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Mexiko ist ein frauenfressendes Monster. Mexiko ist eine Wüste aus Knochenstaub. Mexiko ist ein Friedhof aus rosa Kreuzen. Mexiko ist ein Land, das Frauen hasst.
(S. 171)In „Reservoir Bitches“ schleudert uns Dahlia de la Cerda mitten hinein in die dunklen, brutalen Alltage mexikanischer Frauen. In 13 Stories begegnen wir Frauen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten: Influencerin mit Lippenfiller und Hermès-Tasche, Hausfrau, sexarbeitende Transfrau, Narco-Braut oder Auftragskillerin – sie alle wehren sich, sie lügen, sie kämpfen – mit Gewalt, mit List, mit Witz. Sie alle wollen: überleben.
Als wir dem Tod ins Gesicht lachten und noch nicht wussten, dass der letzte Witz auf unsere Kosten gehen würde.
S. 131„Reservoir Bitches“ ist ein Roman in Storys, die mehr oder weniger miteinander verbunden sind. Storys, die das Mexiko zeigen, in dem weibliche Körper Zielscheiben sind – und in dem Frauen auch zurückschlagen. Dahlia de la Cerda schreibt über eine Realität, die weh tut: In Mexiko wird alle dreieinhalb Stunden eine Frau ermordet. Jeden Tag 7 Frauen! De la Cerda ignoriert diese Realität nicht – sie zerpflückt sie. Ihre Protagonistinnen sind Produkte dieses Systems: Sie wachsen in Armut auf, erleben Missbrauch, verlieren Freundinnen durch Männergewalt oder landen im Gefängnis, weil sie sich gewehrt haben. Sie werden misshandelt und getötet.
Frausein als Ausnahmezustand.
S. 167Die Geschichten erzählen von den unsichtbaren Frauen aus den Barrios, aus dem Knast, von den Straßen und aus den Luxusvillen. De la Cerda schaut dorthin, wo andere wegsehen. Femizid ist das übergreifende Thema, aber de la Cerda geht tiefer: Sie schreibt über Klassenzugehörigkeit, Sexismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit, Abtreibung, Korruption, Drogen- und Menschenhandel, Polizeigewalt und Machismo – mit Wut, Humor und einem ganz eigenen Rhythmus. Moral interessiert sie nicht. Ihre Heldinnen dürfen Fehler machen. Ihre Heldinnen sind keine Unschuldslämmer, keine moralisch einwandfreien Vorbilder. Sie schlagen zurück. Sie sind Opfer, Täterinnen, Mütter, Geliebte, Rächerinnen. Sie sind überlebende Körper in einem Krieg, den keiner Krieg nennt. Diese Frauen sind nicht perfekt, nicht angepasst, nicht harmlos – sie sind laut, queer, arm, reich, wütend, zerrissen. Sie dürfen hässlich, grausam, sexy, erbärmlich, stolz sein. Sie dürfen … sein. Sie töten, lieben, lügen, betrügen. Sie leben und sie sterben. Alles ohne moralischen Filter. De la Cerda lässt ihnen ihre Widersprüche, ihre Härte und ihre Würde.
Alle drei Stunden und fünfundzwanzig Minuten stirbt in Mexiko eine Frau, zerstückelt, erdrosselt, vergewaltigt, zu Brei zerschlagen, lebendig verbrannt, verstümmelt, von Messern zerfetzt, mit gebrochenen Knochen und grün und blau geprügelter Haut. Eine Frauenleiche, eine weitere Frau.
S. 168In ihrer Sprache knallt de la Cerda mit voller Wucht. Zwischen Sarkasmus, galligem Witz und radikaler Ehrlichkeit bringt sie die mexikanische Gesellschaft ins Wanken. Jede Geschichte ist ein Brennglas auf ein Leben am Rand: empowernd, wütend, manchmal absurd komisch und immer gnadenlos direkt. Der Text pulsiert vor Leben und Zorn. Es ist kein feministisches Wunschkonzert, sondern ein feministischer Aufschrei. Es ist laut, hart, aber auch voller Liebe – für die Überlebenden und für die Toten. Für die Frauen. Für alle, die keine Stimme (mehr) haben.
Er hat sie getötet, weil sie schwanger war. Er hat sie getötet, weil sie nicht abtreiben wollte. Er hat sie getötet, weil sie abtreiben wollte. Mutterschaft als Wegwerfprodukt. Frauen als Wegwerfprodukt. Ich habe sie getötet, weil ich sie geliebt habe. Ich habe sie getötet, weil sie mein war. Wie weist man Frauenhass nach, wenn der Mörder aussagt, dass er sie liebte? Liebe ist frauenverachtend.
S. 167)Ein literarischer Tritt in die patriarchalen Eier – „Reservoir Bitches“ ist ein Manifest. Eine Ohrfeige. Eine Rebellion. De la Cerda schreibt, als hätte sie mit jedem Satz die Waffe schon geladen. Sie will nicht gefallen, nicht beschwichtigen – und genau das macht dieses Buch so stark. Ihre Sprache ist ein raues, aber präzises Werkzeug, mit dem sie das Schweigen über Gewalt zerschlägt und die Ränder der Gesellschaft ins Zentrum rückt. Sie schreibt roh, bitterkomisch, manchmal vulgär, oft schmerzhaft. Aber sie schreibt wahr. Und sie schreibt gut. Dieses Buch ist politisch. Es ist unbequem. Es tut weh. Aber es ist auch wild, frech, komisch und herzzerreißend zärtlich. Dahlia de la Cerda liefert mit ihrem Debüt einen der wichtigsten Beiträge zur feministischen Literatur Lateinamerikas – mutig, radikal und aufrüttelnd. Kein Buch, das man liest, um sich zurückzulehnen. Sondern eins, das man liest, um aufzustehen. Ein Highlight!
La vida loca hat seine Konsequenzen, und Träume sind flüchtig.
S. 69Das Buch ist nominiert für den International Booker Prize 2025, wurde ausgezeichnet mit dem Premio Nacional de Cuento Joven Comala und eines PEN Translation Awards. Dahlia de la Creda ist Mitbegründerin der feministischen Organisation „Morras Help Morras“.
Aus dem mexikanischen Spanisch von Johanna Malcher. „Reservoir Bitches“ ist beim Verlag Culturbooks erschienen.
Mehr feministische Lesetipps unserer Buchbloggerin Carmen Waldthaler
gibt es auf ihrem Instagram-Channel c_booksblog! #frauenlesen
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