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Ich verliebe mich in einen trinkenden Mann, weil es wie zu Hause ist.
S. 92Motte, wie sie liebevoll von ihrem Vater genannt wird, wächst in einer Familie auf, in der Zuneigung und Zerfall dicht beieinander liegen. Ihr Vater ist ein Mann mit zwei Gesichtern: mal ein verspielter, wortgewandter Geschichtenerzähler, mal ein schweigsamer, trinkender Schatten seiner selbst. Schon früh lernt Motte, wie Alkohol Gerüche, Gespräche und ganze Erinnerungen durchdringt. Als junge Frau trinkt sie längst selbst zu viel, taumelt durch Nächte, verpasst Türen und verliert sich. Ihr Bruder bleibt der stille Halt, ihr Freund der wankende Spiegel. Als beim Vater eine tödliche Krankheit festgestellt wird, beginnt Motte sich zu fragen, wie man Abschied nimmt – von einem Menschen, der nie ganz da war, und von einem Teil in sich selbst – dem Alkohol.
Wenn eine Frau zu viel trinkt, ist das was anderes.
S. 9Lena Schätte erzählt in ihrem Roman „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ von einer Kindheit und Jugend in einer vom Alkohol durchzogenen Familienrealität – ohne Klischees, ohne Schuldzuweisungen. Sie beschreibt, wie sich Suchtdynamiken durch Generationen ziehen, wie Schmerz vererbt wird – aber auch Zärtlichkeit, Humor und Widerstandskraft. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Vater und Tochter: roh, liebevoll, kaputt und doch voller Verbundenheit. Es geht um Herkunft, Verantwortung, den Versuch der Selbstrettung – und um das leise, erschütternde Abschiednehmen.
Wenn er betrunken ist, packst du deine Koffer. Und wenn er nüchtern ist, packst du sie wieder aus. Und so läufst du dein ganzes Leben lang in knubbeligen Blusen herum und siehst beschissen aus.
S. 151Ein sprachlich eindringlicher, stiller Roman, der mit wenigen Worten viel erzählt. Der Autorin gelingt es, die dunklen und hellen Töne eines Familienlebens in einem Atemzug zu fassen – ohne Pathos, aber mit großem Gespür für Zwischentöne. Dieses Buch schmerzt, tröstet und bleibt, wie schwarze Spuren an den Händen. Und doch bleibt zwischen all dem Schwarz ein Flimmern – wie Licht, das durch geschlossene Lider fällt. Und vielleicht lässt sich das Schwarz nicht abwaschen, aber man kann lernen, mit ihm zu leben, ohne daran zu zerbrechen. Und mit der Zeit beginnt man, seine Konturen anders zu lesen.
Ein Buch wie ein stiller Sturm – zart, rau und voller Wahrheit, die leise unter die Haut kriecht. Selten liest sich Schmerz so schön, so ehrlich und so menschlich.
„Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ von Lena Schätte ist nominiert für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 und ist im S. Fischer Verlag erschienen.
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