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Wir sind gerade ins Jahr 2025 geschlüpft, und in meiner Bubble herrscht eher Endzeitstimmung als Zukunftsfreude. Erst vor Kurzem haben wir uns nicht nur vom Jahr 2024 verabschiedet, sondern auch endgültig vom 1,5-Grad-Klimaziel. In Österreich ebnen wir den Weg für einen rechten Bundeskanzler und die politische Großwetterlage in der westlichen Welt verheißt ebenfalls nichts Gutes. Und last but not least steht der Equal Care Day vor der Tür – ein Tag, der das ungleiche Verhältnis von Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern symbolisiert. Laut Statistik bräuchten Männer rechnerisch etwa vier Jahre, um so viel private, berufliche und ehrenamtliche Fürsorgetätigkeiten zu erbringen wie Frauen in einem Jahr. Und das ist nur der Anfang der Liste. Der Gender Pay Gap, sexualisierte Gewalt, Unterrepräsentation in Führungspositionen, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung – das alles steht und bleibt auf der Agenda.
Im Jahr 2050 werde ich 55 Jahre alt werden und eines ist klar: Bis dahin wird sich vieles verändern. Ich bin bereits selbstständige Grafikdesignerin, und wie viele in der Kreativwirtschaft habe ich keinen klassischen 8-Stunden-Arbeitstag. Mal sind es zehn Stunden, mal nur vier. Flexibilität ist schon jetzt Alltag, und bis 2050 wird sich das weiter verstärken. Remote Work, Workations, Sabbaticals, KI-Unterstützung – das alles wird unser Berufsleben beeinflussen.
Das klingt erst mal beängstigend, aber ich sehe es großteils als Chance: KI wird uns mehr Raum für wirklich kreative und konzeptionelle Arbeit geben.
KI wird uns Designer:innen Routinearbeiten abnehmen – Retuschen, Satzarbeit, vielleicht sogar Teile der Konzeptentwicklung. Das klingt erst mal beängstigend, aber ich sehe es großteils als Chance: KI wird uns mehr Raum für wirklich kreative und konzeptionelle Arbeit geben. Dass eine Maschine echte Kreativität und die Feinheiten eines Kund:innenbriefings versteht? Unwahrscheinlich. Ich denke der Job von Konzeptionist:innen und Designer:innen ist also relativ sicher.
Design für alle: Inklusion als Standard
Ein wichtiger Wandel wird in der Designbranche bis 2050 stattfinden und der heißt: Inclusive Design. Barrierefreiheit wird in allen Bereichen Standard sein – nicht nur in der Architektur, wo Rampen und Aufzüge neben Treppen längst bekannt sind. Barrierefrei werden in Zukunft aber nicht nur Krankenhäuser und Busse sein, damit sie für Rollstuhlfahrer:innen und Eltern mit Kinderwagen zugänglich sind. Auch Websites, Plakate, Zeitschriften, Werbespots werden barrierefrei gestaltet sein – mit ausreichend Farbkonstrasten, großen Schriften, Untertiteln und mehr, um Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung genauso mit einzubeziehen wie jene, die andere Formen der Unterstützung brauchen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Deutschland macht barrierefreie Websites ab Juni 2025 zur Pflicht. In 25 Jahren wird diese Gesetzgebung nicht nur Realität, sondern gelebter Standard in vielen Ländern sein. Kreativität und inklusives Design zu verbinden, kann manchmal knifflig sein – die gestalterischen Rahmenbedingungen werden dadurch anspruchsvoller.
Und während ich im Sommer 2050 in meinem Büro in Bozen sitze und an barrierefreien Designs arbeite, wird wahrscheinlich die Klimaanlage auf Hochtouren laufen und die Mittagspause werde ich wohl auch lieber drinnen verbringen. Aber ich bin zuversichtlich, dass der Heimweg mit dem Fahrrad angenehmer sein wird als heute – mit sauberer Luft und sicheren Fahrradwegen. Elektromobilität bzw. CO2-neutrale Fahrzeuge werden sich durchgesetzt haben und Städte werden grüner, lebenswerter und nachhaltiger gestaltet sein.
Besonders mit den Rechtsregierungen, die uns in den nächsten Jahren bevorstehen, sehe ich wenig Grund für Optimismus.
Dennoch werden uns News von Hitzewellen, Hochwasser, Wasserknappheit, Brände etc. ein ständiger Begleiter bleiben – insofern wir das Schneckentempo beibehalten in dem wir die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels umsetzen. Besonders mit den Rechtsregierungen, die uns in den nächsten Jahren bevorstehen, sehe ich wenig Grund für Optimismus.
Gleichstellung 2050
Und wie sieht es mit Gleichstellung im Jahr 2050 aus? Laut dem Global Gender Gap Report wird das noch über 130 Jahre dauern, bis wir sie weltweit erreichen. Als 55-jährige Frau im Jahr 2050 werde ich also immer noch Frauen in meinem Umfeld erleben, die mehr Care-Arbeit übernehmen als ihre Partner. Sie werden die Einkaufsliste schreiben, Fenster putzen und den (veganen) Weihnachtsbraten an Heiligabend für die Familie zubereiten.
Doch ich bin überzeugt, dass jüngere Generationen solche Rollenbilder zunehmend hinterfragen werden: Meine Nichte, 2050 27 Jahre alt, wird sich hoffentlich nicht mehr anhören müssen, dass Frauenquoten eigentlich diskriminierend seien und sich schon gar nicht die Hemden ihres Partners zum Bügeln aufdrücken lassen – sofern sie überhaupt einen hat. Vielleicht lebt sie auch gar nicht in einer klassisch-monogamen Beziehung. Und ja, trotzdem wird ihr vermutlich an Weihnachten 2050 immer noch die Frage gestellt werden: „Wann gründest du endlich eine Familie?“ Doch ich hoffe, dass die Erwartungen an Frauen weiter bröckeln und Selbstbestimmung zunehmend Anerkennung findet. Dass wir die 100-prozentige Gleichstellung der Geschlechter bis 2050 geschafft haben ist leider utopisch.
Mehr Diversität in Entscheidungspositionen – nicht als Ausnahme, sondern als Selbstverständlichkeit.
Aber es gibt Dinge, die wir bis dahin schaffen könnten: Einen geschlossenen Gender Pay Gap, eine gefüllte Pensionskasse für alle die zeitweise ihre Kinder betreuen und ausreichend staatliche Kinderbetreuung sodass Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht länger ein Spießrutenlauf ist. Mehr Diversität in Entscheidungspositionen – nicht als Ausnahme, sondern als Selbstverständlichkeit. Gewalt gegen Frauen mag es auch 2050 noch geben – das ist eine bittere Wahrheit. Aber wir könnten es schaffen, sie drastisch zu reduzieren, wenn Prävention, Bildung und Schutzmaßnahmen endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.
Ich hoffe, dass 2050 nicht nur das Jahr ist, in dem meine Nichte als Frau selbstbestimmt und unabhängig ihren eigenen Weg geht, sondern auch eines, in dem die Gesellschaft die Vielfalt und Selbstbestimmung von Menschen und insbesondere Frauen* respektiert. In dem Frauen nicht länger die Hauptlasten tragen und in dem wir Schritte gemacht haben, die Gleichberechtigung greifbarer macht – in Wirtschaft, Politik und im Alltag. Und wer weiß, vielleicht wird Weihnachten 2050 das erste Jahr sein, in dem Frauen nicht mehr zwischen dem Vorbereiten des Festtagsessens, Geschenke einpacken und Smalltalk jonglieren.
Franziska Heiß, geboren 1995, Bozen
Dieser Beitrag stammt aus der Serie „Was junge Menschen in Südtirol über die Welt im Jahr 2050 denken“, herausgegeben von Roland Benedikter (Eurac Research).
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