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Bettina Conci
Veröffentlicht
am 08.09.2015
MeinungPuffgeflüster

Gutmenschen

Veröffentlicht
am 08.09.2015
Im „Pink Flamingo“ gehts heiß her: Die Gemüter der leicht bekleideten Damen erhitzen sich bei der Flüchtlingsdebatte.
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Leise knarzend öffnet sich die Holztür des „Pink Flamingo“ und spuckt einen sichtlich entspannten Herrn Karl und einen noch ziemlich aufgekratzten Herrn Manfred aus. Aus unmittelbarer Nähe ertönt der mitternächtliche Glockenschlag einer Kirche. Es ist eine laue Altweibersommernacht, und die beiden machen sich glücklich und zufrieden auf den Heimweg.

Herr K (lächelt): Und?

Herr M (noch etwas außer Atem): Ganz ehrlich? Ich glaube, ich bin verliebt.

Herr K (lacht schallend): Alter Romantiker! Wenn das deine Gerlinde wüsste, was?

Herr M (errötet leicht): Ach, die Gerlinde, Gott hab sie selig, war da immer sehr tolerant, die war schon seit geraumer Zeit recht froh, wenn man sie bloß in Ruhe ließ, also körperlich, wenn du verstehst, was ich meine. Da hatte ich einen Freischein. Nur hat sich halt nie was ergeben, mit einer Anderen. Aber die Ilona… Mann, ist das ein Powerweib!

Herr K: Ja, man munkelt ja immer, diese Tussis aus dem Osten habens drauf, mir sind aber die Einheimischen lieber. Mit denen kann man halt reden. Also die Melli –

Herr M: Du, jetzt nix für ungut, aber mit „deiner“ Melli wirst du wohl auch nicht den Kant’schen Imperativ diskutieren, gell? Egal, ob die jetzt aus Prag oder Waidbruck ist. Und die Ilona, die ist halt so… so sanftmütig, so verständnisvoll. Ich bin da schon recht aufgeschlossen. Was du da nämlich von dir gibst, könnte man falsch auffassen, gerade in diesen Zeiten, mein Lieber! (wirft seinem Kumpel einen tadelnden Blick zu)

Herr K: Ja, ja, du Gutmensch, ich bin halt Realist. Diese ganzen fremden Kulturen, die haben nix verloren hier bei uns, basta.

Herr M (seufzt leise vor sich hin): Und sowas ist im Schulamt beschäftigt. Kein Wunder, dass es abwärts geht mit der Bildung.

Ja, so ist das mit dem Geschäft, das hat die Maria schon vor geraumer Zeit einsehen müssen: Kunden haben unterschiedliche Weltanschauungen, und vor allem in unserer Branche ist so ziemlich alles drunter, vom Reaktionär bis zum Revoluzzer (die Stammkundschaft besteht ja zu siebzig Prozent aus Politikern). Da darf man nicht zimperlich sein. Natürlich lassen wir uns nicht alles gefallen. Kürzlich zum Beispiel haben wir unsere Zusammenarbeit mit einer Dame aus der Politik gekündigt, die mit einem derartigen Genuss über Einwanderer und die „Flüchtlingslobby“ (die ja wahnsinnig aktiv ist in Südtirol) gewettert hat, dass unsere Wirtschaftsflüchtlinge Jorge und Ilona bereits mit Kündigung drohten. Und so kriegen wir jetzt zwar keine Spenden mehr für unser Unternehmen, im Gegenzug müssen wir auch kein Sexspielzeug mehr ins Landhaus schicken, was dem René nur recht ist, der mag es nämlich gern seriös.

Aber ich schweife ab. Zurück in den Blauen Salon, wo eine neugierige Elsa den beiden Herren hinter den nicht ganz zugezogenen Brokatvorhängen versteckt nachschaut, wie sie Richtung Dominikanerplatz entschwinden.

Maria (blickt von ihrer Zeitung auf und zu Ilona, die sich die Nägel lackiert): Und?

Ilona: Was, und?

Elsa: Wie der Typ war, will sie wissen. Der Neue.

Ilona: Ganz nett. Also, ehrlich. Sympathischer älterer Herr. Herz am rechten Fleck. Schüchtern. Witwer. Die mag ich am liebsten. Ziehen ein gutes Gespräch wildem Herumvögeln vor.

Elsa: Du Glückspilz. Immer erwische ich die alten Rammler. Aber ich glaube, die Melanie hats auch nicht so gut laufen mit ihrem Lustgreis. Der kommt ja direkt aus’m Mittelalter. „Aber nicht, dass sie mir so a Rumänin oder gar a Walsche andrehen, meine Damen“ – und das bei seinem ersten Besuch hier.

Maria (prustet los): Hört, hört. Wer hat sich denn über die Flüchtlinge aufgeregt, die in den Turnhallen schlafen, wo unsere Kinder sich dann alle möglichen Krankheiten aufklauben?

Ilona (zuckersüß zu Elsa): Du hast Kinder in der Oberschule? Wie oft sind die denn sitzengeblieben, zwölfmal?

Melanie kommt im schwarzen Morgenmantel mit schwarzem Handtuchturban und Zigarette im Mundwinkel zur Tür herein und lässt sich mit einem tiefen Seufzer in den Ohrensessel fallen. Als sie die bissige Stimmung zwischen Ilona und Elsa bemerkt, blickt sie argwöhnisch zu Maria.

Melanie: Hab ich was verpasst?

Maria: Nur unsere beiden Zicken. Wir sind beim aktuellen Tagesthema.

Melanie: Viagra für Frauen?

Maria: Nein, das andere. Fremde und so, du weißt schon. Ausländer. Flüchtlinge. Einwanderer. Du hast das mit der political correctness studiert, ich habs nicht so mit Worten.

Melanie: Na, du hast das eh ganz gut drauf. Für den Karl sind das alles Neger.

Elsa: Hab ich ja gesagt! Mittelalter!

Ilona (spitz): Du bist aber auch nicht besser mit deinen Vorurteilen, nur weil du die Dinge anders nennst, meine Liebe.

Melanie (nachdenklich in die Runde blickend): Ist euch schon mal der Gedanke gekommen, dass es keinen interessiert, was auch immer für Vorurteile wir Südtiroler haben? Weil diese Völkerwanderung nämlich nicht so schnell aufhört – während wir hier immer noch über Sinn und Unsinn von ein paar Leibelen diskutieren.

Maria (lacht): Ich finde sowieso jede Diskussion darüber unnütz. Also, über die Flüchtlinge. Die, die schon vor dieser Krise fremdenfeindlich eingestellt waren, werden ihre Einstellung nicht so schnell ändern. Und die, die immer schon tolerant waren, bleiben es auch. Außerdem: Die wollen alle gar nicht hier bleiben, ist euch das nicht aufgefallen?

Melanie: Genau. Vielleicht sollten wir uns mal fragen, warum.

Elsa: Vielleicht glauben die, Südtirol ist doch Italien?

Melanie: Klingt logisch. Da wollen sie nicht bleiben. Weil, dass es den Wal– den Italienern wirtschaftlich nicht so gut geht, dürfte sich bis nach Syrien und weiter herumgesprochen haben.

Ilona: Naja, vielleicht haben sie auch ein bisschen weiter gegoogelt und herausgefunden, dass Südtirol eine vorwiegend deutschsprachige Region mit Autonomie und nicht ganz so schlechter Wirtschaftslage ist.

Maria (erschrocken): Aber dann meinen die vielleicht, wir sind sowas wie Österreicher? Oder gar Piefke?

Melanie (zynisch lachend): Ihr seid ja lustig. Vielleicht wollen diese Leute ihr neues Leben auch einfach nicht ausgerechnet an einem Ort beginnen, dessen Bewohner sich selbst ohne Hilfe diverser Subventionen und Extrawürste nicht erhalten können. Die weder ihre Vergangenheit bewältigt haben noch ihren Nachbarn, geschweige denn den Italienern gegenüber imstande sind, Toleranz zu üben.

Die Melanie, die hatte schon immer den Durchblick bei dem ganzen politischen Kram. Die schaut ja auch regelmäßig Nachrichten, als Studierte. Und nicht nur die Tagesschau wie wir. Die zieht sich auch die Spiegel-Reportagen rein, wenn es ihr Terminkalender zulässt. Hier hat nun niemand eine gscheide Erwiderung parat, und Schweigen breitet sich aus. Bis ein Handy klingelt. Maria hebt ab.

Maria: Ja, Schorsch, was ist los? – Was? – Wo? Ja, aber… das gibts doch nicht! – Du kannst dich doch ausweisen. Was? Arbeitserlaubnis? Na, die sind gut! … Nein, natürlich macht das nichts, aber du wirst doch nicht – ja. Ist gut. Weißt du was? Sag denen doch einfach, du bist Syrer! Dann lassen sie dich gehen. Aber sicher doch! Was? Ja, ist gut. Bis morgen dann. (legt auf)

Elsa: Was war das denn?

Maria: Ich hab Jorge ja früher Feierabend machen lassen, als die beiden Herren gegangen sind. Und wie er am Bahnhof auf den Zug nach Hause wartete, hat ihn die Polizei aufgegriffen und wollte die Papiere sehen und so. Und jetzt hat der Depp alles hier liegen, und die haben ihn mitgenommen in die Quästur.

Ilona: Ausgerechnet der Schorsch. Ein waschechter Brasilianer.

Elsa: Seine Uroma ist aus Deutschland ausgewa–

Ilona (zischt): Darum gehts jetzt grade nicht, Elsa. (besorgt an Maria gewandt) Glaubst du, deshalb haben wir seit vorgestern nichts von Charlotte gehört? Haben sie die etwa auch aufgegriffen?

Maria: Na, die haben sie sicher nicht aufgehalten. Bei dem sturen Kalb erkennt man schon an der Gosch, dass es sich um a waschechte Südtirolerin handelt.

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