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„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Diese Kritik von Marx an Feuerbach ist wohl eines der bekanntesten Bonmots der jüngeren Philosophiegeschichte. Heute hat es jedoch den Anschein, als müsste man dieses Verdikt erstmal wieder auf den Kopf stellen und sagen: „Es kommt darauf an, die Welt zu verstehen, bevor wir sie verändern.“ Welche Welt? Da ist neben der analogen Realität noch die digitale Welt der Social Media – und es ist leicht, sich in den Algorithmen dieses global verzweigten virtuellen Rhizoms zu verirren.
Wir sind seine kommunikativen Knotenpunkte und generieren Resonanz, die einen mehr, die anderen weniger; grelle Farben und laute Botschaften überwiegen; vor allem aber gibt es in dieser Realität keine festgelegten oder vorbestimmten Identitäten mehr. Die tragenden Säulen einer kulturellen Identität – wie Sprache, Schriften, Traditionen, Bräuche, Berufe, Familie und Gemeinschaft, Religiosität – erodieren zunehmend, klassische Hierarchien und strikte Ordnungen wie das Patriarchat verschwinden, flackern aber weiter als eine Art marodierender Chauvinismus.
Neue, unversöhnliche Ideologien entstehen und bekämpfen sich. Die politischen Extrempositionen und aktionistischen Bewegungen ziehen sich auf das zurück, was sie am besten können: Sie berufen sich auf die kollektive Identität. Linke und rechte Identitätspolitik buhlen dabei in den Social Media um Zustimmung. Die Töne sind schrill, viele Standpunkte schienen gestern noch grotesk. In dieser Doppelausgabe wurden verschiedenste Positionen versammelt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf eine Auseinandersetzung mit der konstruktivistischen Identitätspolitik.
Die Autor:innen Karsten Schubert, Ilja Steffelbauer, Fe Simeoni, Hartmut Rosa, Armin Pfahl-Traughber, Nikolas Koschel, Makuna Berkatsashvili und Mirijam Obwexer analysieren Konzepte wie „kulturelle Aneignung“, „Critical Race Theory“ oder „Universalismus und Partikularismus“; sie beleuchten aber auch kritisch den identitätslinken Antisemitismus, Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Kollektivschuldzuweisungen sowie die Trendwende einiger Länder hin zur Einschränkung emanzipatorischer Anliegen. Zentral für Kulturelemente war dabei die Frage: Welche dieser Forderungen driften in ein totalitäres Weltbild ab, und was ist es hingegen wert, weiterhin diskutiert zu werden?
In der Savannen-Rubrik der Südtiroler Autorinnen und Autoren Vereinigung SAAV publizieren Lorena Pircher und Thomas Ballhaus. Als Gastkuratorin bespricht Judith Waldmann die letzten Kunstwerke von Sophie Lazari und untiteled begräbt den bürgerlichen Namen in der Galerie. Zu mehr internationaler Vielfalt im Bücherregel ruft schlussendlich auf der letzten Seite die Literaturexpertin Lydia Zimmer auf.
Vorgestellt wird die neue Ausgabe der Kulturelemente mit dem Vortrag von „Eine Identitätskonflikt: Warum müssen wir unbedingt jemand sein? Linke und rechte Identitätspolitiken zwischen Fremd- und Selbstzuschreibungen“ von Ilja Steffelbauer am Donnerstag, 30. Januar, 18 Uhr im Sparkassensaal im Bozner Waltherhaus. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Bücherwelten statt.
Darum geht es: „Identitätspolitik“ wird im publizistisch und medial viel diskutierten „Kulturkampf“ gegenwärtig vor allem als eine Phase rezenter Minderheitenpolitik der politisch linken oder liberalen Seite zugeschrieben. Nur postmoderne Ironie, dass gerade die radikalen Rechten in Europa sich gleichzeitig als „Identitäre“ bezeichnen? Waren nicht nationale Identitäten vormals ein rechtes, oft konservatives Thema? Warum redet die Linke, die vormals in der Klasse – erweckt durch ein erst herzustellendes Klassenbewusstsein – die einzige relevante Form von Identität sah, seit geraumer Zeit über Zugehörigkeiten, über die sich vormals vor allem Rechte Gedanken machten: Geschlecht, Religion, „Rasse“, Nation, sexuelle Orientierung? Oder reden die politischen Lager zwar scheinbar über dasselbe, de facto aber über völlig verschiedene Konzepte von Identität: essentialistische vs. konstruktivistische. Ist das der wirkliche „Identitätskonflikt“? Darüber referiert der an der Universität für Weiterbildung Krems lehrende Autor, Vortragender und Kulturkritiker Ilja Steffelbauer.
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