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Ich habe den Kontakt mit meinem Vater abgebrochen. Das war nicht mein erster Versuch, aber bislang der dauerhafteste. Ein Kontaktabbruch passiert nicht von heute auf morgen. Meist sind es mehrere Dinge, die zusammenkommen und bei denen man dann einfach die Hoffnung verliert, dass es besser wird. Es muss einiges passieren, dass ein Kind den Kontakt zu seinem Elternteil abbricht. In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder mal versucht, meinem Vater eine Chance zu geben. Denn als Kind hat man immer eine gewisse Verbindung mit seinen Eltern.
In meinem Fall war mein Vater, solange ich denken kann, alkoholkrank. Ich habe ihn kaum jemals nüchtern erlebt. Der Alkoholmissbrauch hat viele negative Sachen mit sich gebracht: finanziell, also dass das „meiste Geld versoffn wordn isch“ oder der Alkohol meinen Vater sehr aggressiv gemacht hat. Auch habe ich psychischen Missbrauch von Seiten meines Vaters an meiner Mutter mitbekommen. Der Alkoholkonsum hat ihn so stark verändert, dass er nicht mehr er selbst war.
Mein Vater hat für die ganzen Traumata, die er mir durch sein Verhalten zugefügt hat, nie die Verantwortung übernommen.
Warum ich keinen Kontakt mehr wollte? Mein Vater hat für die ganzen Traumata, die er mir durch sein Verhalten zugefügt hat, nie die Verantwortung übernommen. Wenn man mit ihm darüber reden wollte, hat er es als „net so schlimm“ abgetan. Seine Ausrede war immer: „I bin holt aso“. Daraufhin habe ich irgendwann gemerkt, dass ich nicht mit ihm reden kann. Die Schuldigen waren immer die anderen und er war das Opfer. Jedes Mal, wenn ich versucht habe, mit ihm darüber zu reden, hat er abgeblockt. Aus diesen Gründen habe ich nie eine gute Beziehung zu meinem Vater aufbauen können und ihn emotional auch nicht als Vaterfigur gesehen. Ich habe ihn als Vater halt akzeptiert, weil das in unserer Gesellschaft normal ist.
Als kleines Kind habe ich mehrmals meine Mama gebeten, dass sie sich bitte trennen soll. Ich war froh, als dies schließlich passiert ist. Damals war ich 12 Jahre alt. Und ja, er tat mir natürlich auch leid und ich habe versucht, den Kontakt zu ihm zu halten. Ich habe ihn jedes Wochenende besucht, allerdings war er da auch oft betrunken. Einmal war ich bei ihm und habe auf ihn gewartet. Er war nicht auffindbar und ist erst am späten Nachmittag, als es schon dunkel war, völlig betrunken aufgetaucht. Er hat es nicht mal mehr geschafft, mir ein Spiegelei zu kochen. Das war das erste Mal, wo ich den Kontakt für eine kurze Zeit abgebrochen habe. Dennoch empfand ich so großes Mitleid, dass ich allmählich wieder Kontakt aufnahm.
Einmal war er so betrunken, dass er nach einem Streit beinahe handgreiflich wurde.
Ähnliche Situationen gab es noch vier- bis fünfmal. Einmal war er so betrunken, dass er nach einem Streit beinahe handgreiflich wurde. Danach habe ich den Kontakt weitgehend abgebrochen. Mein Vater rief mich dann mehrmals pro Woche betrunken an. Irgendwann wurde es mir zu viel – ich sagte ihm, dass es reicht, und legte mit einem „Tschüss, Pfiati“ auf. Am nächsten Tag hatte er es schon vergessen. Ich habe dennoch gemerkt, dass es ihm peinlich war und er gemerkt hat, dass ich mich kaum mehr bei ihm melde. Er hat sich dann nur noch betrunken getraut, den Kontakt zu suchen, und mich immer wieder angerufen. Ich habe jedes Mal aufgelegt und gesagt: „Loss ins reden, wenn niachtern bisch“. Das war er aber nie. Der letzte Annäherungsversuch war vor einigen Wochen.
Ich habe das Gefühl, er versteht schon, dass er Fehler gemacht hat, die zu dem Kontaktabbruch geführt haben. Auf der anderen Seite habe ich aber auch das Gefühl, dass er sich seine schwerwiegenden Fehler nicht eingestehen kann und will. Denn wenn er das machen würde, würde er daran zerbrechen. Ich habe das Gefühl, er versucht zu ignorieren, dass sein Kind mit ihm den Kontakt abgebrochen hat. Von meiner Seite gab es nie Annäherungsversuche.
Wie es mir mit allem geht? Natürlich habe ich immer wieder Zweifel, ob die Entscheidung so richtig war. Aber Schuldgefühle habe ich nicht. Er tut mir als Mensch leid. Ich verstehe, dass er selbst Traumata hat und diese nie verarbeiten konnte. Ich empfinde Mitleid mit dem kleinen, verletzten Kind, das er einmal war.
Bei mir überwiegt die Erleichterung und ich lebe viel ruhiger ohne ihn.
Aber er als Vater tut mir nicht leid. Und ich weiß auch, dass ich mir keine Vorwürfe machen muss. Es braucht nämlich sehr viel, dass ein Kind den Kontakt abbricht. Und für mich liegt die Schul fast immer bei den Eltern. Bei mir überwiegt die Erleichterung und ich lebe viel ruhiger ohne ihn.
Für ihn ist es ein Schock, dass Kinder sich überhaupt trauen, so einen radikalen Schritt zu setzen. Es ist ein Tabubruch: Wir kommen aus einer ländlichen Gegend, wo Tabus und soziale Regeln noch viel mehr gelten. Er war immer der Meinung, er kann als Vater eh machen was er will, und es gibt keine Konsequenzen. Der letzte Kontaktabbruch war für mich der einzig konsequente Schritt. Zurzeit habe ich weder das Bedürfnis, selbst einen Annäherungsversuch zu starten, noch bin ich bereit, einen von seiner Seite zuzulassen. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht.
Das Verhältnis zu meiner Mama ist dafür sehr gut. Sie steht hinter meiner Entscheidung und versucht mich dementsprechend zu unterstützen – auch dann, wenn ich wieder Kontakt aufnehmen wollen würde. Sie bestärkt mich darin, dass es völlig legitim ist, wenn mich die Situation belastet.
Eine Sache, die mir noch wichtig ist: Ich finde es schlimm, dass ein Kontaktabbruch mit den Eltern immer noch ein Tabuthema ist. Und dass ganz oft einfach den Kindern die Schuld gegeben und gesagt wird, dass diese Kinder undankbar sind. Man ist seinen Eltern nichts schuldig und ist ihnen zu nichts verpflichtet. Sie haben sich für Kinder entschieden und es ist ihre Pflicht und ihre Aufgabe, ihrer Rolle gerecht zu werden und nicht umgekehrt.
*Felix heißt nicht Felix, er möchte anonym bleiben.
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