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Die Luft steht und die Hitze raubt mir den Atem. Unausstehlich ist es hier herunten im Tal, wenn die Sonne einem fast die Haut verbrennt. Was kann man in so einem Moment besseres tun, als in die Höhe zu fliehen. Über Lana an Tisens vorbei, folge ich den Kehren, die mich auf den Gampenpass führen. Höhenmeter um Höhenmeter wird es kühler und langsam funktioniert auch das mit dem Atmen wieder besser.
Auf 1.265 m Meereshöhe wird die Temperatur erträglich und mein Auto kommt im letzten Ort Südtirols zum Stehen. Es riecht nach Holz. St. Felix ist hier oben mitten in kräftig grüne Wälder gebettet, die an kanadische Nationalparks erinnern. Nicht nur den Felixer Weiher hat das abgelegene Dörfchen zu bieten. Am Fuße der ganzen Bäume quillt das Wasser aus dem weiß-grauen Gestein und schleift seit Jahrhunderten tiefe Canyon-Schluchten in den Fels.
Proveis, Laurein, Unsere Liebe Frau im Walde und St. Felix sind die letzten Gemeinden im oberen Nonstal. Alle drei haben eine mehrheitlich deutschsprachige Bevölkerung, und gehören nicht wie die anderen Gemeinden des Nonsbergs zum Trentino, sondern zu Südtirol. Deutsch spricht auch Ivo Passler, der mir vor einer Weile einen Rat gegeben hat: „Wenn du köstlichen und billigen Cappuccino willst, dann musst du über die Grenze“. Er kennt sich aus hier oben auf dem Deutschnonsberg. Als Teilzeit-Felixer hat er einige Meter vor der Grenze zum Trentino mit seiner Familie zusammen sechs Chalets auf Stelzen aufgestellt. Dem fehlenden Tourismus im abgelegenen Dörfchen will er damit auf die Beine helfen.
„Wenn ich mich in meinem Bett einmal umdrehe, dann weiß es bereits das ganze Dorf.“
An seine Worte erinnere ich mich, als ich von St. Felix aus die Suche nach dem billigsten Grenz-Cappuccino starte. Einen Kaffee bräuchte mein von der Hitze geschlauchter Kreislauf nämlich mehr als dringend.
St. Felix zählt nur 600 Einwohner. Von einem Dorfende zum anderen brauche ich zu Fuß gerade mal zwei Minuten. Daher kommt wahrscheinlich auch der ursprüngliche Name Caseid, vom italienischen casetta (kleines, Haus, kleine Siedlung), den das Dorf bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts trug. Die zentrale Dorfbar öffnet erst um 16:50 Uhr, nicht gerade förderlich für meine Suche nach dem billigsten Grenz-Kaffee.
„Vor 17 Uhr braucht man hier nicht aufmachen, da kommt noch keiner. Die Leute aus dem Dorf kommen erst nach Feierabend in die Bar“, erklärt mir eine junge Frau, die ich auf dem Dorfplatz treffe. Dafür gibt es aber genug Vorteile in St.Felix zu leben, die Zweisprachigkeit ist einer davon. „Von klein auf spreche ich eigentlich perfekt Italienisch, obwohl hier im Dorf alle Deutsch sprechen“, sagt sie. Konflikte wegen der Sprache gäbe es hier im Grenzgebiet keine.
„Se non va, non va“
In St. Felix gescheitert, will ich den billigen Kaffee also doch auf der anderen Seite der Grenze suchen. Schneller als ich schauen kann, passiere ich das Südtirol-Schild, das mit einem fetten, roten Balken durchgestrichen, das Ende markiert. Einen Augenzwinkerer später werde ich bereits von einem braunen Schild in Fondo willkommen geheißen.
Auf der Hauptstraße komme ich mir vor wie auf einer Rennstrecke. Im Minutentakt schießen mir Motorradfahrer entgegen, die mit ihren Knien fast den Boden streifen. Da bin ich direkt froh, wenn ich kurz nach St. Felix rechts in Richtung Tret einbiegen kann. Als ich darüber nachdenke, dass ich mich jetzt auf Trentiner Boden befinde, überkommt mich gleich ein ungeahntes Urlaubsgefühl. Komisch, was Grenzen so mit einem anstellen. Die Häuser hier in Tret, keine fünf Minuten von St. Felix entfernt, sehen bereits anders aus und auch die Uhren scheinen hier langsamer zu ticken. Ausgestorben wirken beide Dörfer. Das wird wohl auch der Grund sein, warum ich hier ebenso an meinem Grenz-Kaffee-Vorhaben scheitere. Weit und breit keine Bar in Sicht. Einzig ein paar alte Frauen und Männer ziehen an diesem sonnigen Tag im Dorf ihre Runden. Eine davon ist signora Elena, die im bunten Kleiderschurz und mit hellbraunem Holzstock auf einem schmalen Wiesenweg gerade in Richtung cascata di Tret unterwegs ist. Für eine kurze chiacchierata hätte die Dame jedoch immer Zeit, meint sie.
Für ihre 94 Jahre sieht signora Elena erstaunlich fit und junggeblieben aus. Das läge an den morosi, den Liebhabern, die sie durchs Leben begleitet haben, erzählt die ledige Elena und lacht laut auf, so dass ich ihre falschen Zähne sehen kann. Auf die Frage hin, warum sie denn nie geheiratet habe, antwortet sie: „se non va, non va“ und zuckt mit den Schultern. Bereits in jungen Jahren ist die gebürtige Tretnerin vom elterlichen Bauernhof weg- und hinunter in die Stadt, nach Meran gezogen. Dort hat sie den Beruf der Schneiderin erlernt und ihr restliches Leben unten im Tal verbracht. Wenn ich sie frage, ob sie in den ganzen Jahren in Südtirol deutsch gelernt habe, meint sie: „Beh, insomma, mi arrangio.“ Diese Aussage spricht für sich. Zur Sprachbarriere, die hier oben im Grenzgebiet öfter spürbar ist, hat die lustige Elena gleich eine schöne Anekdote parat. Elenas italienischsprachiger Bruder hat vor vielen Jahren seine Frau aus dem Vinschgau kennengelernt. Da diese jedoch nicht Italienisch konnte, mussten sich die beiden mit Händen und Füßen verständigen. Die Liebe war jedoch stärker als jede Sprachbarriere und so leben die beiden heute auf dem elterlichen Bauernhof in Tret und haben zusammen fünf Kinder. Sie werden für mich zum Sinnbild dieses Grenzgebietes, das aufzeigt, wie gut Kulturen harmonieren können. Ich verabschiede mich von Elena und ziehe weiter, direkt über die Brücke, die das Trentino von seinem Alto Adige trennt.
„Eimal hausgemachtes Grenz-Eis, bitte“
Einen letzten Versuch an meinen leckeren und günstigen Kaffee zu kommen, wage ich noch etwas tiefer im Trentino. Der lago smeraldo ist mein nächstes und letztes Ziel. Kurz vor Fondo biege ich wieder ein, diesmal links. Um mich in seinem kristallfarbenen Wasser zu spiegeln, ist der See heute zu grün. Also ab in die Seebar, die über dem Eingang verblüffenderweise ein deutschsprachiges „Frische Forellen“-Schild hängen hat. Hier wird man plötzlich wieder zweisprachig bedient, obwohl man sich, geografisch gesehen, eigentlich dem italienischen Trento genähert hat. Höchst wahrscheinlich liegt das am kleinen Tourismusgebiet, das der See mit seinem Canyon bietet.
Mittlerweile kann ich den Kaffee schon fast in meinem Mund schmecken, doch als ich auf der Karte sehe, dass ein normaler Cappuccino hier doch zwei Euro kostet, entscheide ich mich enttäuscht um. Kein billiger Grenz-Kaffee, sondern hausgemachtes Grenz-Eis für mich, bitte. Am Unterfangen „Grenz-Cappuccino“ bin ich also gescheitert. Dafür habe ich umso mehr über Grenzmentalitäten, Zweisprachigkeit und dank Elena auch über die Liebe gelernt.
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