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Wie die Welt im Jahr 2050 aussehen wird, mag weit entfernt erscheinen. Doch eigentlich sind es nur noch 25 Jahre, die uns von dieser Zukunft trennen. Für mich als 2000er-Kind entspricht das genau meiner bisherigen Lebenszeit – und diese ist regelrecht verflogen. Es wird also nicht mehr allzu lange dauern, bis wir uns dieser Zukunft stellen müssen. Diese Formulierung habe ich bewusst etwas negativ gewählt, da ich eine wohl eher pessimistische Perspektive auf 2050 habe.
Gerade jetzt, wo auf das vergangene Jahr 2024 mit etwas Distanz zurückgeblickt werden kann, gab es erneut zahlreiche Entwicklungen, die mir als junger Frau große Sorgen bereiten. Allen voran: der sich wie ein Lauffeuer ausbreitende Rechtsruck in vielen Staaten Europas und den Vereinigten Staaten; die enttäuschenden Ergebnisse der weltweiten Klimakonferenz in Baku; und die zunehmend salonfähig werdende Misogynie mit Afghanistan und Iran als warnende Beispiele, wohin dies im schlimmsten Fall führen könnte. Auch der Einfluss von sozialen Medien auf die Geschicke der Weltgeschichte darf meiner Meinung nach nicht unterschätzt werden. Politische Diskussion finden nun in diesem von Algorithmen gelenktem, reaktionärem Medium statt. Die Politik in der „realen“ Welt passt sich diesem Trend an, und wird ebenfalls reaktionärer. Nachhaltige Politik im Gegensatz dazu immer unerwünschter und erfolgloser. All das lässt mich mit Pessimismus in die Zukunft blicken.
Die Welt ist im Wandel, wie sie es eigentlich schon immer war.
Fakt ist: Die Welt ist im Wandel, wie sie es eigentlich schon immer war. Der grundlegende Unterschied heute ist aber die rasante Geschwindigkeit, mit welcher diese Veränderungen stattfinden können. Vor allem technische Umbrüche können mittlerweile im Monatstakt passieren. Transport- und Kommunikationswege werden zunehmend verkürzt, wodurch auch politische Entscheidungen viel schneller zum Tragen kommen können, als dies vor 100 Jahren vielleicht noch der Fall war. An dieses Tempo müssen wir uns also schlichtweg gewöhnen. Eine Flexibilität dahingehend muss bewahrt werden, um gesellschaftsfähig zu bleiben.
Vor diesem Hintergrund ist es einleuchtend, dass dieser zügige Wandel viel Unbehagen und Angst mit sich bringt. Schon jetzt äußert sich das Unwohlsein auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Trotzreaktionen, radikale Lösungen auf Probleme sowie ein Wunsch nach Kontrolle und Rückkehr zum Ursprung, mit Fokus auf die Kernfamilie sind Programm. Vor dem großen Fortschritt kann es also durchwegs zunächst zu einem großen Rückschritt kommen, wenn die Menschen für Veränderungen noch nicht bereit sind und ihr Unwille zum Ausdruck kommt.
Angst kann bekanntlich sehr gut instrumentalisiert werden. Heute ist dies dank zahlreicher technologischer Medien besser möglich als je zuvor. Die Flut an Information, der wir insbesondere in sozialen Netzwerken ausgesetzt sind, kann unsere politische Meinung einerseits stark beeinflussen – und uns andererseits von den tatsächlichen Geschehnissen in der realen Welt ablenken. Dies führt einerseits zu Radikalisierung, und andererseits zu einer lähmenden Passivität.
Momentan wird technologische Entwicklung überwiegend von der Wirtschaft bestimmt, die selbsterklärend keine ethischen Interessen verfolgt.
Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Technologien – unter anderem die in sozialen Medien eingesetzten Algorithmen – bis 2050 stärker zu regulieren. Derzeit gibt es nämlich nur wenige Richtlinien, die den technischen Fortschritt gezielt steuern. Vor allem fehlt es an grenzüberschreitenden Regelungen. Momentan wird technologische Entwicklung überwiegend von der Wirtschaft bestimmt, die selbsterklärend keine ethischen Interessen verfolgt. Dadurch sind neue Errungenschaften – allen voran die viel diskutierte künstliche Intelligenz – häufig von den Werten und Vorurteilen derjenigen geprägt, die sie entwickelt haben. Es ist daher dringend notwendig, bis 2050 eine globale Zielsetzung zu etablieren, die klare ethische Leitlinien für die technologische Forschung definiert. Nur so kann technologische Entwicklung langfristig zu echtem Fortschritt führen, anstatt als Waffe missbraucht zu werden.
Fortschritt war jedoch noch nie ein einfacher Weg. Wenn man in die Geschichte zurückblickt, wird deutlich, dass er stets mit Herausforderungen und Widerständen einherging. Dies ist keine Besonderheit unserer Zeit, sondern ein ständiger Begleiter von Veränderung. Ein Blick auf die vergangenen 100 Jahre zeigt aber, dass in Europa Vieles, zuvor Unerdenkliches, bereits erreicht wurde. Fortschritte in den Bereichen Menschenrechten, Frauenrechten, Demokratie und Wohlstand geben Anlass zur Hoffnung. Sie zeigen, dass langfristige Verbesserungen möglich sind, auch wenn der Weg dorthin oft beschwerlich ist. Mit diesem Wissen im Hinterkopf glaube ich fest daran, dass auch wir weitere positive Entwicklungen erleben werden.
Ich wünsche mir, dass die Menschen bis 2050 ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickeln, in welch großer Freiheit und welchem Wohlstand wir heute in Europa leben. Dieser Lebensstil sollte mehr geschätzt und mit größerem Respekt behandelt werden, anstatt ihn leichtfertig durch Populismus und Spaltung aufs Spiel zu setzen.
Ich wünsche mir eine Welt, wo Wohlstand und Freiheit nicht nur ein westliches Privilegium sind, sondern weltweit geteilt werden.
Zudem ist es wichtig anzuerkennen, dass unser erreichter Wohlstand auch mit einer Kehrseite einhergeht und nur durch Klimawandel und Ausbeutung ermöglicht wird. Ein aktives Engagement für Verbesserungen ist also unerlässlich, um unsere Lebensqualität nicht nur zu bewahren, sondern auch nachhaltig zu gestalten.
Ich wünsche mir für 2050 eine Welt, in der Technologie ethisch entwickelt wird – und uns Menschen den Alltag nicht nur vereinfacht, sondern auch eine Chance darstellt, unseren hohen Lebensstandard fortzusetzen, ohne dass dieser auf Umweltzerstörung und Ausbeutung beruhen muss. Ich wünsche mir eine Welt, wo Wohlstand und Freiheit nicht nur ein westliches Privilegium sind, sondern weltweit geteilt werden. Schließlich wünsche ich mir eine Welt, in der Wut und Angst, die uns derzeit prägen, einer Besonnen- und Klarheit weichen, die uns an gemeinsamen Zielen arbeiten lassen.
Damit diese Vision Wirklichkeit wird, müssen wir aber heute die richtigen Weichen stellen. Es liegt an uns, Fortschritt verantwortungsvoll zu gestalten – mit klaren ethischen Richtlinien für Technik und Wirtschaft, einer nachhaltigen Politik und einem gestärkten Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit. Jetzt ist die Zeit, in der aktiv daran gearbeitet werden muss, damit wir bis 2050 eine Welt schaffen können, in der technische Innovation nicht nur der Menschheit dient, sondern auch den Planeten schützt. Eine Welt, in der Freiheit und Wohlstand nicht auf Kosten anderer stehen, sondern global geteilt werden.
Dieser optimistische Zukunftsausblick ist trotz aller Widrigkeit immer noch eine Möglichkeit. Er beginnt jedoch mit dem, was wir heute tun. 2050 liegt in unserer Hand
Text: Sonja Capello, Bozen
Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research).
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