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Am 19. Januar 2024 stellt der Historiker Andrea Di Michele in Bozen sein neues Buch vor. Er untersucht darin die angewandten Strategien, um die nach 1919 an Italien gefallenen Gebieten zu italianisieren. Dem Versuch, in Besitz von Grund und Boden zu kommen, kam dabei eine entscheidende Rolle zu.
Wie ging man vor, um jene Gebiete zu italianisieren, die nach dem Ersten Weltkrieg an Italien gefallen, aber kulturell deutsch-österreichisch, kroatisch oder slowenisch geprägt waren, also Südtirol und Julisch-Venetien? Dieser Frage geht Andrea Di Michele in seinem neuen Buch nach, das auf jahrelangen Recherchen in zahlreichen italienischen und internationalen Archiven aufbaut. Man setzte auf eine Politik der Landaneignung – so Di Michele –, die darauf zielte, den sogenannten Fremdstämmigen – der Deutsch, Slowenisch bzw. Kroatisch sprechenden Bevölkerung – zumindest zum Teil den Grundbesitz zu entziehen, um dort Bauernfamilien anzusiedeln, deren ausgeprägter „Italianität“ man sich gewiss war. Es galt das Prinzip: Nur wer den Boden besitzt, kann sich tatsächlich als dessen Herr betrachten.
Das Resultat dieser Bestrebungen fiel letztendlich aber bescheiden aus: Sowohl knappe Finanzmittel als auch außenpolitisches Kalkül bremsten solch ehrgeizige Ambitionen bald ein. Insbesondere in Südtirol ließen sich die geplanten Enteignungen und die daran anzuschließende Schaffung von italienischen Agraransiedlungen nicht umsetzten. Ein Grund dafür lag auch in dem durchaus positiven Bild, das etwa der Faschismus vom Tiroler Bauern zeichnete: Dieser galt als konservativ, erzkatholisch und an eng mit dem Boden verbunden und konnte als solcher nahezu als Vorbild für die Bauern in anderen Regionen Italiens dienen.
Das Buch rekonstruiert die faschistischen Vorhaben für eine „Eroberung des Bodens“ und dokumentiert deren Scheitern. Dadurch öffnet es den Blick für die ambivalente und inkohärente Politik des Regimes gegenüber den sprachlichen Minderheiten und verweist auf Kontinuitäten zur nationalistischen-irredentistischen Ideenwelt wie auch zu jener der Nachkriegszeit; und nicht zuletzt zeigt es, wie wenig konstant und linear der Faschismus die Grenzen der italianità definierte.
INFORMATIONSBOX
Buchvorstellung in deutscher und italiensicher Sprache
Terra italiana. Possedere il suolo per assicurare i confini 1915–1954
Laterza 2023
Der Autor Andrea Di Michele (Freie Universität Bozen)
im Gespräch mit
dem Historiker Lutz Klinkhammer (Deutsches Historisches Institut, Rom)
Wann: 19. Januar 2024, 18:30 Uhr
Wo: Bozen, Altes Rathaus, Konferenzsaal, Lauben 30
Eine Veranstaltung von Geschichte und Region/Storia e regione
Informationen zum Autor Andrea Di Michele: Andrea Di Michele ist Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Bozen. Er forscht zur Geschichte von Grenzregionen, zur Geschichte des Faschismus und der italienischen Republik.
Informationen zu Lutz Klinkhammer: Lutz Klinkhammer ist seit 1999 am Deutschen Historischen Institut in Rom als Referent für den Forschungsbereich 19. und 20. Jahrhundert tätig und seit 2017 dessen Stellvertretender Direktor des DHI Rom. Er war Mitglied der von den Außenministern der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik eingesetzten Deutsch-Italienischen Historikerkommission von 2009 bis 2012.
Quelle:Support BARFUSS!
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