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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 25.09.2014
LebenEin Leben mit Alzheimer

Diagnose: Vergessen

Veröffentlicht
am 25.09.2014
„Es ist belastend, ihn jeden Tag so zu sehen“, sagt Dora Tessaro. Ihr Mann hat Alzheimer. Wie sie damit umgeht und welche Ängste die Krankheit mit sich bringt.
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„Ich glaube schon, dass er mich noch erkennt“, sagt Dora Pircher Tessaro. „Manchmal“, fügt sie etwas leiser hinzu. Sie ist eine moderne Frau, führte jahrelang ein Hotel in Bozen und ist mittlerweile in Pension. Eine Suppe köchelt auf dem Herd und Dora setzt sich an den Tisch ihrer kleinen Küche. Seit einem Jahr lebt die 70-Jährige alleine in dem dreistöckigen Haus etwas außerhalb von Bozen. Ihr Mann Bruno hat Alzheimer und lebt mittlerweile in einem Pflegeheim in St. Pauls.

Vom einst lebensfrohen Mann erkennt man heute nicht mehr viel. Früher ging der Leiter einer Druckerei gerne reiten und übte mehrere Sportarten aus. „Er lebte für seine Freunde“, sagt seine Frau. Jetzt ist er depressiv. Alltägliche Dinge wie sich waschen, Zähne putzen, anziehen und essen kann er nur unter Aufsicht und mit genauen Anweisungen. Unterhaltungen sind schwierig geworden. Er findet kaum Worte und kann Gedankengängen nicht mehr folgen. Dennoch besucht ihn seine Frau jeden Tag für einige Stunden. Ihre Freundinnen können das nicht verstehen. „Er versteht sowieso nichts”, sagen sie. „Das stimmt nicht. Als wir unseren 45. Hochzeitstag hatten und ich ihm von früher erzählte, lächelte er mich an und sagte: 'Sei bella'”, erzählt Dora.

Es sind seltene aber schöne Momente, wenn Bruno seine Frau anstrahlt, denn oft bleibt sein Blick starr und angespannt. An manchen Tagen schreit er und flucht. Er sei abgemagert und richtig alt geworden, sagt seine Frau. „Es ist traurig und belastend, ihn jeden Tag so zu sehen.“ Aber sie könne ihn nach so vielen Jahren auch nicht alleine lassen. „Dann hätte ich schon früher gehen müssen.”

Mehr als Vergesslichkeit

In Südtirol gibt es rund 10.000 Alzheimerpatienten. Weitere 1.000 kommen jährlich dazu. Obwohl es eine typische Alterskrankheit ist, gibt es auch Einzelne, die bereits mit 50 Jahren daran erkranken. „Selten gibt es sogar Fälle um die Mitte zwanzig“, sagt Dr. Edith Moroder, Vorstandsmitglied der Alzheimergesellschaft Südtirol. „Bei solch jungen Patienten verläuft die Krankheit meist wahnsinnig schnell.“

„Man braucht keine Angst zu haben, wenn man mal einen Schlüssel verlegt. Ernst wird es aber, wenn man Sachen vergisst, die man sein Leben lang ausübt“, so Dr. Edith Moroder.

Bruno Tessaro leidet an einer verengten Halsschlagader, weswegen er nach 35 Arbeitsjahren bereits in Pension ging. Die Krankheit des Gehirns machte sich vor sechs Jahren bemerkbar. Erste Zeichen waren eine Depression, Gedächtnislücken, Wortfindungsstörungen und leichte Orientierungsprobleme. Irgendwann konnte der 80-Jährige selbst die einfachsten handwerklichen Arbeiten nicht mehr ohne Hilfe erledigen, wie das Anschrauben einer Glühbirne oder das Mähen des Rasens. Er vergaß, wo er sein Auto parkte und wurde seiner Frau gegenüber oft aggressiv. Der Bozner zeigte die typischen Anzeichen der Erkrankung: Vergesslichkeit, Desorientierung und eine Veränderung der Persönlichkeit.

„Man braucht keine Angst zu haben, wenn man mal einen Schlüssel verlegt. Ernst wird es aber, wenn man Sachen vergisst, die man sein Leben lang ausübt“, so Dr. Moroder. Bei Frauen sei das zum Beispiel das Vergessen von Kochrezepten. Ab drei Anzeichen werde es dann kritisch.
Bei Bruno Tessaro wurde 2009 die Diagnose gestellt. 2010 suchte Dora an, ihm den Führerschein zu entziehen. „Das passierte komischerweise nicht automatisch“, erzählt sie. Sie sei damals einfach zu besorgt gewesen, dass ihm oder anderen etwas zustoße. Dora Tessaro pflegte ihren Mann zu Hause und besuchte regelmäßig die monatlichen Treffen der Alzheimer-Angehörigen-Gruppe A.S.a.a. Damals sei das Reden über Sorgen und Ängste befreiend gewesen und die Geschichten anderer eine hilfreiche Vorbereitung auf das, was ihr noch bevorstand. Doch mit der Zeit wurde es für sie zu schwer, auch noch das Leid der anderen mitanzuhören.


24 Stunden Kontrolle

Dora kümmerte sich aufopferungsvoll um ihren Mann und informierte Freunde und Bekannte über seine Krankheit, um unangenehme Situationen zu vermeiden. Trotzdem stieß sie immer öfter an ihre Grenzen. Am Abend, wenn sie in der Küche saß und ihr Mann die Treppe herunterkam, hatte sie regelmäßig Angst, er könne hinunterfallen. Ohne ihn konnte sich Dora nicht mehr bewegen. Voriges Jahr im Sommer brachte sie ihn für eine Woche im Heim unter, man bot ihr danach einen fixen Platz an. „Ich wollte ihn aber zu Hause pflegen“, sagt sie. Die Entscheidung, ihren Mann schließlich doch in das Pflegeheim zu geben, fiel ihr sehr schwer, aber die letzten Tage zu Hause waren schlimm. Er wurde inkontinent und immer aggressiver, bis er sie sogar schubste. Sie nahm den Fixplatz an.

Dr. Moroder weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend eine Pflege zu Hause sein kann, ihre Mutter erkrankte ebenfalls an Alzheimer. „Ein geregelter Tagesablauf und eine gewohnte Umgebung sind natürlich gut, aber irgendwann ist eine professionelle Pflege nötig“, erklärt sie. Alzheimerpatienten bräuchten 24 Stunden Kontrolle und das sei eine gewaltige Anstrengung für alle Beteiligten.
„Es ist eine furchtbare Krankheit“, sagt auch Dora. „Meiner Meinung nach eine der schlimmsten.“ Heilung gibt es keine, lediglich Medikamente, die den Verlauf verzögern und solche, die die psychische Situation verbessern können. Viele Patienten seien gerade am Anfang am Verzweifeln. Sie erleben selbst, dass in ihrem Kopf etwas nicht stimmt.

„Wozu soll die Krankheit verlangsamt werden? So ein Leben ist kein Leben mehr.”

„Auch mein Mann“, sagt Dora, während sie sich mit beiden Armen an den Kopf fasst, „sagte am Anfang oft: ‚La mia testa, la mia testa'.“ Heute nimmt er rund zehn Tabletten am Tag gegen Erkrankungen am Herz und der Arterien. Die Alzheimertabletten findet seine Frau aber überflüssig. „Wozu soll die Krankheit verlangsamt werden? So ein Leben ist kein Leben mehr“, erklärt die Rentnerin. Sie ist wütend, weil in der Forschung viel zu wenig getan werde und traurig, dass ihre Kinder mitansehen müssen, wie es ihrem Vater immer schlechter geht. Sie hätten große Angst, dass sie selbst an Alzheimer erkranken, schließlich sei es vererbbar.

„Man muss mit so einer Krankheit warten, bis man sterben kann“, sagt Dora leise. Sie ist eine starke Frau, erzählt offen ihre Geschichte und wünscht sich mehr Akzeptanz. „Man braucht sich nicht für die Krankheit schämen, sondern sollte viel darüber reden“, rät sie anderen Betroffenen. „Und sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen.“

Der Monat September ist der Krankheit Alzheimer gewidmet. Bis zum 30.09 findet im Krankenhaus Bozen die dritte Etappe einer Sensibilisierungskampagne und Foto-Wanderausstellung statt und noch bis zum 28.09 wird in der Festung Franzensfeste das Stück „Wege mit dir – Im Kampf gegen das Vergessen” aufgeführt.

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