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2.500 Meter unter dem Meeresspiegel am ostpazifischen Rücken, irgendwo zwischen Chile und Australien herrscht ewige Dunkelheit. Wenn ein Taucher in dieser Tiefe aus dem U-Boot steigen würde, wäre er in Millisekunden flach wie ein Pfannkuchen. Wo das Wasser nicht von vulkanischen Quellen zum Kochen gebracht wird, liegt die Temperatur nur knapp über dem Gefrierpunkt. Trotzdem fühlt sich genau hier, wo aus den Schloten der sogenannten „black smoker“ glühend heißes Wasser aus dem Erdinneren steigt, der Tiefsee-Riesenröhrenwurm mit dem wissenschaftlichen Namen Riftia pachyptila, pudelwohl. Der bis zu zwei Meter lange Wurm sieht niemals die Sonne und ernährt sich ausschließlich von den chemischen Substanzen, die der Tiefseevulkan ausstößt. Aber der Wurm schafft das nicht allein, denn in seinem Inneren leben symbiotische Bakterien, die mit Hilfe des schwefelhaltigen Vulkanwassers Nährstoffe erzeugen und mit dem Wurm teilen. Ohne diese Symbiose wäre ihr Leben unmöglich – erst durch Zusammenarbeit mit diesen Bakterien können sie an Orten gedeihen, an denen Licht – und damit Photosynthese – komplett fehlt.
Eine Insel in der Tiefsee – und darunter
Durch diese erfolgreiche Zusammenarbeit entsteht ein eigenes abgeschlossenes Ökosystem, denn andere Tiere, wie etwa Krabben, fressen die Würmer mitsamt ihren Bakterienfreunden. Diese Krabben werden wiederum von größeren Krabben gefressen und so weiter. Die heißen Thermalquellen sind also wie eine Oase in der Wüste. Das Leben hat hier einen Weg gefunden, diese feindliche Umgebung zu erobern. Für einige Würmer ist das aber nicht extrem genug. Es scheint dem Dreamteam aus Riftia und Bakterien egal zu sein, ob sie an der Ober-oder Unterseite der heißen Quelle wachsen. Forscher:innen staunten kürzlich nicht schlecht, als sie mit einem Tauchroboter das verzweigte Höhlensystem unterhalb eines Schlotes untersuchten und die Hohlräume voll von Würmern fanden. Im Nachhinein eigentlich nicht überraschend, denn ohne Licht wissen die Würmer streng genommen nicht, was ober und was unter der Erde ist.
Die kleinen Pioniere
Das Leben in der Tiefsee ist weitem kein Einzelfall. Nahezu jeder Lebensraum auf unserem Planeten, sei er noch so feindlich, wurde von Lebewesen besiedelt. Meistens beginnt diese Besiedelung im Kleinen. Es sind Bakterien oder andere Mikroorganismen wie Archaeen (um die sich eine der nächsten Ausgaben drehen wird), die neue Lebensräume besiedeln. Bestimmte Mikroben lieben extreme Bedingungen. Man nennt sie deswegen extremophile. Sie fühlen sich wohl inbis zu 100 Grad heißen Quellen, sauren oder alkalischen Salzseen, oder sogar in radioaktiven Müllhalden. Diese Bakterien essen Uran (!) und andere Schwermetalle und sind auch sonst in heißen Quellen oder in staubtrockenen Wüsten daheim. Wir machen uns diese Eigenschaften zunutze, um verseuchtes Grundwasser zu dekontaminieren.
Evolution ins Extreme
Warum aber tun sich das die kleinen Lebewesen an? Kurz gesagt: Weil sie dort ihre Ruhe haben. Je lebensfeindlicher eine Umgebung, desto geringer die Konkurrenz. Stellen wir uns eine urzeitliche Pfütze vor, mit einer wohltemperierten Zone und einer heißen Quelle. Die meisten Organismen tummeln sich im angenehm warmen Bereich. Dort ist es gemütlich, aber auch überfüllt. Wenn nun eines dieser Lebewesen durch eine zufällige Mutation etwas mehr Hitze verträgt, kann es näher an die heiße Quelle vordringen und ist dort zunächst allein. Mit der Zeit jedoch vermehrt es sich auch dort und der Platz wird wieder knapp. Ein Nachkomme, der noch höhere Temperaturen aushält, kann sich weiter vorwagen – und so geht es immer weiter in die extreme Nische hinein. Dieser Prozess hat sich im Laufe der Evolution fast bis an die physikalischen Grenzen fortgesetzt. Den Hitzerekord hält derzeit Methanopyrus kandleri „Stamm 121“: Diese Methanfresser (!), die man – wie unsere Würmer – an heißen Tiefseequellen findet, können bei Temperaturen von bis zu 122°C wachsen und sich vermehren. Darüber hinaus wird es kritisch, weil wir an chemische und physikalische Grenzen stoßen, die vor allem an der Struktur der DNA liegen. Man nimmt daher an, dass die absolute Obergrenze für Leben, wie wir es kennen, bei etwa 150°C liegt. Mich würde es also nicht überraschen, wenn irgendwo bei einem Tiefseevulkan ein Mikroorganismus herumschwimmt, für den sogar diese Temperaturen die Komfortzone sind.
Bear don’t care
Ich kann natürlich keine Kolumne über das Leben im Extremen schreiben, ohne Bärtierchen zu erwähnen. Sie sind nicht nur eine wunderbare Mischung aus süß und grauenhaft, unter den vielzelligen Organismen sind sie außerdem die ultimativen Champions im Überleben. Seit ihrer Entdeckung im 16. Jahrhundert haben Forscher:innen im Namen der Wissenschaft versucht, die etwa einen halben Millimeter großen Bärchen um die Ecke zu bringen, mit überraschend geringem Erfolg. Sie können für Jahrzehnte komplett austrocknen oder tiefgefroren und nach 30 Jahren wieder aufgetaut werden, sie wurden mit dem 1000-fachen der für einen Menschen tödlichen Dosis an radioaktiver- und Röntgen Strahlung bombardiert, und sogar ins All geschickt. Nur um danach erfrischt wieder aufzuwachen und sich zu vermehren. Verantwortlich dafür ist eine Batterie an Mechanismen, die ihre DNA und ihre Proteine vor Zerstörung schützt und sie effizient repariert. Deswegen sind sie auch für die Wissenschaft so interessant, weil die effiziente DNA-Reparatur Hinweise darauf liefern kann, wie man etwa die Entstehung von Krebs verhindern könnte.
Gemeinsam schaffen wir das!
Was oft auffällt, wenn man in extreme Lebensräume schaut, ist, dass die Besiedelung der freundlichsten Lebensräume ohne Kooperation meist nicht möglich wäre. Ohne symbiotische Bakterien könnten sich Röhrenwürmer niemals in den brodelnden Tiefen behaupten. In heißen, sauren oder alkalischen Quellen gibt es oft Partnerschaften von Bakterienarten, die verschiedene Nahrungsquellen nutzen und sich gegenseitig aushelfen. Fällt einmal eine Quelle aus, überleben beide. Und nicht einmal die Bärtierchen sind Einzelkämpfer. Sie werden von Bakterien unterstützt, die in ihrem Verdauungstrakt leben. Auch wir haben Milliarden solcher Bakterien in unserem Darm und auf unserer Haut, die uns unterstützen. Von den extremsten Lebensräumen können wir also vor allem lernen, dass wir in zunehmend brenzligen Situationen aufeinander angewiesen sind.
Deep dive:
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