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Vielleicht ist Freundschaft genau das: einander als Held:innen zu betrachten, die ihr gerne wärt, aber nie sein werdet.
S. 44„Weltalltage“ von Paula Fürstenberg ist ein sensibles Porträt von Freundschaft, chronischer Krankheit und Körper. Der Roman entwirft ein eindringliches Bild einer besonderen Freundschaft, die von Abhängigkeit, emotionaler Nähe und unausgesprochenen Spannungen geprägt ist. Mit einer melancholischen, aber poetischen Sprache verwebt die Autorin Themen wie Krankheit, Verlust, Identität, verschiedenen Lebensformen und den Wandel persönlicher Beziehungen.
Zwischen Krankheit und Gesundheit liegen ganze Welten, weshalb du es nur folgerichtig findest, von verschiedenen Universen zu sprechen. Dein Weltallkörper, sagst du, hat Weltalltage.
S. 138Im Zentrum der Geschichte stehen die Erzählerin – Schriftstellerin, chronisch krank und geplagt von wiederkehrendem Schwindel – und ihr bester Freund Max, ein Architekt. Ihre Beziehung ist von tiefer Verbundenheit, aber auch von unausgesprochenen Abhängigkeiten geprägt. Sie ist die Kranke, er der Gesunde – so war es schon immer. Max war derjenige, der Verantwortung trägt, der verlässlich zur Stelle ist, wenn die Erzählerin von einem ihrer „Weltalltage“, den Schwindelanfällen, aus der Bahn geworfen wird. Er ist der ruhige Anker in ihrer stürmischen Welt, derjenige, auf den sie sich schon immer verlassen konnte. Doch als Max nach dem Tod seines Onkels selbst ins Wanken gerät, löst sich dieses gewohnte Gefüge auf. Plötzlich kippt die Balance ihrer Freundschaft, und Max verschwindet mehr und mehr aus ihrem Leben. Zurück bleibt die Erzählerin, verloren und auf der Suche nach sich selbst, nach Stabilität in einer Welt, die mehr denn je zu schwanken scheint. Die Krankheit wird auf einmal zu etwas gemeinsamen – ist nicht mehr nur ihre Last, sondern wird zu einem unsichtbaren Band, das beide zusammenhält und sie doch zugleich entfremdet.
Krankheit ist keine verdammte Metapher, Krankheit ist eine höher dosierte Wirklichkeit, als dir lieb ist.
S. 97Die Geschichte zeigt auf, wie Freundschaften im Laufe der Zeit wachsen, sich verändern und manchmal sogar zerbrechen können, wenn sich die Umstände ändern. Sie zeigt, was passiert, wenn vertraute Rollen zu bröckeln beginnen und Fragen entstehen, die nicht nur eine Freundschaft, sondern auch die eigene Identität betreffen. Die Krankheit der Erzählerin ist ein weiteres zentrales Thema, das die Autorin in ihrer Erzählung mit bemerkenswerter Sensibilität behandelt. Es ist keine Sentimentalität, die die Krankheit durchzieht, sondern eine nüchterne, aber dennoch zutiefst einfühlsame Auseinandersetzung mit den körperlichen und seelischen Auswirkungen des Krankseins. Paula Fürstenberg schildert den Zustand der Erzählerin so klar und feinfühlig, man spürt, wie sehr ihr Körper sowohl ihre persönliche Grenze als auch ihre Stärke darstellt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Verletzlichkeit wird auf eine klare, aber nie unsensible Weise thematisiert, was die Authentizität der Geschichte unterstreicht.
Paula Fürstenbergs Roman „Weltalltage“ ist ein tiefgreifendes und berührendes Werk, das auf unnachahmliche Weise das Leben, die Freundschaft und die Herausforderungen des Krankseins einfängt. Mit einer klugen Erzählweise und besonders durchdachten Struktur gelingt es der Autorin, eine Geschichte zu zeichnen, die gleichermaßen authentisch wie warmherzig ist. Der Roman ist kreativ aufgebaut: Die Erzählerin ordnet ihre Gedanken in Listen, eine Erzählweise, die ungewöhnlich erscheinen mag, aber unglaublich effektiv ist. Diese Listen helfen nicht nur dabei, die Erlebnisse und Erinnerungen zu strukturieren, sondern ermöglichen es der Erzählerin, ihre Vergangenheit, die von der Nachwende-Kindheit im Osten und von gesellschaftlichen Prägungen beeinflusst wurde, zu reflektieren und die komplexen Gefühle und Konflikte ihrer Gegenwart zu ordnen. Der Aufbau dieser Listen ist nicht nur ein stilistisches Mittel, sondern auch ein cleverer Weg, um tiefer in die Gedankenwelt der Protagonistin einzutauchen. Diese Listen wirken wie kleine Anker, mit denen sie das Treibende ihrer Gedanken einfängt.
Die geographische Lage von Schmerz und Krankheit sind weder unbekannte Länder noch weit entfernte Galaxien. Die geographische Lage von Schmerz und Krankheit ist der Körper. Hier und jetzt und unerbittlich.
S. 139Der Schreibstil ist klar und präzise. Es gibt keine überflüssigen Worte, sondern die Autorin trifft den Kern der Emotionen und Gedanken ihrer Figuren mit einer bemerkenswerten Direktheit. Diese Klarheit ermöglicht es, die Themen des Romans ohne Überfrachtung und unnötige Ausschweifungen zu behandeln. Das Schreiben ist ein zentrales Element im Roman – es ist die Erzählform der Geschichte und gleichzeitig auch ein Weg der Selbstreflexion für die Erzählerin. Sie nutzt das Schreiben, um ihre Gedanken zu ordnen, die Vergangenheit zu rekonstruieren und ihre eigenen Gefühle und Ängste zu verstehen. Das Schreiben wird zu einem aktiven Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst. Es wird zum Instrument, die Freundschaft zu Max zu verarbeiten und die eigenen Gedanken zu sortieren. Es ist eine stille, aber kraftvolle Selbstermächtigung, ein Versuch, Kontrolle über ihren fragilen Körper und die zerfallende Welt um sie herum zu erlangen. Die Autorin schafft es meisterhaft, existenzielle Fragen über Krankheit, Körperlichkeit und die Suche nach Halt zu verhandeln. Diese literarische Form verleiht dem Roman eine moderne, fast schon experimentelle Note.
Wer krank ist, führt einen Krieg gegen den eigenen Körper, einen Krieg gegen sich selbst.
S. 168„Weltalltage“ ist ein großes Highlight, ein literarisches Meisterwerk, das klug, einfallsreich und zutiefst menschlich ist. Ein Buch, das mit seiner außergewöhnlichen Tiefe, Witz und Brillanz beeindruckt. Es ist ein Roman, der auf allen Ebenen überzeugt: durch die meisterhafte Erzählweise, den originellen Aufbau und die Fähigkeit, komplexe Themen mit Leichtigkeit und großer erzählerischer Kraft zu vermitteln. Paula Fürstenberg hat ein Buch geschrieben, das bleibt. Die kreative Struktur, die Wahrhaftigkeit und die emotionale Resonanz machen diesen Roman zu etwas ganz Besonderem.
Ein Buch, das man nicht nur liest, sondern fühlt. Ein Buch, das von Krankheit erzählt, ohne zu lamentieren, und von Freundschaft, ohne zu idealisieren. Ein Buch, das lange nachwirkt und dessen Klugheit und Wärme man immer wieder neu entdecken kann. Ein Buch, das Herz und Verstand gleichermaßen berührt und uns daran erinnert, wie zerbrechlich und zugleich wie stark wir sein können. Einfach unfassbar gut!
„Weltalltage“ von Paula Fürstenberg ist im Kiwi Verlag erschienen.
Am Samstag, 1. Februar 2025 wird Paula Fürstenberg beim Literaturtag im Waltherhaus Bozen aus ihrem Roman lesen.
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