingseinheiten zusehen. Neben dem nagelneuen blauen Trainingsanzug und den leuchtenden Turnschuhen, die er vom DFB geschenkt bekommen hat, trägt er seinen Pass, der ihn als Helfer ausweist. Auch Helmut Schrott, ein anderer Helfer, ist neu eingekleidet. Der Meraner war selbst lange Zeit Aktiver und ist Deutschlandfan, weswegen für ihn von Anfang an klar war, dass er hier dabei sein wollte. Für ihn sei es großartig, dass er alle Spieler so hautnah erleben dürfe.
Viele Fußballfans, die ins Tal gekommen sind, können das nicht behaupten. „Wir haben gehofft, zusehen zu dürfen“, gesteht ein älteres deutsches Urlaubspaar. Sie sei ihm zuliebe mit hergekommen, sagt sie. Das Paar mache Urlaub und sei zufällig hier. Später am Abend steht das deutsche Paar immer noch da, eingehüllt in Regenjacken. Zufällig. Die Frau erzählt glücklich, zumindest kurz Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller in einen der vorbeifahrenden Autos gesehen zu haben.
Als wir uns zu einer höher gelegenen Brücke begeben, sieht man schon von Weitem die schwarzen, dicken Jacken der Securitymänner. Auch hier keine Chance auf ein Durchkommen. „Ich habe viele Trainingslager gesehen, aber so, wie das der Löw macht, ist es extrem“, sagt der hier postierte freiwillige Helfer Luis Hauser. Die Leute möchten gerne etwas sehen, sagt er. Wenns nach ihm ginge, würde er uns einen Blick ins Trainingslager ermöglichen. Die Security spielt aber leider nicht mit.
„Die Spieler sind ganz normal. Das ganze Drumherum ist es, was Zinnober macht“, sagt Klaus Gurschler. Das Drumherum sei es auch, was für die gefüllten Betten in Gurschlers „Bergland“ sorge. Einige Leute seien eigens wegen der Nationalspieler angereist, in der Hoffnung, ihnen einmal zusehen zu dürfen und das ein oder andere Autogramm zu bekommen, sagt er. Dann holt der „alte Musiker“, wie er sich nennt, seine CD „Helden & Sieger“ heraus. Darauf zu sehen ist die Christusstatue von Rio in Schwarz-Rot-Gold. Neun Männer in Trikots des dreimaligen WM-Gewinners, das letzte mal 1990 in Italien, widmen den Nationalspielern ein Lied. „Denen vom DFB hat das Video gut gefallen“, sagt der Gurschler, der auch Sänger der volkstümlichen Schlagergruppe „Psayrer" und so gut wie immer mit Lederhosen oder blauem Schurz unterwegs ist.
Der letzte Bus fährt durch. Schluss für heute, sagt einer der Freiwilligen. Zwei kleine Jungs aus St. Leonhard haben in den vergangenen Tagen insgesamt nur ein Autogramm ergattert. Von Miroslav Klose, der schon seine vierte WM spielen wird. „Er war aber nicht sonderlich nett“, sagt eine Mutter. „Man sollte für die Kinder zumindest ein Spiel machen, wo sie zusehen dürfen“, sagt die andere. Sie warten mit ihren zwei Jungs jeden Tag hier. Heute bekommen sie keinen ihrer Stars zu sehen. Das Trainingsspiel wurde aufgrund des Unfalls oberhalb des Sportplatzes abgesagt, keiner weiß an diesem Dienstag etwas Genaueres. In den nächsten Tagen berichten auch alle deutschen Medien über den Unfallhergang, bei dem im Rahmen einer PR-Aktion für Mercedes ein deutscher Tourist schwer und ein Einheimischer leicht verletzt wurden. An diesem Tag steigt kein Spieler beim Vorbeifahren aus. Enttäuschung. Vor allem bei den kleinen Fans, die mit ihrem Fußball unter dem Arm auf mehr Autogramme hofften. Erst am vorletzten Tag ihres Aufenthalts öffnete das DFB-Team die Türen: Rund 200 Kinder durften das Training verfolgen.
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