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Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen. Technologische Entwicklungen schreiten rasant voran, gesellschaftliche Gräben vertiefen sich, autoritäre Tendenzen gewinnen an Einfluss. All das wird begleitet von einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Grundwerten und persönlicher Freiheit. In unserem Jahrzehnt voller Ungewissheit können wir zumindest eines mit Sicherheit sagen: Die Welt wird sich in den kommenden 25 Jahren radikal verändern. Inwiefern?
Vor zehn Jahren noch konnte man über „künstliche Intelligenz“ und vollständige Automation in allen Lebensbereichen beim Schauen von Filmen wie „I, Robot“ oder „A.I. – Künstliche Intelligenz“ schmunzeln. Doch heute sind diese Thematiken Realität. In den nächsten Jahren wird die KI deutlich intelligenter und mächtiger werden und die Automation vieler unserer Lebensbereiche vorantreiben. Diese Entwicklung wird weitreichende Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben. Nach und nach werden die meisten Arbeitskräfte aus (fast) allen Berufen durch Maschinen ersetzt werden, welche durch KI-basierte Programme gesteuert werden. Während Arbeitsplätze wie die des Buchhalters, des Lagerarbeiters, des Sekretärs oder des Anwalts schon in naher Zukunft wegfallen werden, werden Berufe wie der des Elektrikers, des Lehrers, des Arztes oder des Managers noch länger bestehen – aber auch sie werden nach und nach von neuen Technologien ersetzt werden.
Doch die künstliche Intelligenz wird meiner Erwartung nach in Zusammenarbeit mit der Robotik beinahe alle Arbeitskräfte aus allen Bereichen ablösen können.
Nun könnte jemand behaupten, dass an Stelle dieser „alten“ Berufe dafür neue entstehen und sich dieses Phänomen also nicht negativ, ja gegebenenfalls sogar positiv auf die nationale und globale Arbeitslosigkeitsraten auswirkt, wie es bereits mit der Erfindung der Dampfmaschine, der Entwicklung des Computers und des Internets der Fall war. Auch damals hatte man befürchtet, dass diese Erfindungen gravierende Auswirkungen hinsichtlich Massen-Arbeitslosigkeit haben.
Ich denke aber, dass man die derzeitige Lage (industrielle Revolution 4.0) nicht mit vergangenen Entwicklungen vergleichen kann. Zum einen schreitet die derzeitige KI-Revolution sehr schnell voran, während sich die industrielle Revolution über viele Jahrzehnte hinzog. Zum andern betrafen die früheren Entwicklungen nur bestimmte Klassen von Arbeit: die industrielle Revolution ersetzte einige Formen körperlicher Arbeit; die Computerisierung vor allem repetitive Informationsverarbeitung. Doch die künstliche Intelligenz wird meiner Erwartung nach in Zusammenarbeit mit der Robotik beinahe alle Arbeitskräfte aus allen Bereichen ablösen können.
Die sich bis ins Jahr 2050 fast vollständig eingestellte Automation wird zu großen gesellschaftlichen Problemen führen. Man muss sich bereits jetzt die Frage stellen: Wie soll sich ein Mensch bzw. wie sollen wir alle uns versorgen, wenn wir kein Einkommen mehr haben, weil es aufgrund von KI und Robotik keine Arbeitsplätze mehr gibt? Eine mögliche Antwort, die schon jetzt immer häufiger diskutiert wird, ist das bedingungslose Grundeinkommen, erwirtschaftet durch eine Maschinensteuer. Es könnte sicherstellen, dass jeder Mensch unabhängig von seiner Arbeitsleistung Zugang zu den grundlegenden Mitteln zum Leben hat – also Nahrung, Wohnraum, Bildung und medizinische Versorgung. Allerdings ähnelt eine solche Entwicklung dem Kommunismus und würde möglicherweise zu altbekannten Problemen führen.
Arbeit vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Wir würden uns als Menschheit wohl kaum mehr weiterentwickeln, da die Motivation zur Innovation schwinden würde. Außerdem wäre der Mensch, so sagen manche Psycholog:innen, ohne Arbeit bzw. mit zu viel Freizeit wohl unglücklicher, da ihm dann der Sinn im Leben fehlt. Arbeit vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Die Freizeit und unsere Hobbys sind nur im Kontrast zur Arbeit, also zu der Zeit, die wir nicht selbstbestimmend verwalten können, bedeutend. dieser scheinbar paradoxe Umstand lässt sich vielfach bei Rentnern und Lottogewinnern beobachten, die ohne Beschäftigung oft in Depression verfallen.
Wie wir dieses Problem lösen können, und wie wir zukünftig unsere Zeit verbringen sollen, wird wohl eine der wichtigsten Fragen der nächsten Jahre sein.
Eine weitere Entwicklung, die sich derzeit in vielen Ländern beobachten lässt, könnte unser Leben in den kommenden Jahrzehnten und somit auch die Welt im Jahr 2050 ebenfalls stark bestimmen: die Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Grundwerten und persönlicher Freiheit und das Erstarken autoritärer, antidemokratischer Ideologien. Viele Menschen, gerade auch bei uns in Europa, scheinen unsere Demokratie und Freiheit, die über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg erkämpft wurde, nicht mehr wertzuschätzen – vielleicht, weil diese Werte für einen Großteil der Bevölkerung selbstverständlich geworden sind. Diese Tendenz in Kombination mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz könnte gravierende Folgen haben und zu einer Welt führen, die jener aus „1984“ von George Orwell nicht unähnlich ist.
In einer solchen Welt könnten umfassende Überwachungssysteme, gesteuert durch hochentwickelte Algorithmen, jeden Aspekt des menschlichen Lebens kontrollieren – von der Kommunikation über das Konsumverhalten bis hin zu politischen Einstellungen. Was heute noch wie dystopische Fiktion erscheint, wird durch die rasante technologische Entwicklung und die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Einschränkungen individueller Rechte immer realistischer. Künstliche Intelligenz, ursprünglich als Werkzeug zur Verbesserung des menschlichen Lebens gedacht, könnte in den Händen autoritärer Regime zu einem machtvollen Instrument der Unterdrückung werden.
In einer Gesellschaft, in der Sicherheit und Effizienz über Freiheit und Demokratie gestellt werden, wird es zunehmend schwerer, unabhängige Meinungen zu äußern oder staatliches Handeln zu hinterfragen.
Bereits heute lassen sich erste Anzeichen für diese Entwicklung erkennen. So nutzen manche Regierungen wie China KI-basierte Gesichtserkennung, um Proteste zu überwachen oder abweichende Meinungen zu unterdrücken. In einer Gesellschaft, in der Sicherheit und Effizienz über Freiheit und Demokratie gestellt werden, wird es zunehmend schwerer, unabhängige Meinungen zu äußern oder staatliches Handeln zu hinterfragen. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wie viel Freiheit wir für unsere Sicherheit aufgeben wollen, sodass wir letztendlich nicht beides verlieren. Denn die Gefahr liegt nicht nur in der Technik selbst, sondern in der schleichenden Akzeptanz dieser Entwicklungen durch die Bevölkerung. Wenn die Menschen bereit sind, für ein vermeintliches Gefühl der Sicherheit ihre Grundrechte aufzugeben, dann sind es nicht mehr allein die Mächtigen, die die Demokratie aushöhlen – sondern auch eine Gesellschaft, die die Bedeutung dieser Werte vergessen hat.
Wenn wir also in die Zukunft blicken und uns die Welt im Jahr 2050 vorstellen, wird klar: Unsere Entscheidungen im Hier und Jetzt bestimmen, ob wir in einer freien, offenen Gesellschaft leben – oder in einer Welt, in der Überwachung, Kontrolle und Gleichgültigkeit herrschen. Demokratie ist kein Zustand, sondern ein fortwährender Prozess, der unser Engagement braucht. Nur wenn wir uns ihrer Bedeutung bewusst bleiben und sie aktiv schützen, kann sie auch für kommende Generationen erhalten bleiben.
Gerade für uns junge Menschen ist es jetzt wichtig, dass wir in den Bildungseinrichtungen über die aktuellen Entwicklungen informiert und über die damit einhergehenden Risiken aufgeklärt werden. Denn nur durch Wissen und Bildung können wir uns in einer Zeit voller Veränderung zurechtfinden und Grundwerte wie Demokratie und Freiheit schützen.
René Petrik
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