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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 14.06.2023
MeinungSchlechte Freunde

Warum Erwachsene schlechte Freund:innen sind und wie es besser geht

Veröffentlicht
am 14.06.2023
Ab dem 23. Lebensjahr sinkt laut Forschung die Anzahl der Freundschaften. Job, Partnerschaft oder Kinder lassen oft wenig Raum dafür. Doch es lohnt sich, der Freundschaft im Leben mehr Platz einzuräumen.
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Als Erwachsene wird vieles leichter. Schnürsenkel binden zum Beispiel; Grenzen setzen; oder den eigenen Körper akzeptieren. Freund:innen zu finden, gehört nicht dazu.

Das wurde mir klar, als ich nach Berlin zog. Diesmal gab es keine Uni-Orientierungswoche, in der ich unter den Leuten, die bei der Kneipentour neben mir saßen, meinen besten Freund fürs Leben zufällig treffen konnte (true story!). Keine Schulbanknachbarin, der ich 15 Jahre später auf der Kirchenbank als Trauzeugin beisitzen würde.

Nein, das Erwachsenenleben spült nicht endlos Gelegenheiten ans Ufer, bei denen du Freund:innen findest. Im Erwachsenenleben musst du selbst ins kalte Wasser springen und hoffen, dass du dir die ein oder andere treue Freundin angelst. Auf dem Weg dorthin wirst du dich unwillentlich mal verschlucken, prustend und ohne Fang zurückbleiben.

So wie ich an einem Sonntagvormittag letzten Sommer. Ich saß allein in meiner Berliner Wohnung und wusste nicht, was anfangen mit mir. Ich war noch nicht lange in der Stadt und hatte versucht, mit der ein oder anderen flüchtigen Bekanntschaft eine etwas festere Bindung aufzubauen. Nach 3 fehlgeschlagenen Verabredungen wandte ich mich an das einzige soziale Netzwerk, das mir an jenem Tag blieb und postete auf Instagram:

3 Leute haben mir in diesem Monat kurzfristig abgesagt. Ich habe das Gefühl, das passiert immer wieder. Hat Corona uns vergessen lassen, wie wichtig soziale Bindungen und Freundschaften sind? Wer von euch wurde schon mal von einem Freund versetzt oder geghostet?

Das englische Slang-Wort »ghosting« kommt von »ghost« (Geist), und beschreibt das Phänomen, wenn eine Person sich bei einer anderen Person nicht mehr meldet, obwohl sie dieser eine Antwort schuldet. Benutzer:innen digitaler Dating-Plattformen wie Tinder beklagen häufig, dass sie nach einer ersten Verabredung oder nachdem ein schriftlicher Austausch stattfand, plötzlich und ohne Erklärung nichts mehr von der anderen Seite hören. Sie werden also »geghostet.

Die Nachrichten, die mich daraufhin erreichten, zeigten mir: ich bin nicht allein. Hier eine Auswahl an Antworten auf meine Instagram-Story:

  • Kenne ich! So ätzend! Anscheinend ist für viele Leute »Verbindlichkeit« und »Zuverlässigkeit« ein Fremdwort geworden und zu »Option« mutiert.
  • Haha, ein Kumpel hat sogar meinen Junggesellenabschied einen Abend zuvor gecancelt!
  • Ich habe in Wien ähnliche Erfahrungen gemacht; ich glaube, das hat mit der Schnelllebigkeit und dem Überangebot an Aktivitäten in großen Städten zu tun. Als ich Wien verlassen habe, hat mich dort niemand vermisst, auch wenn ich viele Kontakte gepflegt habe. Meine Freund:innen zuhause hingegen geben mir immer das Gefühl, dass ich gebraucht werde.

Warum wird es so viel schwerer sobald wir aus der Schul- und Uni- oder Ausbildungsphase raus sind, tiefere Freundschaften aufzubauen? Werden Freund:innen in unserer Gesellschaft weniger wertgeschätzt als romantische Partner:innen oder ein guter Job? Und wie gehen wir mit der Entfremdung von alten Freund:innen um?

Auf der Suche nach Antworten habe ich Bücher gelesen, Podcasts gehört, Thesen von Psycholog:innen analysiert und vor allem: viel mit Freund:innen gesprochen.

Warum selbst in der Sitcom »Friends«, Freundschaft nur als die kleine Schwester der Liebe gilt

Fragt man ChatGPT, wie viele englischsprachige Lieder zum Thema »Liebe« geschrieben wurden und wie viele zum Thema »Freundschaft« kann die KI nur schätzen. Sie geht bei Liebesliedern von 100.000 – Millionen aus, bei Freundschaftsliedern nur von Tausenden – 10.000en. Die Zahlen, die die KI ausspuckt, sollten zwar mit Vorsicht genossen werden. Trotzdem erscheint es mir intuitiv richtig, dass die Popkultur – und dazu zählen auch Serien, Filme, Bücher – häufiger Geschichten über die Liebe erzählt als über die Freundschaft.

Selbst Kultserien wie »Friends«, »The Big Bang Theory« oder »How I met your mother«, bei denen eine Freundesgruppe im Zentrum der Handlung steht, beschränken ihre Ode an die Freundschaft auf die Phase der Jugend und des jungen Erwachsenenlebens. Am Ende der Serie, sobald die Protagonist:innen auf die 30 zusteuern, finden die meisten romantische Partner:innen und gründen eine Familie – die früheren Freundschaften rücken in den Hintergrund.

Zu dieser Analyse kommt der Autor Daniel Schreiber in seinem Essay »Allein«, in dem er über seine eigenen intimen Beziehungen mit Menschen reflektiert, die außerhalb romantischer Partnerschaften liegen und darüber, welchen Stellenwert wir ihnen beimessen:

Ihre [der Protagonist:innen] Freundschaftsbeziehungen sind trotz aller ernstgemeinten Treueschwüre vor allem eins: Vorbereitungen auf erfolgreiche Partnerschaften, ein Puffer, um romantische Rückschläge erträglicher zu machen, eine Art emotionale Versicherung, die man irgendwann nicht mehr braucht. Ich glaube, dass viele Menschen in ihrem Leben mit einer ähnlichen Gemengelage konfrontiert sind.

Daniel Schreiber in »Allein«.

Messen wir als Erwachsene der Freundschaft eine untergeordnete Rolle bei, sobald romantische Beziehungen und Familienplanung dazukommen?

Je älter wir werden, desto weniger pflegen wir Freundschaften

Wenn ich an meine Großeltern denke, an meine Tante, an meine pensionierte Nachbarin, an die Mutter meines Freundes – also Vertreter:innen von Generationen, die Jugend und junges Erwachsenenleben schon länger hinter sich gelassen haben –, so fallen mir keine oder kaum Freund:innen ein, mit denen sie ihre Freizeit regelmäßig verbringen oder die sie anrufen, wenn sie jemanden zum Reden brauchen. Sie gehen eher mit dem Ehemann wandern, mit der Tochter shoppen oder fahren mit der Schwester eine Woche ans Meer. Erwachsensein, so scheint es, ist die Zeit der Familie. Für Freund:innen bleibt wenig bis gar kein Platz.

Während der Pandemie fühlten sich mehr Menschen einsam – und bei manchen hält das Gefühl an. Was du in einer solchen Situation tun kannst, haben Lara Malberger und Stefan Boes für dich herausgefunden

Der Psychologe und Freundschaftsberater Wolfgang Krüger bestätigt in einem Interview diesen Eindruck. Darin erklärt er:  Ab dem 23. Lebensjahr sinkt die Anzahl der Freundschaften, ein Mensch hat danach höchstens 3 gute Freund:innen. Das liegt auch daran, dass wir in der Schule, Uni oder Ausbildung auf weniger »verankerte« Menschen treffen, die noch keine Partnerschaft oder festen Freundesgruppen haben.

Auch meine zwei besten Freundinnen Judith und Lena, die aus »der Heimat« zu Besuch sind, haben ihren gesellschaftlich akzeptieren Anker – eine romantische Partnerschaft – gefunden. Wir sitzen zu dritt in meiner Berliner Wohnung, auf dem Tisch noch Reste von Croissants, Teebeutel und Obstsalat, und sprechen über Freundschaft. Die beiden geben zu: ist die Beziehung mit dem Partner intakt, suchen sie weniger Kontakt mit Freund:innen. Sobald die Partnerschaft leidet oder wegfällt, entsteht ein Loch, und sie kümmern sich mehr um andere soziale Beziehungen. Das liegt vor allem daran, dass Zeit im Erwachsenenalter plötzlich zu einer begrenzten Ressource wird und daher priorisiert werden muss: »Im Studium oder in der Schule sind Freunde Teil des Alltags. Dann beginnt man zu arbeiten und muss plötzlich um den Alltag herum aktiv Zeit für Freunde finden.«

Wenn schon kaum Zeit bleibt, bestehende Freundschaften zu pflegen, bleibt noch weniger Zeit und Energie für neue Bekanntschaften. Das erklärt vielleicht, warum ich mich in Berlin so schwertue. Und die eine Nachricht eines Bekannten, der auf meine Instagram-Klage so reagierte:

  • aaaaah ich fühle mich angesprochen! Berliner Hektik: Vollzeit arbeiten is a bitch, allein wohnen mit allen Verpflichtungen drum&dran, reisen, Familie…Man wird nie allen Freund:innen und Bekannten in Berlin gerecht :(( Und ich habe gelernt, dass es besser ist manchmal abzusagen als krank vor Stress zu werden.

Warum aber lassen wir zuerst die Freundschaft fallen, wenn die Zeit knapp wird? Ist es, weil wir das Lebensmodell in romantischen Partnerschaften als das eine »richtige« vorgelebt bekommen? Davon geht Daniel Schreiber in seinem Essay aus:

Es wird so viel über die Erzählung der romantischen Liebe geschrieben, es werden so viele Filme über sie gedreht und so viele theoretische Erklärungsgebäude für sie errichtet, dass wir andere Erzählungen von Nähe und Intimität häufig außer Acht lassen oder ihnen nicht jene Bedeutung beimessen, die ihnen zusteht.

Daniel Schreiber in »Allein«.

Diese geringe Wertschätzung von Freundschaft macht mir manchmal Angst. Vielleicht, weil ich auf die 30 zusteuere und erste Menschen in meinem Umfeld beginnen, ein Haus zu bauen oder Kinder zu bekommen. Und wenn im Leben der Freund:innen eine Phase beginnt, in der kein Platz mehr für dich bleibt, tut das weh. Dieser Schmerz wird in unserer Gesellschaft kaum angesprochen und bleibt fast unsichtbar.

Warum es für den Kummer um eine verlorene Freundin kein Wort gibt

Das erste Mal um eine Freundin geweint habe ich in der Grundschule. Sie spielte nur mit mir, wenn wir allein waren. In der Gruppe aber wollte sie zu den »Coolen« gehören und ließ mich zurück. Da lernte ich, dass es einen Unterschied zwischen »echten« und »falschen« Freund:innen gibt. Das zweite Mal brach ich in Tränen aus, als ich im Jugendalter eine enge Freundin darauf ansprach, warum sie sich grundlos von mir abwandte und nur mehr mit anderen Leuten Zeit verbrachte. Unsere Freundschaft war danach auch vorbei. Menschen in meinem Umkreis scheinen ähnliche Erfahrungen zu machen, wie eine weitere Reaktion auf meinen Instagram-Post zeigt:

Eine sehr enge Freundin hat mich erst ein paar Monate und dann ungefähr 1,5 Jahre geghostet, bis ich sie vor kurzem auf Instagram zufällig wiederentdeckt habe und endlich eine Reaktion bekommen habe. Richtig schlimme Erfahrung sowas. Ich bin eigentlich nicht nachtragend, aber das hat mich schon sehr tief verletzt. Vor allem die Ohnmacht.

Die Entfremdung einer guten Freundin, das Ende einer Freundschaft – das tut weh. So weh wie

Nicht nur sprachlich ist der Kummer um einen Freund oder eine Freundin unkonkret. Auch der Verlust an sich ist weniger greifbar. In Partnerschaften treffen wir meist eine aktive Entscheidung die Beziehung zu beenden und kommunizieren das mehr oder weniger unmissverständlich (»Du, wir müssen reden«). Ein solches Gespräch bleibt beim Ende einer Freundschaft meistens aus. Die Entfremdung passiert schleichend, die Anrufe und Treffen werden leise weniger, bis wir irgendwann feststellen, dass man sich seit Jahren nicht mehr gehört oder gesehen hat und der andere ein Fremder geworden ist.

Für Daniel Schreiber macht diese Uneindeutigkeit den Schmerz um eine:n verlorene:n Freund:in noch mal unerträglicher. Denn wenn der klare Schlussstrich ausbleibt, kann der Trauerprozess nicht richtig stattfinden. Das erklärt wohl auch das Ohnmachtsgefühl, das meine Bekannte in ihrer Instagram-Nachricht beschreibt.

Zerwürfnisse in der Freundschaft unterscheiden sich aus noch einem Grund von jenen der Liebe: Wir investieren bei der Liebe viel mehr Energie darin, einen Bruch zu vermeiden. Psychologe Krüger sagt, wir gäben uns weniger Mühe, Freundschaften am Leben zu halten als romantische Beziehungen. Er verweist auf die etlichen Konfliktlösungsmodelle oder Therapien, die es für Partnerschaften gibt, nicht aber für Freundschaften. Das größte Problem von Freundschaften sei deshalb oft die Langeweile.

Auch meine Jugendfreundinnen Judith und Lena sind bei Konflikten mit Freund:innen zurückhaltender: »Man streitet zwar weniger mit Freunden. Aber dafür sind die Hemmungen auch größer, Dinge anzusprechen, die nicht passen. Man denkt sich, das wird schon und trifft in der Zwischenzeit halt andere Freunde. Vielleicht auch, weil der Leidensdruck geringer ist als beim Streit mit einem Partner, mit dem man zum Beispiel zusammenwohnt.«

Das Problem dabei sehen sie auch: »Das ist eigentlich schade, weil man dadurch die Chance verpasst, gemeinsam mit der Freundin an der Hürde zu wachsen. Und zweitens kann es dann passieren, dass man sich schleichend entfremdet.« So merken wir manchmal das Ende einer Freundschaft erst, wenn es schon zu spät ist.

Selbst wenn es zum Leben dazugehört, sich manchmal auseinanderzuleben – lohnt es sich bei guten Freundschaften nicht öfter, an ihnen zu arbeiten, anstatt sie bei einem Streit auslaufen zu lassen?

Für die eigene Gesundheit und Langlebigkeit allemal.

Familie macht uns älter, Freund:innen jünger

Glücklich altern ­– das wünscht sich wohl jede:r. Doch wie gelingt das? Die meisten denken wahrscheinlich an finanzielle Absicherung, an Gesundheit oder an den eigenen Nachwuchs. Selten wird Freundschaft als Hauptkomponente glücklicher Lebensjahre gesehen. Dabei sollten wir für ein gesundes und zufriedenes Altern an einem möglichst breiten und stabilen sozialen Netz arbeiten – am besten schon von Jugendjahren an.

Der Psychologieprofessor Arthur C. Brooks erklärt in seiner Glücks-Kolumne: Das Glücksempfinden sinkt bei den meisten Menschen ab dem jungen Erwachsenenleben bis in das Alter um die 50. Danach steigt es wieder bis Mitte 60. Ab da spalten sich die Daten: Die Hälfte der älteren Leute wird viel glücklicher, die andere viel unglücklicher. Ausschlaggebend dafür, zu welcher Gruppe wir später gehören, sind mehrere Gründe. Viele davon können wir im Laufe unseres Lebens beeinflussen, wie etwa den Alkoholkonsum, Bewegung oder die persönliche Weiterentwicklung. Aber auch: ob wir langfristige, stabile Beziehungen mit Menschen aufgebaut haben. Dazu zählt eine gute Partnerschaft – und Freundschaften. Eine Person allein kann nicht alle unsere emotionalen Bedürfnisse erfüllen, die Vielfalt der sozialen Beziehungen macht das Glück aus.

Gestützt wird diese Theorie von etlichen Studien. Erst kürzlich gingen Zwischenergebnisse einer Harvard-Langzeitstudie durch die Medien, die zeigen: was ein glückliches Leben ausmacht, sind funktionierende tiefe Beziehungen.

Noch eine wichtige Erkenntnis: Freund:innen wirken stärker lebensverlängernd als die eigenen Kinder und Familie. Das haben Wissenschaftler:innen in einer anderen

Für den französischen Psychoanalytiker Saverio Tomasella liegt die Bedeutung von Freundschaft darin, dass Freund:innen uns überhaupt erst zu den Menschen machen, die wir sind. Unsere Persönlichkeit werde geprägt von dem, was unsere Freund:innen mit der Zeit über uns lernen und uns zurückspielen, aber auch von den Ratschlägen oder Ermutigungen der engsten Menschen. Die Familie hingegen habe öfter eine eingeschränktere Vorstellung unseres Charakters.

Ich könnte noch viele weitere Gründe nennen, warum wir in unserem Leben mehr Platz für Freundschaften einräumen sollten, doch darüber wurde schon genug geschrieben und geforscht. Die eigentliche Frage, die bleibt ist: Wie schaffen wir das in einer Gesellschaft, die uns von klein auf predigt, Job und Familie ins Zentrum unseres Universums zu stellen?

So geben wir der Freundschaft in unserer Gesellschaft mehr Platz

Man kann den radikalen Weg wählen wie der französischePhilosoph Geoffroy de Lagasnerie, der fordert: Macht Freundschaften zum Mittelpunkt eures Lebens. Er und seine zwei besten Freunde sprechen mehrmals täglich, wünschen sich jeden Tag eine gute Nacht und einen guten Morgen, essen regelmäßig zusammen Abend und feiern die wichtigsten Feste, darunter Weihnachten, zusammen. Laut de Lagasnerie verbrächten viele Menschen ihre Zeit lieber mit Freund:innen, folgten jedoch dem gesellschaftlichen Ideal und opferten die Zeit daher öfter für Familie und Kinder. Das mache sie unglücklich.

Der Philosoph fordert deshalb den Staat auf, Freundschaften auch politisch aufzuwerten. Etwa durch Freundschaftsministerien oder indem Freund:innen juristische Verbindungen eingehen können, mit denen sie steuerliche Vorteile erhalten – so wie sie im Moment nur Ehen vorbehalten sind. Auch bei der Arbeit wünscht er sich mehr »Herz für Freundschaften«. So solle die Aussage »Ich kann heute nicht kommen, weil ich einen Freund trösten musste« genauso akzeptiert werden wie »Ich muss heute früher los, um meine Kinder abzuholen.«

Dass im oft hektischen Alltag zu wenig Zeit für Freundschaften bleibt, beklagt auch die Journalistin Teresa Bücker, die jüngst ein Buch über Zeitmangel und seine Auswirkungen auf unser Leben geschrieben hat. Bücker fragt:

Was spricht dagegen, die Gesellschaft so zu organisieren, dass auch Erwachsene ihre Freund:innen mindestens wöchentlich sehen könnten? Wie würde sich unser Zusammenleben verändern, hätten wir jeden Tag ein gutes Gespräch, eine Umarmung oder mit anderen gelacht?

Bücker wünscht sich eine Welt, in der Zeitmangel für Freundschaften nicht mehr als Bagatelle oder als »normal« gesehen wird, sondern in der die Politik aktiv mehr Zeit für Freundschaften schafft. Etwa, indem Alleinerziehende einen Anspruch auf Babysitter:innen haben, weil ungestört Zeit mit Freund:innen zu verbringen als Voraussetzung für mentale Gesundheit gesehen wird.

Teresa Bücker in einem Essay für das Magazin annabelle

Was hindert uns daran, als Erwachsene tiefere Freundschaften zu schließen und unseren Freund:innen einen festen Platz in unserem Leben zu geben?

Die politische Dimension, die Bücker und de Lagasnerie beschreiben, spielt sicherlich eine Rolle. Unsere Sehnsucht nach mehr Zeit mit Freund:innen erfordert deshalb auch strukturelle Antworten.

Gleichzeitig kann jede:r von uns die Dominanz der romantischen Paarbeziehungen durchbrechen, indem wir uns fragen: Schätze ich Beziehungen außerhalb meiner Partnerschaft und Familie? Investiere ich meine Energie, die nach der Arbeit und Haushalt übrig bleibt, ausschließlich in eine einzige soziale Bindung oder bemühe ich mich auch um andere Menschen in meinem Leben? Ist es realistisch, dass mein:e Partnerin alle meine Bedürfnisse erfüllt und mein Sozialleben ausreichend befriedet?

Und vor allem: Wie fühle ich mich nach einem Treffen mit guten Freund:innen? Wenn ich mich emotional aufgetankt und voller Energie fühle, besser gelaunt bin oder sich das Problem, das ich vorher hatte, auf einmal überwindbar anfühlt– lohnt es sich dann nicht, mehr Raum für diese Freundschaft zu schaffen, selbst wenn die Gesellschaft es uns nicht immer ganz leicht macht?

Der Artikel erschien zuerst im April beim konstruktiven Onlinemagazin „Perspectice Daily“

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