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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 11.09.2014
LebenDas Dorf an der Passhöhe

„Brenner haust nicht auf“

Veröffentlicht
am 11.09.2014
Nur noch 269 Einwohner zählt das Dorf Brenner. Trotz modernem Einkaufscenter und den billigsten Mietwohnungen Italiens scheint der Ort langsam auszusterben.
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Er versucht mit Würstchen gegen die finanzielle Krise anzutreten.

Es regnet und es ist kühl. Die tief hängenden Nebelschwaden machen die trostlose Ortschaft Brenner noch ein bisschen trostloser. An die ehemals florierende Zeit erinnern nur die vielen Bars und Geschäfte, die eine der zwei Einbahnstraßen im Ort säumen. Aber auch die kämpfen ums Überleben, hier im kleinen Passdorf am Brenner. Die Ortschaft gehört zur Gemeinde Brenner, zu der auch die Orte Gossensaß, Pontigl, Pflersch und Brennerbad gehören.
Vor dem Bau der Brennerautobahn in den 70er-Jahren lief der gesamte Verkehr über diese Straße, das Dorf befand sich im Aufschwung. Für Reisende war der Brenner einst der erste Stopp mit gutem Espresso und italienischem Charme auf der Fahrt in den Süden, doch das Flair vergangener Zeiten ist verblasst. Statt des Duftes von Bella Italia riecht man hier nur mehr die Abgase brummender Motoren, die einem jede Unterhaltung erschweren. Der Bahnhof ist heute menschenleer und grau in grau. Als bunter Farbtupfer dient lediglich der moderne Kirchturm. Steht man im Dorf auf 1.372 Metern über dem Meeresspiegel, hat man das Gefühl, es ist ein bisschen in Vergessenheit geraten.

14.000 gegen 269

Vom Dorf Brenner wird in letzter Zeit meist nur in Zusammenhang mit dem häufigen Gasalarm am Bahnhof, dem umstrittenen Brennerbasistunnel und dem Designer Outlet Brenner (DOB) gesprochen. Letzteres wurde 2007 eingeweiht und ist heute wohl Fluch und Segen für die Ortschaft zugleich. Es bringe zwar einerseits mehr Leute ins Dorf, verdränge aber auch Einheimische, sagen die wenigen Brenner-Bewohner, die man trifft.
„Die Geschäfte machen hier alle zu“, erklärt Günther und zeigt mit dem Arm die lange Straße hinunter. 60 Prozent weniger verdienen würden die kleinen Geschäfte durch das Outlet Center“, sagt er. Er steht in der Tür des Cafés Alina, sein kariertes Hemd hat er in die Hose gesteckt. 7.000 bis 8.000 Leute kämen jedes Wochenende in das DOB, erzählt er. Mit den übergroßen Markennamen, die von der Außenfassade blenden, soll das Center so viele Gäste wie möglich auf ihrer Durchreise anlocken. Rekord seien 14.000 Besucher, die an einem Wochenende die rund 60 Geschäfte besuchten. Auch heute, es ist ein Samstag, wimmelt es wieder von Leuten, die ihre prall gefüllten Einkaufstüten durch die Räume schleppen.

Vielen Einwohnern ist das riesige Einkaufscenter ein kleiner Dorn im Auge. „Dennoch“, so Günther, „Brenner haust nicht auf.“ So ganz glauben will man dem Mann mit dem graumelierten Henriquatre-Bart diese Aussage nicht. Aktuell hat das Dorf nur noch 269 Einwohner. Die italienische Staatsbürgerschaft haben davon 147. Die anderen 122 sind Migranten, vorwiegend aus Pakistan. Grund seien die vielen Mietwohnungen, die einst von Eisenbahnern, Zoll- und Polizeibeamten bewohnt wurden und heute leer stehen, so Bürgermeister Franz Kompatscher, der seit 2009 im Amt ist. Wen wundert's: Auf dem Brenner gibt es heute die billigsten Mietwohnungen Italiens.

Chefin Alina und Günther. Cafè Alina ist nur eine Bar von vielen im Dorf Brenner.

Überlebensstrategien

Gegenüber vom Weinhof zum Willi, an dem wie auf vielen anderen Lokalen ein großes „Geschlossen“-Schild prangt, serviert ein Würstelverkäufer den Touristen Hotdogs. „Der Sommer läuft gut, wenn schönes Wetter ist“, sagt der Mann mit hellblauem Hemd und weißem Hütchen auf dem Kopf. „Den Winter muss man überbrücken.“ Auch die Obst- und Gemüseverkäufer an den kleinen Marktständen daneben kennen das schwierige Geschäft: „Sechs Monate lang kann man arbeiten, die sechs übrigen nicht viel.“

Als Geschäftsinhaber muss man sich am Brenner durchkämpfen. Einer der wenigen, der wohl noch länger seinen Wein und sein Waschmittel verkaufen wird, ist der Chef des kleinen Supermarktes mitten im Dorf. Er ist hier geboren und betreibt seit Jahren den Laden. Zwar lebt er mittlerweile fast ausschließlich von Touristen, die das Dorf trotz der wenigen Einwohner äußerst belebt aussehen lassen. Aber er ist zufrieden. „Ich kaufe immer bei den Einheimischen“, sagt eine ältere Dame mit kurzen weißen Locken, die am Holztresen neben der Eingangstür steht und mit der Verkäuferin plaudert. Sie lebt seit 1962 hier am Brenner und immer noch findet sie es wunderbar. „Es hat sich aber vieles verändert. Jetzt leben hier immer mehr Pakistani“, sagt sie und rührt in ihrem Macchiato.

„Meistens, wenn ich mit Freunden im Hinterhof sitze, rufen einige: ‚Stranieri, andate a casa'“.

Noch vor 30 Jahren hatte der Brenner mehr als 500 Einwohner. Dann wurden 1998 die Grenzen geöffnet. Zollbeamte, Soldaten, Carabinieri und Spediteure verloren ihre Arbeit. Auch immer mehr Gastwirte zog es in andere Teile des Landes. Von der Fassade des Grenzpostens lacht heute ein Edelweiß, innen wartet Trachtenmode auf die Käufer. Die Schule wurde bereits vor etwa sieben Jahren zugemacht und die Gemeinde mit der Nachbargemeinde Gossensass zusammengeschlossen.

Samosas und Rasgulla

Auch ein elfjähriges Mädchen mit schwarzen Haaren und langem Kleid mit orientalischen Stickereien besucht die Schule in Gossensaß. Zusammen mit ihren Eltern, zwei Brüdern und ihrer Schwester wohnt sie auf engstem Raum im zweiten Stock eines Wohnblocks. Im Wohnzimmer steht ein Sofa, daneben ein Doppelbett und eine kleine Wohnwand mit Fotos ihrer Großeltern. Bilder von Mekka und Kaaba – dem Haus Gottes – hängen an der Wand. Die ältere der Schwestern besucht das Liceo Linguistico in Sterzing. Sie spricht sechs Sprachen und möchte Kindergärtnerin werden. Die 19-Jährige mag das Leben im kleinen Dorf, „obwohl man hier als junger Mensch nicht viel machen kann.“ Dann öffnet sie die Wohnzimmertür, durch die ihre Mutter mit Chai, einem traditionellen pakistanischen Tee hereinkommt. Die Frau lächelt. Die meiste Zeit sei sie zu Hause, sagt sie. „Es ist kalt, aber es ist gut hier zu wohnen“, erklärt sie in gebrochenem Italienisch. Ihr Mann arbeitet seit 13 Jahren bei der Autobahn – der Grund, warum sie damals von Rom auf den Brenner gezogen sind. Neben dem hellbraunen, milchigen Tee wird jetzt noch traditionelles Essen aufgetischt: Samosas, knusprige, pikante Teigtaschen aus Weizenmehl, gefüllt mit Kartoffeln und allerlei pakistanischen Gewürzen und Rasgulla, süße weiße Bällchen aus geronnener Milch.

Samosas – typische Teigtaschen aus Pakistan. Dazu gab es Chai-Tee.

Die Gastfreundschaft der Familie verblüfft. Nach einem kurzen Gespräch auf dem Dorfplatz bot die Mutter an, zu Hause gemeinsam Tee zu trinken und das, obwohl die Familie nicht immer auf Akzeptanz stößt. „Meistens, wenn ich mit Freunden im Hinterhof sitze, rufen einige: ‚Stranieri, andate a casa'“, erzählt die große Schwester. Ansonsten seien die Leute im Dorf aber alle nett.

Dann folgt die Verabschiedung der herzlichen Migrantenfamilie, die gleichzeitig auch ein Abschied vom Dorf Brenner ist. Fährt man die Straße zurück – an Bäumen und Felswänden vorbei, der Autobahn entlang – hofft man, dass das kleine Dorf noch viele weitere Jahre vor dem Aussterben bewahrt bleibt.

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