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Er war einer ohne Namen,
Dutzendware, irgendwer,
kam, wie viele andre kamen,
ungerufen zu uns her.
Auf der Suche nach dem Leben,
das ihm Perspektive bot,
hat er alles aufgegeben,
nicht aus Lust, sondern aus Not.
Hoffte er, das Glück zu kaufen?
Ach, da täuschte er sich schwer.
Die wie ihn lässt man ersaufen,
tausendfach, im Mittelmeer.
Die wie ihn kann man verachten,
„selbst verschuldet“ sei ihr Leid.
Zwischen Schleppnetz, Kreuzfahrt, Jachten
ist kein Platz für Menschlichkeit.
Wer nicht umkommt, darf ins Lager
wo man ihn verschmachten lässt.
„Dealer, Faulpelz, Dieb, Versager!“
Dieses Urteil steht schon fest.
Wer entrinnt, ist nicht entronnen,
wer entrinnt, der fängt erst an.
Hauchdünn ist das Netz gesponnen,
dem man nicht entfliehen kann.
Es gibt Arbeit! Und er nimmt sie,
ungeregelt, ganz egal.
Regeln gibt’s, doch wer bestimmt sie?
Die wie er hab’n keine Wahl.
Und er schuftet in der Hitze,
Knochenarbeit auf dem Feld.
„Hast’s so wollen! Also schwitze!
Denn so läuft das auf der Welt.“
Keiner darf von ihm erfahren:
„Wenn die Polizei kommt: Lauf!“
Er zählt zu den Unsichtbaren,
und von ihnen gibt’s zuhauf.
Tausende in Sklavenfeldern
rackern rastlos Tag und Nacht
doch sie sehn nichts von den Geldern,
die ein andrer damit macht.
Ohne Pause, ohne Gnade
stehn sie in der Mittagsglut.
„Betten sind für euch zu schade,
auf dem Boden schläft man gut!“
Ohne Schutz und ohne Schatten,
die Maschine dröhnt dazu,
Mücken, Flöhe, Zecken, Ratten,
selbst des Nachts gibt’s keine Ruh.
Nichts als Sorgen, Stress und Plage,
ohne Ende, ohne Sinn,
so verschwimmen ihm die Tage,
so rinnt ihm sein Leben hin.
Bis zum Tag, an dem wie immer
er an der Maschine steht.
Ist die Müdigkeit heut schlimmer?
Etwas hat sich heut gedreht.
Laut kreischt plötzlich die Maschine.
Er hat wohl nicht aufgepasst,
stand so nah an der Turbine,
dass sie seinen Arm erfasst.
Und der Arm wird abgerissen,
überall ist plötzlich Blut.
Für die wie ihn wird, wie wir wissen,
alles schlechter und nichts gut.
Denn man lädt ihn auf den Wagen,
und man fährt ihn rasch nach Haus,
lasst es mich noch einmal sagen:
rasch nach Haus – nicht „Krankenhaus“.
Und man wirft ihn vor die Hütte,
wirft den Arm auch hinterher,
und die Schreie und die Bitte
seiner Frau verhallen leer.
Achtlos ließ man ihn verrecken,
wie ein Tier, das keiner liebt.
Doch es darf uns nicht erschrecken,
dass es so was heut noch gibt.
Hieß es nicht, wir seien Brüder?
Wer’s noch glaubt, hat was versäumt.
Neue Zeiten, alte Lieder.
Unser Traum ist ausgeträumt.
Freilich stehen wir jetzt betroffen,
wenn wir sehn, wohin es führt,
doch wir brauchen nicht zu hoffen,
dass es morgen anders wird.
Morgen dreht die Welt sich weiter,
morgen ist was andres dran.
Morgen sind wir wieder heiter,
weil man doch nichts machen kann.
Er war keiner von uns Weißen,
das Verbrechen wog zu schwer.
Satnam Singh hat er geheißen.
Morgen weiß das keiner mehr.
Selma Mahlknecht
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