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„Nie wieder will ich ein Kind bekommen!“ Über zwei Jahre lang war das meine klare, unmissverständliche Antwort, sobald auch nur ansatzweise das Thema Geschwisterchen für meinen Sohn aufkam. Denn statt Mutterglück und überwältigender Liebe überrollte mich damals nach seiner Geburt etwas ganz anderes: eine schwere postpartale Depression. Mein Weg da raus und hin zur Entscheidung, es doch ein zweites Mal zu wagen.
Etwas wird geboren, etwas stirbt
Die Geburt meines Sohnes war alles andere als schön. Vermutlich sind Geburten das auch gar nicht, ich weiß es nicht. Jedenfalls lagen meine Vorstellungen von einer Geburt und die Realität im Kreißsaal Lichtjahre auseinander. Für mich war sie nichts anderes als schrecklich und traumatisierend (ich habe für BARFUSS berichtet).
Allein der Gedanke daran, noch einmal eine solche Art des Kontrollverlustes, der Ohnmacht oder der Hilflosigkeit durchmachen zu müssen, wie ich es während und nach seiner Geburt erlebt habe, löste in mir nichts als schiere Panik aus und ließ mich relativ schnell den Entschluss fassen, dass mein Sohn Einzelkind bleiben würde.
Keine Freude, keine Leichtigkeit, nur Schwere und Trauer, als ob ein geliebter Mensch gestorben wäre – und nicht geboren.
Im Wochenbett wurde es leider nicht besser – im Gegenteil: Was zunächst mit nachvollziehbarer Überforderung und Angstzuständen nach einer traumatischen Geburt begann, entwickelte sich rasch zu Schlaflosigkeit, tiefer Traurigkeit, einem Fremdheitsgefühl im eigenen Körper und massiven Bindungsproblemen zu meinem Sohn – bis hin zu Suizidgedanken. Keine Freude, keine Leichtigkeit, nur Schwere und Trauer, als ob ein geliebter Mensch gestorben wäre – und nicht geboren. Das war mein Wochenbett. Das waren meine ersten anderthalb Jahre als Mama. Kein Wunder also, dass ich nach dieser Erfahrung eine klare Haltung zum Thema hatte. Nämlich: Die Mutterschaft und ich haben es miteinander versucht – und mussten leider feststellen, dass wir nicht kompatibel sind. Punkt.
Zwischen Sehnsucht und Angst
Mit der Zeit ging es mir langsam immer besser. Wöchentliche Sitzungen bei meiner Psychologin, aufwühlende Traumatherapie, unzählige Auf und Abs und mehrere Anläufe, das passende Antidepressivum für mich zu finden, halfen mir, nach und nach Stabilität zu gewinnen.
Nach zwei Jahren war es nicht mehr die Depression selbst, die mich quälte, sondern vor allem die Erinnerungen daran. Die Flashbacks von der Geburt, die gefühlt verlorene Zeit mit meinem Neugeborenen, wo ich nichts Positives aufnehmen konnte. Ich trauerte noch mehrere Monate den Momenten nach, die ich nicht erleben durfte und die ich nie wieder zurückbekommen würde. Nachts hatte ich oft noch schlimme Albträume, in denen mein Hirn wohl versuchte, all das Chaos der letzten zwei Jahre zu ordnen und zu verarbeiten.
Ich durfte ihn endlich so lieb haben, wie ich es mir immer gewünscht und vorgestellt hatte.
Parallel zu diesen schwierigen Gefühlen schlich sich jedoch auch immer mehr Leichtigkeit und Dankbarkeit in mein Leben. Ich konnte die Zeit allein mit meinem mittlerweile zweieinhalbjährigen Sohn immer öfter bewusst genießen, das Schöne wahrnehmen und das Leben spüren. Mit jedem weiteren Tag festigte sich mein Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten und die Bindung zu meinem Sohn wurde besser und besser. Ich durfte ihn endlich so lieb haben, wie ich es mir immer gewünscht und vorgestellt hatte.
Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich bei einem Spaziergang eine Mama mit einem kleinen Baby auf dem Arm sah und tatsächlich dachte: „Ich würde auch gerne nochmal Mama werden.“ Perplex und schockiert vom eigenen absurden Geistesblitz, schüttelte ich den Kopf, verzog die Augenbrauen und schon war die innere Diskussion eröffnet:
Hirn: „Nochmal Mama werden? Spinnst du? Hast du etwa vergessen, was alles passiert ist?“
Herz: „Ähm … Nein, aber guck mal, wie süß das kleine Händchen ist …“
Hirn: „Süß? SUUUPER. Und was ist mit den täglichen Heulkrämpfen deinerseits? Vergessen?“
Nein, das hatte ich natürlich nicht vergessen und schob das Thema sofort wieder von mir weg.
Auch in den folgenden Monaten tat ich das meiner Meinung nach (relativ) erfolgreich. Ein Baby schenkt mir ein Mini-Zwei-Zähne-Lächeln im Kinderwagen an der Supermarktkasse? Kein Problem. Ich lächle zurück und rufe innerlich: „Nein, Sara. Auf gar keinen Fall!“ Mein Sohn nimmt ein deutlich kleineres Kind auf dem Spielplatz liebevoll an die Hand, um mit ihm laufen zu üben? Auch das stecke ich weg. Mein Herz erwärmt zwar von diesem Anblick, aber ich ermahne mich sofort innerlich: „NEIN! NEIN!“ Und dann diese winzige Neugeborenen-Kleidung im Laden … Kurz fantasierte ich, wieder am Kopf eines solchen Wuzels schnuppern zu dürfen – und verbannte die Sehnsucht sofort wieder in die hinterste Ecke meines Gehirns.
Ich kam irgendwann an einen Punkt, an dem ich merkte, dass eine gewisse innere Zerrissenheit wohl bleiben wird.
Doch egal wie sehr ich mich sträubte, sie ließ sich nicht abschütteln und wurde immer lauter. Erst flüsterte sie leise, kaum hörbar zwischen all den Alltagsgeräuschen, dann wurde es zu einem nervigen Quengeln bis sie schließlich unüberhörbar brüllte: „Hallooo! Ich bin hier, du kannst mich nicht ignorieren!“
Trotz Angst: der Entschluss, noch einmal Mama zu werden
Ich kam irgendwann an einen Punkt, an dem ich merkte, dass eine gewisse innere Zerrissenheit wohl bleiben wird. Dass die Angst bleiben wird, die Sehnsucht aber auch. Und es darauf ankam, wofür ich mich am Ende entscheiden wollte. Also begann ich mir auszumalen, wie mein Leben wohl mit einem zweiten kleinen Menschlein im Schlepptau aussehen könnte. Dieses Mal waren meine Vorstellungen deutlich realistischer als noch vor meinem ersten Kind. Von diesem romantisierten „Den-ganzen-Tag-verliebt-das-Baby-Anschauen“-Wahnsinn war nicht mehr viel übrig.
Stattdessen wusste ich jetzt sehr genau, wie sich die Realität anfühlen könnte: dass Schlafentzug im Mittelalter nicht ohne Grund als Foltermethode galt. Dass Stillen zwar unfassbar innig ist – aber auch bedeutet, dass man schon mal mit Tränen in den Augen und Kühlpads im BH auf dem Sofa sitzt. Und dass jeder Trotzanfall meines Kleinkindes das Potenzial hat, mein inneres Alarmsystem direkt in den Weltuntergangs-Modus zu katapultieren. Und trotz all dem, wünschte ich mir nichts mehr, als diesen Wahnsinn nochmal von vorne zu erleben.
Ob ich immer noch Angst habe? Oh ja, hab ich. Ich darf aber auch jeden Tag daran arbeiten, Vertrauen zu haben – in mich, meinen Körper, meinen Mut, meine Stärke.
Ich entschied mich für die Sehnsucht. Ganz bewusst und nicht von heute auf morgen. Die Angst durfte bleiben – sie hatte sozusagen ihre Daseinsberechtigung –, aber sie sollte nicht mehr die komplette Kontrolle über das Ruder übernehmen. Das Schiff lenkte schließlich immer noch ich.
Mama werden 2.0
Mittlerweile bin ich im fünften Monat schwanger. Ob ich immer noch Angst habe? Oh ja, hab ich. Ich darf aber auch jeden Tag daran arbeiten, Vertrauen zu haben – in mich, meinen Körper, meinen Mut, meine Stärke. Auch wenn das sehr herausfordernd sein kann, fühlt sich diese Schwangerschaft für mich bereits irgendwie heilend an. Ich habe mein Auffangnetz, eine stabile Partnerschaft, eine kompetente Psychologin, zu der ich jederzeit zurückkehren kann, sollte es wieder brenzlig werden. Ich weiß, welches Medikament mir damals geholfen hat und dass es immer mehr Möglichkeiten gibt, als Hindernisse. Ich weiß aber auch, dass das Leben unberechenbar sein kann und uns manchmal Hürden in den Weg stellt, die wir nun mal nehmen müssen. Und vieles weiß ich auch (noch) nicht.
Ich darf also weiterhin versuchen, Frieden mit dem Ungewissen zu machen. Denn es kommt ja eh wie’s kommt, ob ich mich nun verrückt mache oder nicht. Und wenn mein Kopf trotzdem mal wieder sämtliche Worst-Case-Szenarien durchspielt (von der schrecklich unsensiblen Hebamme bis zur Apokalypse im Kreißsaal), dann halte ich kurz inne und frage zurück:
„Ja, ja, liebe Angst – aber was, wenn alles gut geht?“ oder „Was, wenn ich – egal was kommt – das schon meistern werde?“
In solchen Momenten zieht sich meine Angst beleidigt zurück, wie ein trotziges Kind, das merkt: Diesmal krieg ich sie nicht so leicht rum. Und an all die Mamis da draußen, die auch Angst haben vor einem zweiten Kind, einer zweiten Geburt: We’re in this together. Wir wissen nicht, wie’s wird, aber das wird schon. Wir sind so viel stärker als wir denken und trotzdem müssen wir nicht alles alleine wuppen. Wir dürfen uns helfen lassen und uns Unterstützung nicht nur wünschen, sondern sie einfordern. Die Angst lassen wir ab und an mitreden – aber die Sehnsucht entscheidet. Vielleicht ist das größte Abenteuer ja nicht das, das perfekt läuft oder planbar ist, sondern jenes, das wir uns trotz Zittern in den Knien zutrauen.
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