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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 04.08.2016
LeuteBalletttänzer Matthias Kastl

Zum Tanzen geboren

Veröffentlicht
am 04.08.2016
Der Kalterer Matthias Kastl ist 20 und professioneller Balletttänzer. Was auf der Bühne so anmutig und leicht wirkt, ist harte Arbeit.
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Zurückgezogene Schultern, gerader Rücken, Füße leicht nach außen gedreht. Ein schwebender Gang und Hände, die bei jedem Schritt die Bewegungen des Körpers abzufedern scheinen. Als Matthias Kastl zum Interview kommt, sieht es so aus, als würde er über die große Bühne schreiten. Kein Wunder, schließlich ist er bereits seit drei Viertel seines Lebens Tänzer. Die Karriere des jungen Kalterers beginnt vor 15 Jahren, als er im zarten Alter von fünf seine Mutter dazu auffordert, ihn in die Kalterer Handwerkerzone zum Tanzkurs zu bringen. „Das ist doch was für Mädchen“, erwidert sie. Doch Matthias bleibt stur. [[{“fid”:”21132″,”view_mode”:”teaser”,”fields”:{“format”:”teaser”,”field_description[und][0][value]”:”%3Cp%3EDie%20Anf%C3%A4nge%20in%20Steppschuhen%3C%2Fp%3E%0A”,”field_description[und][0][format]”:”full_html”,”field_imagesource[und][0][value]”:”Matthias Kastl”,”field_tags[und]”:”Ballett”},”type”:”media”,”link_text”:null,”attributes”:{“height”:480,”width”:320,”class”:”media-element file-teaser”}}]]Nach zwei Jahren Kindertanz in Kaltern führt ihn sein Weg nach Neumarkt zu Renate Kokot, der bekanntesten Ballettlehrerin im Lande. Sieben Jahre lang trainiert Matthias dort drei bis vier Mal in der Woche. Dann folgt ein Jahr Pause, weil er anfängt, die italienische Oberschule zu besuchen. Doch lange hält er das Leben ohne Tanz nicht aus. Kaum ist das Jahr vorüber, kehrt Matthias mit einem Entschluss nach Neumarkt zurück: „Ich wollte Profitänzer werden, das wusste ich schon lange, doch nach diesem einen Jahr war es beschlossene Sache“, erzählt er, während er den ersten Schluck von seinem Macchiato nimmt. Der Kalterer wirkt sehr erwachsen für seine 20 Jahre, seine Ausdrucksweise ist überlegt. Drei bis vier Stunden tägliches Training hat Matthias damals in Kauf genommen, um sich für die Aufnahmeprüfung an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden vorzubereiten.
„Im Tanztraining wird man von klein auf wie ein Erwachsener behandelt. Da lernt man die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten“, gesteht er. Doch auch in der Schule musste Matthias das lernen. Damals wurde er oft von seinen Mitschülern gehänselt. „Zum Glück hat mir meine Mama immer gut zugeredet“, sagt er, „so selbstbewusst ist man in dem Alter ja noch nicht.“

„Unsicherheit darf man nie zeigen, das gefällt den Menschen nicht. Selbstbewusstsein ist bei Auditions das Wichtigste.“

Im Frühling des darauffolgenden Jahres macht sich das Durchhaltevermögen bezahlt. Die Schule im Osten Deutschlands nimmt ihn an und es folgen drei Jahre intensivster Tanzausbildung. Neben der täglichen Praxis gibt es an der Hochschule Fächer wie Anatomie, Musik,- und Ballettgeschichte, Kunst und Kultur. Im letzten Jahr stehen dann Bewerbungen an verschiedenen Theatern und die dementsprechenden Auditions, das Vortanzen, an. Auch Matthias verschickt zahlreiche Lebensläufe. Einer davon landet in Ostrava, Tschechien, wo er kurz darauf hinfährt, um bei einer privaten Audition vorzutanzen. Auf die Frage hin, wie er sich von seinen Mitstreitern abhebe, findet Matthias keine Antwort. Er ist bescheiden und spreche nicht gerne über sich selbst. „Unsicherheit darf man nie zeigen, das gefällt den Menschen nicht. Selbstbewusstsein ist bei Auditions das Wichtigste“, erklärt er. Das richtige Maß zwischen Macho und dicker Haut sei also ausschlaggebend.
Es folgt eine dreiwöchige Wartezeit. „Drei Wochen!“, betont Matthias mit weit aufgerissenen Augen, „und dann habe ich in meiner Euphorie als erstes meine Mama angerufen“, erzählt er und grinst. Die habe erstmal geweint. Matthias hat nämlich seinen ersten Job als Profitänzer abgesahnt. Seit einem Jahr tanzt Matthias mittlerweile im Corps de ballet der Company in Ostrava und begleitet zusammen mit der Gruppe den Solisten. „Ein Solo durfte ich in dieser Saison auch schon tanzen“, erzählt er stolz. In Cinderella war er der Ballettmeister, der den Stiefschwestern das Tanzen beibringt. „Das war eine super Rolle“, strahlt Matthias und wirkt in Erinnerungen versunken.

„Oh Gott, mir tut alles weh“
Am Theater fängt der Tag um neun Uhr morgens mit einer Stunde Training an. Ein Ballettmeister gibt Übungen vor und korrigiert die Tänzer. Im Gegensatz zu Schulzeiten trainieren Mädchen und Jungs hier in einer Gruppe. „Mädchen trainieren eher Feinarbeit wie zum Beispiel mit Spitzenschuhen. Wir Jungs trainieren Sprünge und Drehungen“, erklärt Matthias. Danach gibt es eine Viertelstunde Pause und dann beginnen die eigentlichen Proben der Stücke, die bis kurz nach Mittag dauern. Nachmittags geht es weiter und abends folgen schließlich Vorstellungen oder eben der Feierabend.
Matthias ist ein aktiver Mensch, spaziert und wandert gerne. So spannt er nach einem langen Tag auch am besten aus. „Tanzen ist anstrengend. Das ist keine normale Arbeit wie in einem Büro, wo man nach Hause geht und alles vergessen kann. Die Wehwehchen bleiben und die Musik wiederholt sich immer und immer wieder in deinem Kopf“, sagt der Tänzer. Er erzählt von Opfern, die er gebracht habe und von einem Gehalt, das diese niemals entlohnen könne.

„Mit dem Druck muss man umgehen lernen, denn der gehört zu dieser Arbeit dazu.“

Gerade hat der 20-Jährige sechs Wochen Sommerpause. Trainiert wird trotzdem. „Sonst wäre das katastrophal“, sagt Matthias. Muskeln müssen immer weiter aufgebaut und gedehnt werden, erklärt er. So wie ein Bodybuilder soll ein Balletttänzer jedoch nicht aussehen. „Unsere Muskeln müssen lang und geschmeidig sein“, sagt Matthias und streicht sich demonstrativ mit der linken Hand über den rechten Arm. „An bestimmten Tagen denkt man sich aber schon: Oh Gott, mir tut alles weh“. Nur mit einem starken Willen und der nötigen Leidenschaft sei es möglich, trotzdem immer weiter zu machen. „Das alles geht nur von hier aus“, sagt der Kalterer und legt seine zarten Finger auf die rausgestreckte Brust. Matthias’ Ballettmeister hat für Schmerzen eine bessere Lösung: „Der Unterricht ist die beste Medizin“, sagt er und Matthias bestätigt: „Sobald ich auf der Bühne stehe, sind alle Wehwehchen vergessen.“ Trainieren will er sogar mit blauen Knöcheln. Wirft man Matthias vor, etwas verrückt zu sein, lacht er und sagt: „Natürlich, es geht nicht anders. Es ist einfach eine andere Welt, in der wir leben.“

„Beim Tanzen ist jeder Tag anders. Man muss sich tagtäglich selbst neu kennenlernen.“

In dieser Saison war er der jüngste Mann in einem internationalen Ensemble aus Tänzern im Alter von 19 bis 40 Jahren. Das Theater in Ostrava ist immer ausverkauft. Zwischen 500 und 650 Tanzbegeisterte sehen sich in den zwei Häusern der Company Stücke wie Schwanensee, Cinderella oder den Nussknacker an. „Tanz ist in der Kultur im Osten einfach verankert“, erklärt Matthias, „alle Vorstellungen des Weihnachts-Nussknackers sind bei uns bereits im November ausverkauft.“ Welche Stücke die Company aufführt, entscheiden die Choreographen. Diese kommen dann zum Training, beobachten und suchen sich die Besetzung für ihre Produktion aus.
In 20 Jahren noch zu tanzen, kann sich Matthias nicht vorstellen. „Ich spüre es ja jetzt schon“, sagt er. Was der junge ballerino nach seiner Tanzkarriere machen will, weiß er aber noch nicht. Auf jeden Fall müsse man sich genug Zeit lassen, um sich ein zweites Leben aufzubauen. Die nächsten zwei Jahre wird er vorerst noch in Ostrava verbringen und dann weiterschauen. „Mein Ziel ist es, als Künstler zu wachsen und viele Dinge kennenzulernen“, sagt Matthias, „sich selbst zu finden dauert Jahre, schließlich bin ich noch ganz am Anfang.“

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