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Als Mitarbeiterinnen der Frauenhausdienste in Südtirol, geregelt durch das Landesgesetz 10/89 und die seit Jahren schon das in den letzten 30 Jahren gewonnene Wissen in einem Netzwerk zusammenführen,
ist es unser Anliegen, einige Anmerkungen zu dem vorgeschlagenen Gesetzesentwurf “Interventionen zur Verhinderung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und zur Unterstützung von Frauen und ihren Kindern” vorzubringen. Dieser Gesetzesentwurf ist am 7. September von der Landesregierung nach einem langen Prozess, an dem wir bis zu einem bestimmten Punkt bereitwillig und mit Überzeugung teilgenommen haben, verabschiedet worden. Ab Dezember 2020 wurde ohne uns weitergearbeitet, so dass unsere Forderungen und Zweifel NICHT mehr berücksichtigt bzw. sogar abgeändert wurden, wie wir jetzt feststellen, nachdem uns der Landesgesetzentwurf offiziell zugestellt wurde. Wir gehen davon aus, dass als nächstes die Diskussionen in der Gesetzgebungskommission und anschließend im Südtiroler Landtag folgen werden, um die Umwandlung in ein Gesetz so schnell wie möglich voranzutreiben.
Doch der Reihe nach: Nach der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs (2019-2020), an der einige Expertinnen der Frauenhausdienste bis Anfang 2021 mitgewirkt haben, wurde der Arbeitsgruppe eine Version vorgelegt, die einige Änderungen enthielt – Änderungen, die wir für absolut unangemessen, ja sogar gefährlich halten. Zudem entsprechen sie nicht den internationalen Leitlinien für Interventionen zugunsten von Frauen und ihren Kindern, die geschlechtsspezifische Gewalt durch einen Mann erfahren, entsprechen. Nachdem wir im Frühjahr Einsicht in den nun endgültigen Entwurf erhielten, baten wir mittels Brief Landesrätin Deeg um Aufklärung. Sie antwortete einen Monat später mit einer höflichen E-Mail, die jedoch inhaltslos war, da sie weder die Änderungen erläuterte noch auf unsere Bedenken einging. Hauptkritikpunkt waren der Artikel 7 und der Artikel 8.
Der Schwerpunkt der Kontaktstellen gegen Gewalt ruht auf der Unterstützung von Frauen und ihren Kindern durch Zuhören ohne Wertung, Garantie von Anonymität, Schutz und Sicherheit aus geschlechtsspezifischer Perspektive, welche die Frauen und ihre Bedürfnisse und Wünsche in den Mittelpunkt stellt. Wir sind der Ansicht, dass diese Grundsätze untergraben werden, wenn in Artikel 7 des Gesetzentwurfs von einer “territorialen Anlaufstelle” die Rede ist. Wir wissen, dass Frauen, wenn sie ihre Gewalterfahrungen schildern, kompetente und angemessene Antworten brauchen und ein Recht darauf haben. Die Dienste des Frauenhauses sind so strukturiert, dass die Frau 24 Stunden am Tag die Möglichkeit hat, ein offenes Ohr und eine sofortige Intervention zu bekommen, die von Expertinnen durchgeführt wird. Diese leisten professionelle Beratung und nehmen eine Risikoeinschätzung vor. Diese Garantien werden auch durch die Akkreditierung der Frauenhausdienste (Beschluss Nr. 909 vom 22.8.2017) garantiert.
Wir sind daher der Meinung, dass es für das Leben der Frauen höchst riskant ist, sich an eine Anlaufstelle zu wenden, die diese Grundsätze nicht garantieren kann und die nichts zu der Informationsfunktion beiträgt, die bereits von den Sozialdiensten der Bezirksgemeinschaften, von den Ordnungskräften und von den Gesundheitsdiensten durchgeführt werden sollte.
Wir betonen, dass die Istanbul-Konvention (2013 von Italien ratifiziert und oft auch hierzulande diskutiert) die Kontaktstellen gegen Gewalt als Koordinations- und Referenzstellen ausweist, nicht nur in der fallbezogenen Intervention, sondern auch in Hinblick auf die Prävention und Zusammenarbeit, d.h. die Vernetzung der Dienste. Insofern ist der Vorschlag der Koordinierung der territorialen Netzwerke durch die Kontaktperson der territorialen Anlaufstelle, wie in Artikel 8 vorgesehen, völlig unangemessen.
Darüber hinaus erscheint die Rolle der Landesregierung im Gesetzentwurf in einigen Punkten aus dem Zusammenhang gerissen, da ein politisches Gremium mit technischen Zuständigkeiten betraut wird, wie z. B. dem “modus operandi (oder Leitung und Planung)” des Koordinierungstisches und der thematischen Arbeitsgruppen.
Wir kritisieren nicht gerne “von außen”, und hätten es vorgezogen, der Angelegenheit eine positive Wende zu verpassen, in dem wir bis zuletzt mit all unserem Fachwissen und unseren Erfahrungen am Gesetz hätten mitwirken können. Wir sind nämlich der festen Überzeugung, dass dieses Gesetz eine Chance für die Weiterentwicklung der Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt darstellt und dass sich damit die Provinz weiterhin dazu verpflichtet, diesen Prozess fortzusetzen. Ein Prozess, der Ende der 1980er Jahre begann, als sich die Zivilgesellschaft auch durch die noch immer präsenten Frauenbewegungen der Ernsthaftigkeit eines frauenverachtenden Alltags bewusst wurde und der durch das Gesetz 10/89 von der Politik übernommen wurde. Betrachtet man die Zahlen, ist die Situation für Frauen immer noch schwierig. Und das ist ein Euphemismus.
Darum hoffen wir auf eine Überarbeitung der von uns hervorgehobenen Punkte: kritische Punkte, die nicht nur die Arbeit der letzten Jahre seitens der Kontaktstellen gegen Gewalt zunichtemachen, sondern vor allem die Situation für die Frauen selbst verschlechtern würden.
Wir hoffen auf einen fruchtbaren Dialog im Interesse aller Frauen, die von Gewalt betroffen sind oder in Zukunft betroffen sein werden.
Die Mitarbeiterinnen der Frauenhausdienste der Provinz Bozen
Quelle:Support BARFUSS!
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