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Sie haben es tatsächlich durchgezogen. In der Kindergartendirektion Brixen galt auch dieses Schuljahr noch die Notfallregelung der Pandemie: Eltern müssen draußen bleiben. Kinder an der Tür abgegeben werden. Während überall sonst die zwischenmenschlich suboptimal bis beschissenen Corona-Relikte so schnell wie möglich entsorgt wurden, klammert sich die deutsche Kiga-Direktion Brixen klammheimlich weiter dran. Von wegen „Eltern sind wichtige Partnerinnen und Partner des Kindergartens“ und bilden „gemeinsam eine Bildungspartnerschaft“. Die Direktion Brixen hat per Pandemie die Scheidung eingereicht.
Während man in Eppan morgens seinem Kind aus der Jacke und mit einem liebevollen Drücker in den Tag half, schubste Brixen auch heuer das Dreijährige durch den Türspalt – nur so weit geöffnet, dass Mami oder Papi ja nicht eintreten könnten (von der sogenannten „Türfrau“ abgefangen – einer abkommandierten Erzieherin, die aufgrund von diesem Dienst dann übrigens nicht bei den Kindern sein kann). Während man in Kiens noch gemeinsam mit der Vierjährigen die Bilder an der Pinnwand bewunderte, kauerte man in Brixen bei minus fünf Grad vor einem elektronischen Bilderrahmen draußen vor der Tür (und wen interessiert schon die Privacy von Kindern?).
Auf Nachfrage in Brixen kriegt man schlechte Laune und schlechte Begründungen.
Während man in Meran noch kurz zwei Worte mit der Kindergärtnerin wechselte und einem gesagt wurde, dass der Samuel und der Hamid gestern den größten Joghurtbechertum gebaut haben, hat in Brixen schon seit Jahren niemand mehr spontan Einblick in das Kindergartenleben. Elternfrühstück wurde auch abgeschafft. Weil die Gemeinde Brixen hat zwar Geld für jedes andere Kinkerlitzchen, aber nicht für die eigenen Kinder, so die offizielle Begründung (als ob es den Eltern um ein verdammtes Gipfele ginge!). Man kann halt hospitieren. Allerdings ist ein punktueller Besuch von zwei Stunden nicht vergleichbar mit kontinuierlichen Einblicken in den Kindergartenalltag.
Auf Nachfrage in Brixen kriegt man schlechte Laune und schlechte Begründungen. Pseudopädagogische und eine pseudowissenschaftliche nämlich. Erstere geht folgendermaßen: Abschiede draußen gingen „schneller“ und „schneller“ scheint die Kindergartendirektion Brixen bei Kleinkindern mit „besser“ gleichzusetzen. Das Kind rasch durchzureichen ist auf jeden Fall schnell – und scheiße. Man kann dann nur noch hoffen, dass das Kleinkind dann hoffentlich in der roten und nicht in der blauen Gruppe landet (weil wenn hinter einem andere Eltern sind, kann die Türfrau das Kind ja nicht in die Gruppe begleiten) und dort dann auch eine Erzieherin findet (die extra aus dem Spiel mit anderen gehen muss), um ihm aus der Jacke und in die Potschen zu helfen. Besonders bei den Kleinsten beginnt der Kindergartentag damit mit Stress und Ängsten.
Und interessant! Hier will man nun auf einmal besonders die arbeitstätigen Eltern unterstützen, die ja „keine Zeit haben, das Kind in die Garderobe zu begleiten.“ Muss man nachmittags auf Knien um jede halbe Stunde Verlängerung betteln, sollte man vormittags das Kind am besten noch auf der Straße aus dem Auto werfen und gleich wieder wegfahren. Was einige Eltern ehrlicherweise auch gern tun und von mir aus sollen sie es weiterhin dürfen – aber für die Kleinsten und jenen Eltern, denen ein liebevoller Start in den Tag und ein transparenter Kindergarten wichtig ist, soll der Zutritt erlaubt sein.
Das pseudowissenschaftliche Argument hingegen ist folgendes: Man habe in Brixen eine Umfrage gemacht und ein Großteil der Eltern wünschte sich, dass sie den Kindergarten nicht betreten dürfen. Wer hier jetzt nicht lacht, der lacht wirklich über gar nichts mehr. Die Umfrage, von Kindergärtnerinnen anscheinend selbst durchgeführt (ob die sich im Verkleidungsraum als Wissenschaftlerinnen verkleidet haben?) und leider nicht öffentlich einsehbar, hätte man sich sparen können. Denn es gibt nämlich schon umfassende Erhebungen zu exakt genau der Thematik – und zwar mit eindeutigen Ergebnissen.
Fazit: Eltern finden es scheiße. Kinder auch. Von wegen Bildungspartnerschaft!
Die Corona-KiTa-Studie (Kinder in KiTa und Kiga zwischen 0–6 Jahre) des DJI und RKI beispielsweise, bei der über 7.000 Einrichtungen in Deutschland untersucht wurden, und Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung kommen zu einem konsistenten Ergebnis: Fehlender Zugang in die Einrichtungsstätte wie während der Corona-Pandemie führt bei Eltern zur Wahrnehmung, dass der Kindergarten eine intransparente „Black Box“ ist, was Unsicherheiten und Misstrauen verstärkt. Zitat aus der Bertelsmann-Studie: „Dominiert die elterliche Erfahrung, dass die Kinderbetreuungsstätte eine für sie geschlossene, intransparente bzw. fremde Sphäre ist (…), bleibt die Interaktionspraxis unsicher und mündet nicht in eine Form der kooperativen oder gar kollaborativen Zusammenarbeit. Die Eltern erhalten, in ihren Augen, nicht genügend oder nicht passende Kommunikations- bzw. Interaktionsangebote durch die Fachkräfte und verfügen somit nicht über einen transparenten und erfahrungsbasierten Zugang zu dem, was in der Betreuungsstätte passiert.“ Fazit: Eltern finden es scheiße. Kinder auch. Von wegen Bildungspartnerschaft!
Aber es gibt sie auch, einige Kindergärtnerinnen, die sich der Regelung der Direktion widersetzen und stattdessen auf die geltenden Qualitätsstandards setzen. Aber es gibt eben auch die, die sich hinter der Regelung der Direktion verschanzen und es offensichtlich bequem finden, dass man niemanden mehr sieht, mit niemanden mehr interagieren muss und diese klitzekleinen Kinderchen – die im Zweifelsfall auch nichts sagen, weil die kleinen Hirnchen viele Ängste und Sorgen noch nicht verbalisieren können – ganz für sich alleine hat. Das zumindest wird auf den Brixner Spielplätzen gemunkelt, wo die Eltern kollektiv den Kopf schütteln und dann doch kuschen – weil man auf den Kindergarten angewiesen ist und Angst hat, die kleinste Kritik zu äußern, weil das eigene Kind dann vielleicht schlechter behandelt wird. Die Situation ist insgesamt kafkaesk und einer Berufsgruppe, die sich schon ständigen (sinnlosen) Anfeindungen wegen der langen Sommerferien ausgesetzt sieht, gewiss nicht dienlich.
Was Brixen praktiziert, kollidiert frontal mit allen ernst zu nehmenden Qualitäts- und Rechtsstandards der frühkindlichen Bildung.
Wie sieht das eigentlich die Kindergartendirektion in Bozen, dass sich die Direktion Brixen (und noch ein paar versprengte Kindergärten im Vinschgau) Eltern bei der Abgabe den Kindergarten nicht betreten lassen? Wie bewertet es die Kinder- und Jugendanwaltschaft? Nicht gut. Denn Fakt ist, was Brixen praktiziert, kollidiert frontal mit allen ernst zu nehmenden Qualitäts- und Rechtsstandards der frühkindlichen Bildung. Nach einer Bestandsaufnahme schreibt mir die Landeskindergartendirektion deshalb bereits im Januar, dass sie sich „um eine schrittweise Öffnung“ bemühen würden. Die schrittweise Öffnung hat bis Juni nicht stattgefunden. Ist ja auch urschwierig, die verdammte Tür morgens einfach aufzumachen! Aber jetzt hat man ja zweieinhalb Monate Zeit, das zu üben und sich mental darauf vorzubereiten, die Tür wieder zu öffnen, wie es immer war. Und wenn es bis Herbst noch immer nicht gelingt, würde ich vorschlagen, dass die Eltern die Tür einfach höflich eintreten.
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