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In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch ein juristisches Kuriosum. Er gilt nach wie vor als rechtswidrig (§ 218 StGB), wird aber in bestimmten Fällen straffrei gestellt, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die Schwangere muss sich zunächst bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle melden, drei Tage warten und kann den Abbruch dann innerhalb der ersten zwölf Wochen von einer Ärztin oder einem Arzt durchführen lassen. Auch nach einer Vergewaltigung oder bei fetaler Fehlentwicklung ist ein Abbruch ohne Geld-oder Gefängnisstrafe möglich – und wenn Leben oder Gesundheit der Schwangeren akut gefährdet sind, kann ein Schwangerschaftsabbruch zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft vorgenommen werden. Kurz: Das deutsche Recht tarnt sich als Kompromiss – in Wahrheit bleibt jede Entscheidung für einen Abbruch irgendwie „rechtswidrig“ und stigmatisiert.
Generell herrscht in der katholischen Kirche der Glaube, dass eine Abtreibung – egal zu welchen Zeitpunkt vorgenommen – mit Kindstötung gleichzustellen ist. Schließlich hat Gott zu diesem Leben „Ja“ gesagt. Dass die Frau, aus welchem Grund auch immer, aber deutlich „Nein“ zum ungewollten Leben sagt, das in ihr heranwächst, ist dabei völlig egal.
Lippstadt verschärft das Strafrecht aus religiösem Eifer
Und dann ist da Lippstadt. Anfang 2025 fusionierten drei Krankenhäuser – das Evangelische Krankenhaus, das Katholische Dreifaltigkeits-Hospital und das Marien-Hospital Erwitte – zum „Klinikum Lippstadt – Christliches Krankenhaus“.
Die katholische Seite nutzte die Gelegenheit, ein klares Statement zu setzen: Schwangerschaftsabbrüche werden dort ab sofort nur noch durchgeführt, wenn Leib oder Leben der Schwangeren akut bedroht sind. Mit anderen Worten: Abtreiben darf nur, wer „kurz vor dem Abkratzen“ ist. Keine Abbrüche nach Vergewaltigung oder Inzest. Keine bei schweren fetalen Fehlbildungen. Keine bei massiver psychischer Belastung. Keine bei ungewollter Schwangerschaft ohne unmittelbare Lebensgefahr. Auch finanzielle Not, instabile Partnerschaften oder psychische Erkrankungen zählen nicht. Dabei sind die Gründe, warum Frauen einen Abbruch wünschen, vielschichtig und real: Armut, Gewalt, Krankheit, Überforderung – alles legal, alles zulässig. Doch das Klinikum verweigert ihn trotzdem.
Frauenrechte werden zur Nebensache, medizinische Grundversorgung zur Frage religiöser Doktrin.
Jetzt fragt man sich: Wenn das Gesetz diese Ausnahmen vorsieht, wie kann ein kirchlich geführtes, öffentlich finanziertes Krankenhaus einfach darüber hinweggehen?
Ganz einfach: Es muss nicht. Krankenhäuser sind nicht verpflichtet, alle legalen Leistungen anzubieten. Ein katholischer Träger darf also sagen: „Das machen wir nicht, weil es nicht in unser Weltbild passt.“ Rein juristisch wasserdicht – politisch, gesellschaftlich und ethisch jedoch ein Schlag ins Gesicht für Frauen in Not. Frauenrechte werden zur Nebensache, medizinische Grundversorgung zur Frage religiöser Doktrin.
Und da drängt sich mir die nächste Frage auf: Würde sich ein katholisches Krankenhaus ebenso klar positionieren, wenn es etwa um die chemische Kastration von Sexualstraftätern ginge? Oder hätte der eine oder andere dann doch zu viel Angst um sein gläubiges Würstchen unterm liturgischen Gewand? Die katholische Kirche regelt das folgendermaßen: Sexualstraftäter innerhalb der eigenen Reihen wurden in der Vergangenheit nicht nur geschützt, sondern maximal mit internem Verbot der Tätigkeit bestraft. Zwangsmaßnahmen wie chemische Kastration oder andere medizinische Eingriffe werden nicht durchgeführt; die Kirche betont „Buße und Umkehr“ statt strafrechtliche Sanktionen. Und beim Gesetz sieht’s ähnlich aus: Chemische Kastration ist nur auf freiwilliger Basis möglich. Eine Zwangsmaßnahme gibt es für Sexualstraftäter nicht, auch nicht bei Wiederholungsgefahr. Na, welcher Sexualstraftäter wacht denn nicht morgens auf und denkt sich: „ Ach, was für ein schöner Tag, sich freiwillig kastrieren zu lassen.“
Jetzt bin ich neugierig: Wie viele Sexualstraftäter in Deutschland haben sich wohl 2025 freiwillig dieser Prozedur unterzogen? Online gibt es keine Zahlen dazu. Merkwürdig. Das einzige, was ich finde: Ein Mann, der sich in Deutschland freiwillig chemisch kastrieren lassen möchte, muss über 25 sein. Zusätzlich braucht es eine „medizinische Indikation“, warum der Eingriff nötig ist.
Während Sexualstraftäter also keine verpflichtende Spritze riskieren, wird Frauen die Spritze für einen Abbruch verweigert. Wir sprechen über Frauen in Not, auf die die katholische Kirche keine Rücksicht nimmt – über deren Körper lässt sich schließlich seit Jahrtausenden herrlich moralisch richten. Täter hingegen genießen Schweigen, Schutz und frommes Wunschdenken statt Konsequenzen.
Wer kümmert sich schon um den Blinddarm, wenn man über den Uterus herrschen darf.
„Zwangsjacke für medizinisches Urteilsvermögen“
So nannte der Gynäkologe Joachim Volz das Regelwerk des Krankenhauses Lippstadt, in dem er selbst arbeitete, und positionierte sich klar dagegen. Er kritisierte, dass Frauen hierdurch stigmatisiert, ihnen medizinische Grundversorgung verweigert und sie somit gezwungen würden, nötige Eingriffe im Ausland durchführen zu lassen.
Volz klagte am 8. August 2025 vor dem Arbeitsgericht Hamm gegen die Dienstanweisung seines Arbeitgebers – mit dem Statement: „Ich bin Arzt – meine Hilfe ist keine Sünde!“ Erfolglos. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Begründung: Es sei „unternehmerische Freiheit“ des Krankenhauses, selbst zu entscheiden, welche Eingriffe nicht in ihr Weltbild passen – und damit über Frauen und ihre Körper hinweg. Vielleicht beschließen sie ja demnächst, Blinddärme nur noch zu entfernen, wenn Gott persönlich sie als „überflüssig“ markiert hat. Aber klar: Wer kümmert sich schon um den Blinddarm, wenn man über den Uterus herrschen darf.
Lippstadt geht auf die Straße
Am 8. August demonstrierten rund 2.000 Menschen vor dem Prozess für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Sprechchöre wie „Wir sind stolz auf Dr. Volz“ hallten durch die Straßen. Plakate forderten das Ende des kirchlichen Arbeitsrechts: „Mein Bauch, mein Blut. Mein Körper ist kein Kirchengut“ oder „Keine Glaubenssache, sondern Frauensache“.
Der Fall Lippstadt ist längst mehr als ein lokales Krankenhaus-Drama. Er macht deutlich: Frauenrechte bleiben fragil, solange sie auf dem Spielbrett religiöser Machtinteressen liegen und nicht EU-weit einheitlich geregelt werden. Er zeigt, wie Kirchen in Deutschland noch immer direkten Einfluss auf die Gesundheitsversorgung nehmen – und über Frauenkörper entscheiden. Bevormundung in Reinform. Und wir Frauen? Wir verlieren mehr als „nur“ Rechte, wenn medizinische Entscheidungen zur Glaubensfrage werden. Wir verlieren Vertrauen in die Grundversorgung und in die Menschlichkeit. Und in der Zwischenzeit leben wir weiterhin in einer Welt, in der Frauenrechte kein unantastbares Gut sind, sondern vom Wohlwollen einzelner Institutionen abhängen. Die Kirche nennt Abtreibung also vorerst weiterhin Sünde – wir Frauen nennen sie Recht auf Selbstbestimmung. Amen to THAT.
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