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Vorweihnachtlicher Glanz erhellt das „Pink Flamingo“. Melanie hat sämtliche verfügbare Kerzen angezündet und Elsa ist eifrig dabei, das Freudenhaus zum Fest der Liebe mit Tannenzweigen, künstlichem Schnee, glitzernden Kugeln und tonnenweise Lametta zu schmücken. Ilona hilft ihr widerwillig dabei, wenn auch ganz leise und unfeierlich vor sich hin fluchend. Vor der Tür steht Jorge Spalier und schüttelt den Kopf angesichts der Touristenmassen, die sich aufgeregt brabbelnd durch die schneelosen, so gar nicht weihnachtlichen Gassen der Landeshauptstadt wälzen, und deren italienische Vertreter im Volksmund aufgrund ihrer Fantasielosigkeit bei der Frage nach einer Auskunft „Sentas“ genannt werden (im Gegensatz zu ihren direkteren deutschsprachigen Pendants, den „Waskostas“). Bis eine dieser Spezies direkt auf ihn zusteuert.
Jorge: Buonasera. Il mercatino è a cento metri, giri a sinistra e dopo qualche minuto sente già il vin brulé e i canti dei turisti…
Frau im Pelz: Non sono…
Jorge: Ah, non cerca il mercatino? La farmacia di turno è qui subito dietro l’angolo una trentina di metri più avanti…
Frau im Pelz: No, vede, si sbaglia, io…
Jorge (leicht genervt): Signora, io qui sto cercando di fare il mio lavoro. Se non mi dice che cosa cerca non posso –
Frau im Pelz: Io cerco la signora Maria. Mi chiamo Cinzia, e sono qui per un colloquio di lavoro organizzato dall’agenzia Businessforyou Consulting. Se mi fa passare…? Con permesso.
Jorge (fast schon bewundernd): Dopo di Lei, signora. (in seinen Dreitagebart murmelnd) Moonboots. Und ein Nerz. In Bozen. Bei den Temperaturen. Und sich dann wundern, wenn man für eine Touristin gehalten wird. (schüttelt den Kopf und schreit nach oben) Mariaaaaa! Für dich!! Die Frau Cinziaaa!!!
Maria eilt händeringend herbei und stolpert dabei fast über eine Thun-Krippe, die Elsa liebevoll hinter dem Türstock aufgestellt hat. Ihrer ältesten Angestellten einen bösen Blick zuwerfend, heißt die Chefin ihren Besuch willkommen und führt den pelzbekleideten Neuzugang in den Blauen Salon.
Maria (herzlich): Signora Bortolotti! Scusi il casino… cioè… intendo dire, siamo un po’ indaffarati…
Cinzia: Sie können gerne deutsch sprechen.
Maria: Oh, Sie sind perfekt zweisprachig?
Cinzia (lächelt): Dreisprachig. Englisch ist ja heutzutage immer wichtiger, isn’t it?
Maria (entzückt): Na, das nenne ich mal die richtige Einstellung. (ruft in den Gang hinaus) Habt ihr gehört, ihr Dorfpomeranzen? Die Frau kann Englisch!
Elsa (ruft gespielt erfreut zurück): Wie schön! Aber he, die Ilona kann außer Slowakisch auch noch Spanisch und Französisch!
Maria (verärgert): Entschuldigen Sie bitte, die Damen sind in der Vorweihnachtszeit immer etwas stutenbissig.
Cinzia: Nun ja, wir haben ja alle nicht in Oxford studiert, neh? (wühlt in Ihrer Louis-Vuitton-Tasche) Sie suchen eine Aushilfskraft, habe ich gelesen? Wäre das also ein befristetes Arbeitsverhältnis oder was Festeres? (findet endlich, was sie gesucht hat, und drückt Maria ihren Lebenslauf in die Hand) Hier, bitte.
Maria (wird wieder ganz geschäftlich): Na, wenn Sie sich gut machen, können Sie gerne auch länger blei‒
Plötzlich zerreißt ein lauter Knall die Luft. Maria und Cinzia zucken zusammen und sitzen wie erstarrt da, während Jorge die Stiegen heraufpoltert. Erschrocken stürme ich aus meinem Zimmer und die Treppe hinunter, wo ich fast mit Elsa und Ilona zusammenrenne. Aus Melanies S&M-Kammer dringt ein Aufschrei, gefolgt von heftigem Fluchen. Ich hatte ihr ja gesagt, diese Spielereien mit dem Kerzenwachs bleiben zu lassen, Weihnachtszeit hin oder her. Jorge stürzt zum Fenster, und wo vorher noch das fahle Mondlicht die Dächer erhellt hatte, ist es mit einem Mal stockdunkel.
Ilona: Was in drei Teufels Namen war das?
Jorge: Sieht aus wie eine Explosion… das ist schwarzer Rauch da drüben. Scheint vom Waltherplatz herzukommen.
Elsa: Ach du Schreck, das war sicher der ISIS. Die haben einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt gemacht.
Maria (ist sich zwar des Ernstes der Lage bewusst, kann sich aber ein Grinsen nicht verkneifen): Und zwar, weil…? So christlich ist der Markt schon lange nicht mehr mit dem ganzen chinesischen Plunder, dem zusammengepanschten Glühwein und den Räuschen, die sich die Leute liefern.
Elsa (eingeschnappt): Weihnachten ist Weihnachten, und das ist diesen… diesen Muselmännern halt ein Dorn im Auge!
Jorge (verdreht die Augen): Jetzt haltet mal die Luft an, und zwar alle! Ich versuche hier was zu hören! (dreht das Radio lauter)
Radio: Ja meine lieben Zuhörer und -innen, hier ist Südtirol eins mit einer Sondermeldung, ich weiß jetzt auch nicht, was das gewesen ist, da hat es geschnöllt, ich meine, es gab einen Knall und dann ist es finster geworden, äh, sind die Lichter ausgegangen, wir wern schaun, dass wir was derfragen…
Jorge schaltet das Radio aus und den Fernseher ein.
Nachrichtensprecher: …wurde der Bozner Waltherplatz abgeriegelt. Die Rettungskräfte sind schon dabei, erste Hilfe zu leisten. Soweit wir informiert sind, hat es bei dem Anschlag keine Toten gegeben, wohl aber Verletzte. Festgenommen wurde zunächst ein gewisser P. Demetz aus Gröden, seines Zeichens Holzschnitzer aus Runggaditsch. Der Verdächtige hatte sich laut Zeugenaussagen schon seit Tagen auf dem Christkindlmarkt herumgetrieben und unter Alkoholeinfluss diverse Standbetreiber angepöbelt, die Holzkunstwerke aus Asien im Sortiment haben. Wir halten Sie über die aktuellen Ereignisse auf dem Laufenden.
Elsa (aufgeregt): Das ist doch alles Blödsinn! Das waren diese Meraner Terroristen, die neulich in der Zeitung waren!
Melanie (zündet sich eine Zigarette an): Kannst du dich bitte mal beruhigen, du intolerante Nuss? Bei unseren Helden hier kann das genauso gut einer gewesen sein, der die Italiener nicht mag und deswegen zu Sant’Ambrogio mal so richtig auf den Putz haut. Oder einer unserer militanten heimatliebenden Politiker. Würd mich nicht wundern, wenn man neben dem Sprengstoffgürtel einen Zopf und einen Sarner findet.
Jorge: Ruhe!
Nachrichtensprecher: Laut unserem Informanten aus dem Umfeld der Polizei war bei der Gemeinde eine Bombendrohung eingegangen. Leider war gerade niemand da.
So, jetzt reichts aber. Ungeduldig nehme ich mein Smartphone und wähle die Nummer des Ispettore. Der antwortet nach dem dritten Klingeln.
Ispettore: Ciao bellissima, come stai?
Ich: Ja, äh, Claudio, hallo. Sag mal, was ist denn da los auf dem Waltherplatz?
Ispettore: Mach dir mal keine Sorgen, meine Liebe, ist alles unter Kontrolle. Keine Toten, nur Sachschaden, ein paar kaputte Plastikchristbaumkugeln und abgefackelte Nordmanntannen. Wir haben auch schon einen dringend Tatverdächtigen…
Ich: Und die Bombendrohung?
Ispettore: Eben. Da wurde ein vollgetanktes Flugzeug verlangt, das irgendwelche Terroristen nach Syrien bringen sollte, dabei weiß doch jeder, dass die Flieger von hier aus höchstens Rom anfliegen können. Und da haben wir uns gedacht: Wer könnte ein Interesse daran haben, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, nur damit der Flughafen ausgebaut wird? Und das hat uns auf die Fährte des Verdächtigen gebracht.
Oh-oh.
Ispettore (triumphierend): Und jetzt rate mal, wen wir ganz in der Nähe des Christkindlmarktes gefunden haben? Etwas verwirrt und leicht angetschinggelt, aber wohlauf und so gar nicht in Lebensgefahr, die Reste einer stümperhaft zusammengebastelten Bombe aus dem Internet bei sich in der Aktentasche?
Ich (mit plötzlich ganz trockenem Mund): Wen denn?
Ispettore (freudig): Na, deinen amico, den Herrn Melch!
O du fröhliche.
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