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Veröffentlicht
am 23.01.2025
MeinungWas junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken

„Solang mein Haus net weggschwemmp werd …“

Veröffentlicht
am 23.01.2025
Ein Blick in die Zukunft Südtirols: Werden wir 2050 die Folgen des Klimawandels meistern, heilige Kühe loslassen und den Wandel gestalten? Zwischen dystopischen Szenarien und vorsichtigem Optimismus beleuchtet Maria Lang Chancen und Herausforderungen.
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Autorin Maria Lang

2050 ist die Welt und auch Südtirol anders. Wie genau, weiß niemand. Meine These: Rindviecher wird es auch 2050 noch geben, die eine oder andere heilige Kuh wird auf dem Weg dahin aber wohl in den Selbstmord getrieben worden sein. Im Folgenden ein kleiner Einblick in meine manchmal dystopischen und manchmal vorsichtig optimistischen Zukunftsaussichten.

Eine ökologische Wende wird bis 2050 nicht stattgefunden haben – oder zumindest nicht in ausreichendem Maße. In einigen Gebieten der Erde werden Menschen zum Auswandern gezwungen werden. Europa wird sich nach wie vor in erster Linie mit dem Thema der Migration beschäftigen und nicht mit den Ursachen derselben. Wahrscheinlich werden auch einige Orte in Europa aufgrund der zunehmenden Hitze oder Naturkatastrophen nicht mehr dauerhaft bewohnbar sein. Ebenso wird man hierzulande bei Extremwetterereignissen in Kombination mit der voranschreitenden Bodenversiegelung irgendwann nur mehr die eigenen Felle davonschwimmen sehen. Und wenn bis 2050 auch der letzte Südtiroler Ort auf einer breiten Straße umfahren werden kann, wird man vielleicht einsehen, dass Verkehrskonzepte, die eine Verlagerung und keine Minimierung des Verkehrs anstreben, langfristig nur zu einer Aussiedlung des Problems außerhalb der eigenen Dorfgrenzen und nicht zu einer nachhaltigen Lösung führen.

Die Bereitschaft von Gesellschaft und Politik, den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken, wird in den kommenden Jahren maßgeblich davon abhängen, wie unmittelbar und gravierend die Auswirkungen bis dahin erfahren werden. Solange der Leidensdruck durch den Klimawandel kein zwingendes Handlungsbedürfnis erzeugt, sind substanzielle politische Initiativen unwahrscheinlich. Auf Südtirolerisch gesagt: „Solong mein Haus net weckgschwemmp werd, isch die Renaturierung der Bäche mit insern Stuiergeld für die Fische.“

Schon heute würden wir über ausreichend Wissen in Bezug auf die Folgen des Klimawandels und die Veränderungen, die er mit sich bringen wird, verfügen. Die große Herausforderung im Umgang damit bis 2050 liegt also in der Überwindung einer kognitiven Dissonanz: Während einerseits das Verständnis über drohende Konsequenzen auf sämtlichen Klimagipfeln wiedergekäut wird, sieht man andererseits munter dabei zu, wie die Welt buchstäblich ins Gras beißt, weil den Worten kaum Taten folgen. Jede:r distanziert sich von der Thematik, solange die Konsequenzen nicht als unmittelbare Bedrohung der eigenen Lebenswelt, des eigenen Status Quo wahrgenommen werden. Diese Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln bestimmt die zögerliche Reaktion von Gesellschaft und Politik – und lässt mich pessimistisch auf die nächsten Jahre blicken. 

Bis zum Jahr 2050 wird trotzdem ein tiefgreifender Wandel unumgänglich sein. Er wird mit einem schmerzhaften Loslassen von Gewohnheiten, Sicherheiten und möglicherweise auch liebgewonnenen Vorstellungen einhergehen. Dieser Prozess wird nicht ohne Widersetzungsbestrebungen und schließlich dem bekannten Verlustschmerz bewältigt werden können. Man versucht, der unaufhaltbaren Veränderung entgegenzuwirken und nimmt dafür Unsummen in die Hand. In Südtirol wird meisterhaft konserviert, was sich eigentlich nicht konservieren lässt. Und es wird meisterhaft gemolken, wo zukünftig nichts mehr zu melken sein wird. In den meisten Skigebieten des Landes wird künstlich eine weiße Winteridylle hergestellt, deren Ablaufdatum schon seit Jahren wissenschaftlich festgelegt ist. Damit wird die Natur, deren pittoresken Charakter man nostalgisch betrauert, nachgebildet – gleichzeitig fördert man damit ihren Zerfall. Wie wird diese abgemagerte (heilige) Ku(h)lisse in Zukunft aussehen?

Bis 2050 werden sich weltliche (oder andersartig religiös anmutende) Alternativen für das Zelebrieren von Geburten, Festen im Jahreskreis und Todesfällen in weiten Teilen der Gesellschaft etabliert haben.

Ähnlich verhält es sich mit dem, was wir gegenwärtig gemeinhin unter Traditionen und Werten des christlichen Abendlandes verstehen. Wahrscheinlich werden diese nicht in dem Maße konserviert werden können, dass sie 2050 noch als solche gelten können. Wirft man einen Blick in ihre historische Genese, wäre dies auch anachronistisch. Sind es doch gerade Traditionen, Normen und Wertvorstellungen, die von den Umständen ihrer Entstehungszeit erzählen – und deshalb nicht unverändert über die Zeiten angewandt und reproduziert werden können, sondern einer kontinuierlichen Veränderung unterworfen sind. Wird es uns dennoch schwerfallen, Altbewährtes fallenzulassen?

Zu hoffen ist jedoch, dass sich zumindest der persönliche und gesellschaftliche Diskurs darüber ändert. Macht man sich diese Anhänglichkeit an wie auch immer geartete historische Überbleibsel in Kombination mit der allzu menschlichen und natürlichen Furcht vor Veränderung und Verlust bewusst, relativiert sich ihre Bedeutung. Dies eröffnet den Raum für eine nüchterne, kritischere Betrachtung sowie die Möglichkeit, neue Perspektiven und Entwicklungen zuzulassen. Die katholische Kirche etwa verliert zunehmend an Relevanz und wird schon in absehbarerer Zeit nicht mehr alle Rituale im Lauf eines (Südtiroler) Menschenlebens und des Feierns im Jahreskreis okkupieren. Bis 2050 werden sich weltliche (oder andersartig religiös anmutende) Alternativen für das Zelebrieren von Geburten, Festen im Jahreskreis und Todesfällen in weiten Teilen der Gesellschaft etabliert haben: Das nichtgetaufte Kind wird auch in der Südtiroler Peripherie nicht mehr die Ausnahme sein.

An die Stelle der Kirche werden nach und nach individualisierte Sinnstiftungsangebote und persönliche Weltanschauungen gesetzt. Diese Entwicklung, die sich bereits heute in Ansätzen manifestiert, deutet auf eine Verlagerung der Orientierungssuche von kollektiven zu individualisierten spirituellen und ideologischen Konzepten hin. Und vielleicht gibt es bis dahin bereits erste Bestrebungen, die vielen leerstehenden Kirchengebäude für andere Formen des Zusammenkommens zu nutzen. Gerade in Südtirol, wo Trennung seit Jahrzehnten politisch manifestiert wird, wären zusätzliche Räume, wo Austausch erfolgen kann, sehr wertvoll.

Pseudonationale Zuschreibungen wie „Italiener:innen“, „Deutsche“ oder „Marokkaner:innen“ werden in Zukunft noch unangemessener. Darum wird der „ethnische“ Proporz auf keine Kuhhaut mehr passen.

2050 könnte es in Südtirol mehr Menschen mit Migrationshintergrund geben als Angehörige so mancher historisch gewachsener Minderheit. Sofern nicht alle eingezäunt oder verscheucht werden, erfährt die Gesellschaft der Zukunft neue Chancen durch Mehrsprachigkeit, Diversität und Multikulturalität. Pseudonationale Zuschreibungen wie „Italiener:innen“, „Deutsche“ oder „Marokkaner:innen“ werden in Zukunft noch unangemessener. Darum wird der „ethnische“ Proporz auf keine Kuhhaut mehr passen.

Unwahrscheinlich ist hingegen, dass Geschlechtergerechtigkeit bis 2050 erreicht sein wird. Solange Führungspositionen überwiegend von Männern besetzt sind, deren Denken und Handeln von patriarchalen Strukturen geprägt ist (sei es bewusst oder unbewusst), wird die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit kaum Priorität haben. Es ist wenig plausibel, anzunehmen, dass diejenigen, die von den bestehenden Machtverhältnissen profitieren, bereitwillig Gesetze oder Maßnahmen unterstützen, die ihren eigenen Einflussbereich schmälern. Deshalb braucht es dringend Frauen in Führungs- und Entscheidungsrollen. Dafür müssen Bildungseinrichtungen und die Politik mit entsprechenden Sensibilisierungskampagnen, Quotenregelungen, Fördergeldern und nicht zuletzt einem geregelten Betreuungsangebot sorgen.

Was zuguterletzt das Private angeht, bin ich vorsichtig. Ich denke, dass sich patriarchale Verhaltensmuster hier noch länger halten werden und sich – oft unter dem Deckmantel der Romantik – in den kommenden Jahren unter dem Einfluss von Social Media und Künstlicher Intelligenz sogar noch weiter verfestigen könnten, wo Sexismus ungefiltert reproduziert wird.

Am Ende ist so ein Text über die Zukunft aber wohl immer ein großes Befürchten und ein kleines Hoffen. Ein Hoffen darauf, dass auch 2050 noch eine Lebenswelt bietet, die es wert ist, weiter erhalten zu werden und die nicht von sturen, kurzsichtigen Rindviechern niedergetrampelt wurde.

Maria Lang, geboren 1996, Ritten

Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research).

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