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Der Glaube daran, dass die Liebe eine gute und schöne und erstrebenswerte Sache sei, wird selten kritisch befragt, auch in feministischen Kontexten nicht. Und das, obwohl die romantische Liebe, insbesondere in ihrer heteroromantischen Normvariante, und die Ideologie, die sie umgibt, einen der wichtigsten Grundpfeiler im Patriarchat darstellen.
S. 11Romantische Liebe – die große Erzählung, die uns von klein auf eingetrichtert wird: Ohne sie kein Glück, keine Erfüllung, kein richtiges Leben. Beatrice Frasl tritt in ihrem Buch „Entromantisiert euch! ein Weckruf“ auf genau diesen rosaroten Schleier – mit Anlauf. In ihrem Essay seziert sie die gesellschaftliche Überhöhung der romantischen Zweierbeziehung und zeigt, warum vor allem Frauen dabei oft den Kürzeren ziehen.
Das Beste an der romantischen Liebe ist nämlich, dass wir sie nicht brauchen.
S. 19Die Autorin geht der Frage nach, wie heteroromantische Beziehungen strukturell Ungleichheit zementieren – mit Fakten zu unbezahlter Care-Arbeit, psychischer Belastung und ökonomischer Abhängigkeit. Die romantische Liebe, so Frasl, sei weniger süßes Herzklopfen als viel mehr eine patriarchale Dauerkampagne. Besonders spannend: Frasl legt den Finger nicht nur auf gesellschaftliche Missstände, sie analysiert auch präzise, wie Sprache, Medien und kulturelle Narrative die romantische Liebe systematisch überhöhen – von Disney-Prinzessinnen bis zur Netflix-Dauerromanze. Dabei entlarvt sie nicht nur das Märchen, sondern auch seine Mechanismen: Wie uns das Ideal der „großen Liebe“ klein hält, einsam macht und in ungleiche Rollen drängt. Und wie wenig das alles eigentlich mit echter Nähe oder Zuneigung zu tun hat. Frasl zeigt außerdem eindrucksvoll, wie die Fixierung auf romantische Zweierbeziehungen andere Formen der Bindung systematisch abwertet. Ob Wahlfamilien, enge Freundschaften oder solidarische Gemeinschaften – sie alle geraten unter die Räder des Liebes-Primats. Das Buch plädiert nicht nur für ein Umdenken in Sachen Romantik, sondern auch für eine Erweiterung unserer Vorstellungen von Nähe, Verantwortung und Lebensgemeinschaft. Warum sollte ausgerechnet die Paarbeziehung das Nonplusultra des Zusammenlebens sein?
Mit spitzer Feder erklärt die Autorin, wie sich Verliebtheit neurologisch eher wie eine Sucht verhält (ja, wirklich!) und wie gefährlich es sein kann, das eigene Lebensglück an einen anderen Menschen zu ketten. Stattdessen: mehr Freundschaft, mehr Solidarität, mehr kollektives Miteinander. Und weniger Märchen.
Freundschaften sind Liebesbeziehungen. Vielleicht sind sie es sogar in höherem Maße und auf profundere Weise, als es romantische Beziehungen sind.Denn in Gesellschaften, in denen unser Beziehungsleben durch das Romantikprimat organisiert ist, bindet uns tatsächlich nichts an unsere Freund*innen als eben: Liebe.
S. 34Was das Buch nicht ist: ein Liebesverbot. Frasl will die Liebe nicht abschaffen – aber den verklärten Blick darauf.
Was es ist: ein lauter, kluger, provokanter Aufruf, unsere Vorstellungen von Beziehungen zu überdenken. Und zwar gründlich. Und den Blick öffnen für andere Formen der Liebe und des Zusammenlebens.
„Kaum etwas wird mehr romantisiert als romantische Liebe. Kaum etwas hat diese Romantisierung weniger verdient.“ – Dieses Buch knallt. Es rüttelt wach, macht wütend, manchmal traurig – und bringt einen dazu, nicht nur das eigene Beziehungsleben, sondern auch so manches Disney-Ende mit anderen Augen zu sehen. Die These, dass romantische Liebe für Frauen oft mehr Ballast als Bereicherung ist, bleibt hängen – egal, ob man zustimmt oder innerlich (noch) rebelliert. Es ist unbequem, aber gerade das macht es stark. Wer beim Lesen denkt: „Uff, das ist ganz schön radikal“ – genau das ist der Punkt. Frasl rüttelt nicht sanft wach, sie schüttelt ordentlich durch. Und das ist dringend nötig. Denn solange romantische Liebe weiter als alternativloses Lebensziel verkauft wird, brauchen wir Bücher wie dieses, die unbequem sind und neue Fragen stellen. Ob man am Ende jede These teilt oder nicht: Wer es gelesen hat, wird garantiert nie wieder einfach so „nur“ eine Liebeskomödie schauen.
Unterm Strich ist „Entromantisiert euch! ein Weckruf“ ein wichtiger Beitrag zum feministischen Diskurs – bissig, scharf argumentiert, gut recherchiert. Und definitiv ein Buch, das man nicht still runterliest, sondern über das man streiten, nachdenken und sprechen sollte. Und ja: Danach fühlt sich die beste Freundin oder der beste Freund vielleicht noch ein Stück mehr wie die wahre große Liebe an.
Das Buch ist im Haymon Verlag erschienen.
Mehr feministische Lesetipps unserer Buchbloggerin Carmen Waldthaler
gibt es auf ihrem Instagram-Channel c_booksblog! #frauenlesen
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