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Veröffentlicht
am 09.07.2025
MeinungKontaktabbruch

Befreiung von meinem Vater

Veröffentlicht
am 09.07.2025
Jana* hat den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen – nicht wegen Gewalt, sondern wegen jahrelanger emotionaler Vereinnahmung. In ihrem Erfahrungsbericht erzählt sie, warum sie sich befreit hat und heute sagt: „Ich schulde ihm gar nichts.“
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ChatGPT Image 8. Juli 2025, 20_57_47

Mein Vater ist eine schwierige Person. Er ist narzisstisch und er schiebt die Schuld und auch die Verantwortung gern anderen zu. Er hat leider eine recht bewegte Familiengeschichte, wo echt viel „Scheiße“ passiert ist. Zu Silvester 2019 hatte er einen Herzinfarkt. Ich habe ihn am Morgen im Bett gefunden und gleich den Notruf kontaktiert. Dieser Tag und Morgen waren bis heute sehr traumatisch für mich. Dazu ist noch zu sagen, dass er kurz vor meinem Abitur im Jahr 2013 versucht hat, sich umzubringen und ich seitdem auf Krankenwägen und solchen Situationen sehr emotional reagiere. Es ist alles glimpflich ausgegangen, er hat sich vom Herzinfarkt erholt und auch keine bleibenden Schäden davongetragen.

Ich war damals schwer depressiv und bin dann für zwei Monate bei ihm eingezogen. Die Idee war, dass ich nach dem Vorfall auf ihn aufpassen kann, aber selbst auch mehr Unterstützung bekomme und nicht allein bin. Diese Zeit war aber sehr schlimm für mich. Zum einen ging es mir nicht gut, zum anderen war ich ihm und seiner Art und seinen Verhaltensmustern komplett ausgeliefert. Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, dass ich um 14 Uhr zu einem Termin muss. Kurz bevor ich gehen wollte, kommt er zu mir und gibt mir zig Aufgaben, die ich alle erledigen musste. Es war alles schwierig und hat mich immer mehr an meine Grenzen gebracht.

Am letzten Tag bevor ich fahren wollte, hatte ich einen Tattootermin. Ich habe mir eine Figur eines jungen Mädchens auf den Arm tätowieren lassen, die den Kopf verloren hat. Also der Kopf lag neben ihr. Für mich war das eine Versinnbildlichung von meiner depressiven Phase und des Gefühls, dass alles zu viel ist und mein Kopf verrückt spielt. Als mein Vater das Tattoo gesehen hat, ist er wütend geworden und meinte: „Was für eine fürchterliche Message“. Ganz nach dem Motto: „Du bist meine Tochter, du gehörst mir. Wie kannst du sowas mit deinem Körper machen.“ Das ist in einen riesigen Streit ausgeartet. Es kam das Thema auf, dass ich noch immer nicht in Therapie bin. Ich war aber damals nicht in der Lage, mich um einen Therapieplatz zu kümmern. Er ist richtig wütend geworden und ich wollte gehen. Seine Partnerin und meine Mutter sind dazu gekommen und wollten mich überreden bei ihm zu bleiben, damit sie sich alle gemeinsam um mich kümmern können. Daraufhin ist zum ersten Mal aus mir herausgebrochen, dass ich nicht bleiben kann, da er der Hauptgrund ist, wieso es mir schlecht geht. Dass ich den Suizidversuch von damals nicht verarbeitet habe und ich das Gefühl habe, dass ich durch meinen Vater gar nicht weiß, wer ich bin.

„Das bist du nicht, das kannst du nicht, das darfst du nicht sein. Ich sehe dich als wen anderen und du solltest auch so sein, wie ich dich sehe.“

Immer wenn ich als Kind gesagt habe, ich will dieses oder jenes sein, kam: „Das bist du nicht, das kannst du nicht, das darfst du nicht sein. Ich sehe dich als wen anderen und du solltest auch so sein, wie ich dich sehe“. Als ich ihm gesagt habe, dass er das Problem ist, war er sehr verletzt und hat versucht sich rauszureden. Er hat auch gesagt, dass seine Freundin und ich Schuld an seinem Herzinfarkt hätten, weil er den alleinigen Stress für die Vorbereitungen in der Weihnachtszeit hatte. Das entsprach aber nicht der Wahrheit. Das Krankenhauspersonal hat mir damals erzählt, dass er seine Herzmedikamente seit Wochen nicht genommen hatte. Daraufhin bin ich ausgerastet. Immer wenn etwas passiert, tut er so, als wäre er das Opfer. Ich konnte deshalb nicht mehr bei ihm bleiben und musste zurück in meine alte Heimatstadt. Als ich das gesagt habe, ist er aufgestanden und hat die Wohnung verlassen. Als er zurückgekommen ist, hat er nicht wirklich mit mir geredet.

Am nächsten Tag hat er gemeint, dass er es angesichts des Gesprächs am Vortag besser finden würde, wenn wir erst einmal keinen Kontakt hätten. Ich war zu dem Zeitpunkt schwer suizidal und das habe ich ihm auch gesagt. Mir ist es sehr schlecht gegangen und ich war allein kaum mehr lebensfähig. In dem Moment hätte ich vielleicht mehr als zuvor meinen Vater gebraucht. Heute finde ich, dass es ein Moment war, in dem ein Elternteil Verantwortung hätte übernehmen müssen. Ich bin heulend zum Bahnhof gefahren und war komplett aufgelöst. Ein oder zwei Tage später hatte ich in meiner alten Heimatstadt dann meine erste Therapiestunde. Bei der Therapeutin bin ich bis heute in Behandlung. Sie meinte: „Sie reden über ihren Vater, als wäre er ihr Sohn.“ Ich habe mit der Zeit realisiert, dass ich einfach komplett unter seiner Kontrolle war. Seit ich denken kann, war er die Hauptbezugsperson in meinem Leben. Und das hat er auch ganz explizit gefördert. Mir wurde beispielsweise von Anfang an erzählt, dass ich die Tochter meines Vaters bin und ihm so ähnlich wäre. Das ist dann in mein Denken übergegangen und ich habe eine Art Weltbild angenommen: „Er und ich gegen den Rest der Welt“. Und: „Alle anderen Menschen verstehen mich nicht.“

„Sie reden über ihren Vater, als wäre er ihr Sohn.“

Ich hatte durch sein narzisstisches Verhalten auch nie eine Bindung zu meiner Mutter und Bruder, die waren mir ehrlich gesagt fast egal. Diese Beziehungen haben sich danach erst aufgebaut. Mein Vater war wie eine Wand zwischen mir und dem Rest der Welt und meine Wahrnehmung geprägt durch ihn. Seit meiner Therapie weiß ich, dass das co-narzisstisches Verhaltensmuster genannt wird. Ob es je einen Versuch gab, den Kontakt aufzunehmen? Bereits drei Monate später hat mein Vater es versucht. Daraufhin bin ich panisch geworden und habe dann gemeinsam mit meiner Therapeutin entschieden, den Kontaktabbruch erstmal beizubehalten, damit ich meine Gedanken sortieren kann. Nun sind sechs Jahre ohne Kontakt vergangen und ich sehe nach wie vor keine Welt, in der es wieder passiert. Meine Mutter hat inzwischen auch den Kontakt abgebrochen, nur noch mein Bruder hat Kontakt zu ihm.

Über die Jahre hat mein Vater immer wieder den Kontakt gesucht. Tatsächlich war das auch der Grund, wieso sich die Entscheidung, diesen nicht mehr aufzubauen, so bei mir verfestigt hat. Einfach wegen der Art, wie diese Versuche stattgefunden haben. Einmal ist er in meiner Heimatstadt einfach betrunken vor meiner Haustür gestanden. Ein Freund hat mich daraufhin aus der Wohnung geholt, da ich eine Panikattacke bekommen habe. Zudem ist er während meines Aufenthalts in der psychosomatischen Klinik plötzlich aufgetaucht, nachdem er über meine Mutter erfahren hat, wo ich bin. Zu dem Zeitpunkt war für mich klar: Ich will keinen Kontakt mehr zu ihm.

„Wenn man Leuten sagt, dass man keinen Kontakt mehr mit dem Vater hat, dann erwarten sie sich meist, dass er mich geschlagen hat. Viele verstehen nicht, dass man den Kontakt abbricht, wenn das Elternteil einem nicht guttut. Vor allem, wenn Leute aus guten Familienverhältnissen kommen.“

Nachdem ich aus der Klinik entlassen wurde, hat mir meine Therapeutin erzählt, dass sie in der Zwischenzeit E-Mails von dem Therapeuten meines Vaters bekommen habe. Mit der Bitte, dass sie mich doch überzeugen sollte, wieder Kontakt zu meinem Vater aufzubauen. Das finde ich aus therapeutischer Sicht sehr fragwürdig. Es hat mir gezeigt: Der Therapeut kann sich wohl auch nicht gegen meinen Vater wehren und er macht, was er will. Es gab dann noch weitere Kontaktversuche, ich bin diesen aus dem Weg gegangen. Mein Bruder hat ihm daraufhin vor drei Jahren klar und deutlich gesagt: Wenn er nochmal irgendwo auftaucht, dann verliere er ihn auch.

Vor einem Jahr im Sommer habe ich ihm einen Brief geschrieben, in dem ich erklärt habe, dass ich nach wie vor keinen Kontakt möchte. Und ich ihn bitte, das zu respektieren. Er hat mir dann einen Antwortbrief geschrieben und der war fürchterlich. Er hat wieder die Schuld verschoben und es gab kein Wort der Entschuldigung. Was passieren müsste, damit ich den Kontakt wieder zulassen würde? Da müsste er sich in eine gute Psychotherapie begeben und wirklich sehr an sich arbeiten. Und das von sich aus, ohne dass ich ihm das sagen muss. Die Veränderung muss von ihm kommen.

Was mir noch wichtig ist, zu sagen: Ich finde, dass wir all diese Tabuthemen aufbrechen müssen. Man bricht den Kontakt mit seinen Eltern nicht ab, weil es etwas schwierig ist. Wenn man Leuten sagt, dass man keinen Kontakt mehr mit dem Vater hat, dann erwarten sie sich meist, dass er mich geschlagen hat. Viele verstehen nicht, dass man den Kontakt abbricht, wenn das Elternteil einem nicht guttut. Vor allem, wenn Leute aus guten Familienverhältnissen kommen. Sie verstehen oft nicht, wie gefährlich narzisstische Elternteile sind. In meiner Klinik waren so viele junge Erwachsene, die in ähnlichen Situationen waren. Jemand dort hatte das Buch „Narzisstische Eltern“ dabei, das wurde herumgereich wie die Bibel. Das, was ich aus allem mitgenommen habe, ist, dass fünf Sachen, die wie Kleinigkeiten wirken, oft so groß sind wie eine „große Sache“. Und: Familie ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht und eine Verantwortung. Ein Recht, welches man auch verlieren kann. Familie bedeutet, einander zu unterstützen. Ich habe mich so lange um ihn gekümmert, als ich ein Kind war und ich schulde ihm gar nichts.

Verfasserin des Artikels: Jana* (heißt in Wirklichkeit anders. Der Name wurde zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert)

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