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Ohne Kernfusion wären wir gar nicht da, denn die Energie, die die Sonne ausstrahlt, entsteht durch die Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium, also durch Kernfusion. Unsere Sonne ist nichts anderes als ein riesiger Haufen Wasserstoff. Weil sie durch ihre Größe so eine hohe Gravitation hat, herrschen im Inneren sehr hohe Temperaturen und gewaltiger Druck. Unter solchen Bedingungen verhalten sich die Wasserstoffatome anders als gewohnt: Sie werden zu Plasma. In diesem Zustand ist so viel Energie vorhanden, dass die Elektronen, die normalerweise um den Atomkern kreisen, herausgelöst werden und als freie Elektronen zwischen den positiv geladenen Kernen umherfliegen. Die Kerne stoßen sich zwar normalerweise gegenseitig ab, aber wenn Druck und Temperatur extrem hoch sind, haben sie genug Energie, um diese Abstoßung zu überwinden und zu verschmelzen. Dabei entsteht Helium, und ein kleiner Teil der Masse wird nach Einsteins berühmter Formel E=mc² in enorme Energiemengen umgewandelt.
Alles geht von der Sonne aus
Diese Energie, die als Licht und Wärme auf die Erde kommt, ist die Quelle aller anderen Energieformen, die wir nutzen (minus Kernenergie, aber dazu später). Holz, Kohle, Öl, Gas? Das waren einmal Pflanzen, die Photosynthese betrieben haben. Windenergie? Funktioniert nur, weil die Sonne die Luft in Bewegung bringt. Selbst Wasserkraft lebt vom Kreislauf von Verdunstung und Regen.
Hätte Ötzi einen Atomreaktor gehabt, würde uns sein radioaktiver Müll immer noch umbringen.
Weil wir die Sonne haben, werden wir eigentlich permanent mit Energie beschossen. Aber wir können diesen Überfluss kaum nutzen. Nur ein winziger Bruchteil der Sonnenstrahlung, die auf die Erde trifft, wird von Pflanzen aufgenommen und von Windrädern und Solaranlagen genutzt. Da wäre es doch viel effizienter, durch das schier unendliche Potential von Einsteins Masse-Energie-Relation E=mc2 die Sonne auf die Erde und ins Kraftwerk zu holen.
Atomenergie – viel Nutzen und noch mehr Probleme
Das machen wir bereits – aber genau umgekehrt wie die Sonne, nämlich durch Kernspaltung oder im Volksmund Atomenergie. Bei der Kernspaltung wird der riesige Haufen Energie aus einer winzig kleinen Masse umgewandelt, indem wir einen großen Atomkern, wie etwa Uran oder Plutonium, in zwei kleinere aufspalten. Auch dabei entsteht viel Energie und kein CO₂. Aber wir zahlen einen hohen Preis für diese „saubere“ Energie: Der sogenannte Atommüll, der bei diesem Prozess entsteht, ist sehr gefährlich; und vor allem strahlt er lange … sehr lange. Hätte etwa Ötzi einen Atomreaktor gehabt, würde uns sein radioaktiver Müll immer noch umbringen. Radioaktives Uran braucht nämlich etwa 240.000 Jahre, bis es sich vollständig in ungefährliche Elemente umgewandelt hat. Das ist länger, als es uns Menschen überhaupt gibt. Deshalb ist die „Endlagerung“, also eine finale und sichere Lagerstätte von Atommüll, eine Illusion.
Genau an diesem Punkt liegt die große Hoffnung der Kernfusion. Der Prozess benötigt zwar winzige Mengen an radioaktivem Ausgangsmaterial, aber das sind nur einige Gramm (anstatt Tonnen, wie bei der Kernspaltung) und das Endprodukt ist komplett ungefährliches Helium. Man braucht sich also um Lagerung und Transport von hochgefährlichem Abfall keine Sorgen zu machen. Auch ein Unfall würde nicht zu einer unkontrollierten Kernschmelze, wie etwa in Chernobyl, führen, sondern die Reaktion würde einfach stoppen. Wie aber kann man die Sonne im Labor nachbauen?
Wir müssen den enorm hohen Druck und die Temperaturen nachempfinden, die im Inneren der Sonne herrschen – immerhin mehrere Millionen Grad Celsius. Das ist das kleinere Problem.
Too hot to handle
Der Fusionsprozess – zwei Wasserstoffatome werden zu einem Helium – klingt simpel. Die Schwierigkeit liegt aber in den Bedingungen, unter denen das passiert. Wir müssen den enorm hohen Druck und die Temperaturen nachempfinden, die im Inneren der Sonne herrschen – immerhin mehrere Millionen Grad Celsius. Das ist das kleinere Problem. Das größere Problem ist es, das oben beschriebene Plasma aufrechtzuerhalten und so einzufangen, dass man die erzeugte Energie auch nutzen kann. Oder einfacher gesagt, dass es den Reaktor nicht in die Luft fliegen lässt. Dafür haben Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen zwei unterschiedliche Herangehensweisen überlegt, die auch beide schon in Versuchsreaktoren funktioniert haben.
Mhmm … Plasma Donuts
Das erste Prinzip arbeitet mit Magneten. Weil kein festes Material dem mehrere Millionen Grad heißen Plasma standhalten kann, wird es mit Magnetfeldern in einer Donutförmigen Vakuumkammer gefangen gehalten, die aus extrem widerstandsfähigem Material besteht. Die supraleitenden Elektromagneten, die diese Felder erzeugen, werden mit flüssigem Helium bis knapp über den absoluten Nullpunkt gekühlt. Die Wärme, die durch die Kühlmittel abgeführt wird, könnten wir dann zur Energiegewinnung nutzen. Die Kunst ist es, den Plasmadonut aufrecht zu erhalten, damit die Fusionsreaktion ablafen kann. Kühlt der Donut ab oder bricht das Plasma aus dieser Form as, gibt es keine Fusion. Das klingt kompliziert, ist in der Praxis aber noch viel komplizierter. Die Tücke liegt in den vielen Details, sowohl in der Konstruktion als auch in der Plasmaphysik, die noch immer nicht hundert Prozent verstanden ist. Eine genaue Erklärung würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Es ist aber Wahnsinn, was sich die Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen einfallen lassen, deswegen verlinke ich hier ein gutes Erklärvideo. Am längsten konnte bis jetzt ein Versuchsreaktor in Deutschland, der Wendelstein 7x (im Bild) den Plasma Doughnut aufrechterhalten, ganze 43 Sekunden.
Richtig fette Laser
Beim zweiten Ansatz, der Trägheitsfusion, beschießt man winzige Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoff und mit extrem starken Laser- oder Teilchenstrahlen. Diese müssen das Kügelchen von allen Seiten gleichzeitig treffen. Dadurch wird das Kügelchen nach innen zusammengedrückt und für einige Milliardstel-Sekunden werden Druck und Temperatur so hoch wie im Inneren der Sonne. Die Wasserstoffkerne verschmelzen in dieser Mini-Sonne zu Helium und die Energie wird frei. In einem aufsehenerregenden Experiment konnte 2022 bei einer solchen Reaktion mehr Energie gewonnen werden, als die Laser verbraucht haben. Doch das Experiment zählte nur die Laserenergie und nicht die Technik drumherum. Also ist die Energiebilanz insgesamt noch weit entfernt davon, positiv zu sein. Und auch die Tatsache, dass die Megalaser teilweise Wochen brauchen, um sich für eine Reaktion aufzuladen, erschwert die Kommerzialisierung der Methode ungemein.
Bedenkt man zudem das sehr enge Zeitfenster, das wir noch haben, um die katastrophalen Auswirkungen der Erderwärmung einzudämmen, kommt die Fusionsenergie sicher zu spät.
Eine Lösung für den Klimawandel? Nope!
All diese Fortschritte zeigen: Es ist keine bloße Träumerei, einmal eine kleine Sonne im Kraftwerk zu haben, die uns mit Strom versorgt. Aber der Weg dorthin ist noch lang. Es gibt unter Physiker:innen den Witz, dass Fusionsenergie nur 35 Jahre weit weg ist … und das seit 35 Jahren.
In der Euphorie über Durchbrüche taucht gern die Vision von „unbegrenzter Energie“ auf. Und manche sind dazu verleitet zu denken, dass mit dieser Energieform der Klimawandel vom einen auf den anderen Tag gestoppt werden könnte. Aber so einfach wird es leider nicht. Selbst wenn Fusion morgen funktionieren würde, könnte man die ultrakomplizierten Kraftwerke nicht überall aufstellen, weil schlicht die Infrastruktur fehlt. Zusätzlich braucht es Unmengen an Material und seltene Metalle wie Wolfram. Deshalb ist der Bau solcher Reaktoren alles andere als CO₂-frei.
Bedenkt man zudem das sehr enge Zeitfenster, das wir noch haben, um die katastrophalen Auswirkungen der Erderwärmung einzudämmen, kommt die Fusionsenergie sicher zu spät. Die gute Nachricht ist: Die Lösungen, die wir jetzt brauchen, sind längst da. Windräder, Solaranlagen, Batteriespeicher – das alles funktioniert und ist mit unseren heutigen Mitteln umsetzbar. Trotzdem werden sie viel zu langsam ausgebaut. Politisch und wirtschaftlich hängen wir nach wie vor am Tropf der alten fossilen Systeme.
Es ist ein Menschheitstraum, der zeigt, wie weit wir kommen können, wenn wir forschen, tüfteln, bauen.
Neue Energie – alte Fragen
Trotzdem ist es gut, dass weiter an der Fusionstechnologie geforscht wird, nicht weil sie uns retten wird, sondern weil Fusionsenergie eine der faszinierendsten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit ist. Es ist ein Menschheitstraum, der zeigt, wie weit wir kommen können, wenn wir forschen, tüfteln, bauen. Präsident Kennedy hat über die amerikanische Mondmission gesagt, dass diese Dinge nicht gemacht werden, weil sie leicht sind, sondern eben weil sie schwierig sind. Vor allem im Hinblick auf die Mammutaufgabe, die uns angesichts des Klimawandels bevorsteht, ist diese Einstellung vielleicht notwendig. Aber wie bei jedem großen und zentralen Technologieprojekt sollten wir uns auch fragen, wie es der gesamten Menschheit zugutekommen kann und bestehende Ungerechtigkeiten nicht noch verstärkt. Wer bestimmt über die Umsetzung von Bauplänen? Kann die Technologie für militärische Zwecke missbraucht werden? Wem gehört diese „unlimitierte“ Energie? Diese mondänen Fragen müssen wir uns auch bei der futuristischsten und abgefahrensten Technologie stellen.
Deep dive:
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