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Mit Jugendlichen über Alkohol sprechen, ist Teil des Jobs der Sozialpädagogin Ulrike Huber. Sie leitet am Jugendzentrum Papperlapapp in Bozen das Projekt AllCool. Das hat sich auf die Fahne geschrieben, Schüler zwischen der 3. Mittelschule und 4. Oberschule Informationen rund um das Thema Alkohol zu vermitteln. Bei diesen Workshops wurden von den Jugendlichen Fragebögen zu ihrem Alkoholkonsum und -verhalten ausgefüllt. Ulrike Huber über die Ergebnisse.
Feiern die Jugendlichen heute anders als noch vor zehn Jahren?
Viel hat sich nicht verändert, denn getrunken wird noch gleich viel. Neu ist nur, dass schneller und rauschzentrierter getrunken wird. Heute gehen Jugendliche mit dem Plan aus, sich so richtig zu besaufen. Vor zehn Jahren hat man sich hingegen zum „Ratschen“ getroffen, hat dann während des Ratschers ein bisschen was getrunken und war dann irgendwann komplett hinüber.
Warum trinken wir „rauschzentriert“?
Bei den Workshops an den Schulen werden vor allem drei Gründe genannt: um Spaß zu haben, um lockerer zu werden und um mal Ruhe vor der schnellen Welt zu haben. Die ersten beiden Antworten haben uns nicht erstaunt; sie sind naheliegend. Wichtig ist dabei, den Jugendlichen klarzumachen, dass Alkohol nichts Böses ist, wenn er zum Genuss getrunken wird. Was nicht passieren sollte, ist, dass man sich betrinkt, um Ruhe vor all den Eindrücken im Alltag zu haben. Die Ansprüche an unsere Jugend sind heute viel höher, sie leiden an einem extremen Erfolgsdruck: Durch die Krise, die Jugendarbeitslosigkeit und die Panikmache, dass sie keinen Studienplatz bekommen, wenn sie nicht richtig gute Noten haben. Dass sie das alles auch mal ausschalten wollen, ist aber auch nachvollziehbar.
Laut der Umfrage vom Forum Prävention auf der Facebook-Seite „Sauftirol – Alcol Adige“ hält die Hälfte der Jugendlichen einen Vollrausch für vertretbar. Ist das auch eure Beobachtung?
Was wir schon bemerkt haben, ist, dass es heute was Tolles ist, wenn sich jemand wegen des Alkohols übergibt. Da heißt es schon mal: „Gestern habe ich drei Mal gekotzt, geil, gell?“ Wir haben uns da früher richtig geschämt.
Ab welchem Alter wird getrunken?
Von den 70 Klassen, die wir bei unserem Projekt hatten, hat es keine Klasse gegeben, in der niemand getrunken hat. Auch bei den Mittelschulklassen, wobei das jetzt nicht der Standard ist. Der große Sprung findet zwischen der dritten Mittelschule und ersten Oberschule statt: In der ersten Klasse Oberschule hat fast jeder Schüler schon Erfahrung mit Alkohol gemacht. Da sind die meisten 14 Jahre alt. Wobei man sagen muss, dass es starke Unterschiede zwischen Land und Stadt gibt.
Auf dem Land wird früher getrunken?
Ja, dort gibt es einfach den stärkeren Bezug zum Alkohol. Viele wachsen auf Höfen auf, wo die Trauben und somit der Wein zum Alltag gehören. Außerdem gibt es noch stärker das obligatorische Dorffest, die Musikkapellen, die Bauernjugend und Feuerwehr, durch die der Kontakt zu Alkohol verstärkt wird. Alkohol ist ein kulturelles Gut, das schon immer zum Weinland Südtirol gehört hat. Generell kann man aber auch sagen, dass die Italiener in den Städten noch später mit dem Alkohol anfangen als die deutschsprachigen „Stadtler“. In der Oberschule zieht sich dann alles zusammen. Da gibt es dann die Schere zwischen Berufs- und Oberschulen. Die Berufsschüler kennen sich viel besser mit dem Thema aus. Auch im positiven Sinne.
Im positiven Sinne?
Sie wissen, was man mit jemandem tun soll, der richtig betrunken ist. Viele Oberschüler nicht. Doch das wäre sehr wichtig; dabei handelt es sich um Verantwortung, die jeder einzelne trägt: Wenn ich einen Betrunkenen bewusstlos liegen lasse, und der trägt dann Folgeschäden davon, ist das ja eigentlich unterlassene Hilfeleistung. Wenn jemand bewusstlos ist, muss der ins Krankenhaus gebracht werden! Ich finde in diesem Zusammenhang die neue Regelung problematisch, die die 18-Jahre-Grenze festlegt. Es ist verboten, dass an unter 18-Jährige Alkohol verkauft oder ausgeschenkt wird. Das Experimentier-Alter beginnt nun mal mit 14/15. Also wird im Geheimen getrunken, unkontrolliert, indem irgendwelche billigen Alkoholika zusammengemixt werden. Wenn es dann jemandem schlecht geht, liegt die Hemmschwelle noch höher, den Krankenwagen zu rufen.
Alkohol sollte also wieder ab 16 erlaubt sein?
Ja, jedenfalls macht die 18-Jahre-Regel objektiv gesehen keinen Sinn. Ein guter Ansatz ist die Methode, erst mal Getränke mit niedrigem Alkoholspiegel zu erlauben und dann mit 18 Superalkoholika dazuzunehmen. So können die Jugendlichen den Umgang mit Alkohol lernen. Ein Bier-Rausch ist ja ein ganz anderer Rausch als ein Schnaps-Rausch. Schnaps spürt man spät, aber dann heftig. So viel Bier kann man gar nicht trinken. In Großbritannien, wo Alkohol erst ab 21 getrunken werden darf, haben sie damit richtig Probleme. Die Jugendlichen fahren nämlich in den Süden in Urlaub, betrinken sich dort völlig unkontrolliert – da dürfen sie es ja plötzlich – und kommen dann schwanger heim.
Die Jugendstudie 2009 hat ergeben, dass gute 11 Prozent der zwischen 14- und 25-Jährigen nie Alkohol trinken.
Die Jugendlichen nennen im Großen und Ganzen drei Gründe, warum sie nicht trinken. Nummer eins ist, dass sie es probiert haben und es ihnen nicht schmeckt. Einen großen Teil machen diejenigen aus, die nicht trinken, weil sie Leistungssportler sind. Interessant ist der dritte Grund, den wir uns nicht erwartet haben: Das sind nämlich die Eltern. Die Auswertung der Bögen hat ergeben, dass die Eltern eine sehr wichtige Rolle spielen, ob ihre Kinder viel trinken oder nicht. Die einen haben eine gute Beziehung zu den Eltern, haben mit ihnen darüber gesprochen und verstehen, was das Problematische daran ist. Und den anderen ist es von den Eltern absolut verboten worden. Wenn die Jugendlichen wissen, sie dürfen nicht trinken und zu Hause warten die Eltern, dann ist die Hemmschwelle schon hoch, mit einem Rausch nach Hause zu kommen. Interessant ist auch die gegenteilige Wirkung: Manche von denen, die viel Alkohol trinken, sagen, ihren Eltern sei das egal.
Was stört Südtirols Jugendliche am Nachtleben?
Sie beklagen sich, dass nichts los ist. Wenige Clubs haben offen, Anrainer sind sehr intolerant. Das haben wir auch selbst mitbekommen: Zu Beginn durften wir den Jugendtreff Pippo auf den Talferwiesen nur bis 23 Uhr offen haben – auch wenn wir Konzerte veranstaltet haben. Da sind dann um 23 Uhr alle abgehauen, um noch schnell eine geöffnete Bar in der Altstadt zu finden. Jetzt dürfen wir manchmal bis ein Uhr offen haben, das geht dann schon. Die Leute bleiben dann noch sitzen, trinken ein Bier und gehen dann nach Hause. Aber elf Uhr ist schon mies.
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