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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 20.12.2016
LeuteZu Besuch im Waldkindergarten

Wir Kinder vom Wald

Veröffentlicht
am 20.12.2016
Sie sind auch bei Minusgraden draußen und spielen mit dem, was die Natur hergibt: Für eine Gruppe Kinder am Ritten ist der Wald ihr Kindergarten.
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Meine Zehen fühlen sich an, als würde ich barfuß über Eis wandern. Um 8 Uhr morgens zeigt das Thermometer hier auf 1.300 Metern Höhe minus 4 Grad an. Ich stehe auf dem Parkplatz vor dem Bildungszentrum „Haus der Familie“ am Ritten. Den Kindern, die hier mit ihren Eltern nach und nach eintrudeln, scheint die Kälte allerdings nicht viel auszumachen. Die kleinen Besucher des Waldkindergartens Lichtenstern sind es gewohnt, um diese Uhrzeit im Freien herumzutollen.

Mit dem Schubkarren geht es zum Spielen auf den Hügel

Dick eingepackt, mit bunten Mützen, selbstgestrickten Schals und festen Winterstiefeln stürmen sie aus den Autos und laufen auf ihre Betreuerin Cornelia Pichler zu. Zur Begrüßung gibt es eine feste Umarmung. Dann werden die kleinen Rucksäcke der Kinder in eine große Schubkarre gepackt. Zwei Mädels teilen sich das Gewicht von Cornelias Gitarre. Es geht für die Kinder auf den Hügel hinter dem „Haus der Familie“. Dort streifen bereits erste Sonnenstrahlen den gefrorenen Waldboden. Die Kinder hängen ihre vollbepackten Rucksäckchen an eine kleine Garderobe aus Ästen und packen die Jause aus.

Die sogenannte Wald- und Naturpädagogik hat ihren Ursprung in Skandinavien. Der erste offizielle Waldkindergarten entstand in den 50er-Jahren in Dänemark. Mittlerweile gibt es allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz weit über tausend solcher Kindergärten. In Südtirol gibt es sie in Partschins und eben am Ritten, letzterer ist der erste ganzjährige Waldkindergarten. Die Idee dazu entstand bereits 2012. Die Rittnerin Ute Mayr wollte einen Waldkindergarten gründen und fand sofort Interessierte. Eine von ihnen war Ingrid Mair, Mutter zweier Töchter und Psychotherapeutin. Sie wagte zusammen mit einem österreichischen Pädagogen den Anfang, nachdem Ute Mayr schwer erkrankt war und verstarb. Heute blickt Ingrid Mair stolz auf ihren Waldkindergarten, der mit 17 Kindern gut besucht ist. Und seit diesem Herbst gibt es in Lichtenstern neben dem Waldkindergarten auch eine Waldschule. Fünf Erstklässler werden hier von zwei Montessori-Lehrerinnen in deutscher und italienischer Sprache unterrichtet.

Ingrid Mair

Die Sonnenstrahlen haben mittlerweile die ganze Feuerstelle eingenommen, um die die Kinder auf kleinen Holzstämmen sitzen. Sie wärmen ihre Füße und schmatzen ihre vegetarischen Jausen. Ingrid erzählt derweil von den finanziellen Schwierigkeiten, mit denen der Kindergarten seit vier Jahren kämpft. Der Rittner Kindergarten hatte kein Interesse daran gezeigt, den Waldkindergarten Lichtenstern als offizielle Außenstelle zu eröffnen, wie es in Partschins heute der Fall ist. Deshalb hat man am Ritten den Weg einer privaten Institution gewählt. „Landesrat Achammer heißt aber auch unser Projekt gut. Was wir deshalb nun wollen, ist die Gleichstellung“, meint Ingrid. Eine Integration ins öffentliche System würde nämlich zu viele Auflagen mit sich bringen. Ein zu enges Korsett, in das sich Ingrid und die Eltern ihrer Schützlinge lieber nicht schnüren lassen wollen.

„Alles, was die Kinder für ihren Kindergarten brauchen, ist der Wald.“

Eine finanzielle Zulage vom Land ohne jedoch öffentlich zu sein, das wäre die ideale Lösung. Weil der Waldkindergarten mittlerweile eine Mindestanzahl an Kindern und an ausgebildetem Personal hat, soll es im nächsten Herbst endlich soweit sein. Bis dahin arrangiert man sich mit kleinen Gehältern, Spenden und dem monatlichen Kindergarten-Beitrag von 150 Euro, den die Eltern begleichen müssen. „Eigentlich ist es ja absurd, denn unsere Einrichtung braucht nichts“, sagt Ingrid. Keine Räume, keine Heizspesen, kein Spielzeug. Alles, was die Kinder für ihren Kindergarten bräuchten, sei der Wald. „Aber die Personalspesen so zu decken, dass die Betreuer davon leben können, wäre schon schön“, sagt die Psychotherapeutin, presst die Lippen aneinander und zieht ihre Augenbrauen hoch. Um den Waldkindergarten bis zum nächsten Herbst weiterführen zu können, haben die Eltern vor kurzem eine Crowdfounding-Kampagne gestartet. Knapp zehn Tage lang kann man das Projekt auf dem Ritten darauf noch unterstützen.

Die bunten Zwerge, die sich ums Lagerfeuer scharen, interessieren solche Probleme noch sichtlich wenig. Nachdem ihre Jausenreste wieder in den Rucksäckchen verstaut sind, laufen die Kinder in den Wald. Ohne, dass ihnen jemand Anweisungen gegeben hätte, organisieren sie sich in kleinen Gruppen und spielen. Der Wald bildet die natürliche Grenze ihres Kindergartens, ganz ohne Wände und Fenster. Wenn es regnet, bietet ein großes Tipi inmitten der hohen Bäume der Gruppe Unterschlupf.

Cornelia schlichtet einen Streit

„Laut wird es hier nie“, meint Cornelia Pichler und grinst, „das verringert nicht nur den Stress, sondern ist auch noch super angenehm.“ Sie sammelt mit den Kindern „Tschurtschen“ zum Feuer machen. Cornelia ist eigentlich Biologin. Nach ihrer Ausbildung in Innsbruck hängte sie eine zweijährige Ausbildung zur Kindergärtnerin dran. Zuerst arbeitete sie in herkömmlichen Kindergärten, dann stieß sie auf das Projekt in Lichtenstern und war von Anfang an mit dabei. „Die Zeit hier in der Natur vergeht viel schneller als im ‚normalen‘ Kindergarten“, erzählt Cornelia und beobachtet die Kinder. Sie sitzen auf einem Heuhaufen und kochen eine Suppe aus alten Blumen. „Das ist unsere Küche“, erklärt ein kleines blondes Mädchen stolz und rührt ganz ernst in der Luft herum.

Jeden Tag verbringen die Kinder ihre Zeit von 8 Uhr bis 12.30 Uhr im Wald. Neben dem freien Spiel wird um die Mittagszeit gemeinsam eine Geschichte gelesen. Im Frühling bewirtschaftet die Gruppe zusammen einen Gemüsegarten. Fast täglich gibt es ein besonderes Zusatzangebot. Verschiedene Berufsgruppen wie Förster oder Schäfer sind dann zu Gast und erzählen aus ihrem Alltag. Mit zwei Opas basteln die Kinder hingegen Maipfeifchen und Reisigbesen. „Als sich ein Opa aus Versehen in den Finger geschnitten hat, kam gleich eines der Kinder mit dem Spitzwegerich angerannt und meinte ‚einfach kurz kauen und auflegen, das hilft‘“, erzählt Ingrid stolz. Hier in der Natur würden die Kinder am besten lernen – und das ganz ohne fixes Programm. Jammern übers Wetter oder Klagen über Langeweile höre man im Waldkindergarten nie.

„Die Kinder sind immer gesund und fröhlich“, erzählt André und knackt mit der Messerspitze seines Taschenmessers eine Walnuss. André ist im dritten Jahr Betreuer im Waldkindergarten und Vater zweier Kinder. Der Rittner hat die Kunstakademie in Urbino besucht. Jeden Morgen radelt er mit seinen Kindern zum Kindergarten. Er mag die Arbeit im Wald, die Kinder sind seine kleinen Lehrer. Neben der Kinderbetreuung baut André hie und da auch etwas Nützliches. So ist im vergangenen Jahr ein kleiner Lehmofen aus Rittner Rohmaterial entstanden, in dem die Kinder nun Brot, Kekse und Pizza backen können. Das passiert meistens am Donnerstag, dem Kochtag.

André bei der Arbeit

Mit einem Taschenmesser läuft hier im Wald aber nicht nur André herum. Auch die Kinder besitzen ihre eigenen Messer. „Die brauchen wir, um unser Haus zu bauen“, erklärt mir ein Bub, der mit seinem Freund Äste für das Dach seines Hauses zurechtschnitzt. Neben ihm knien zwei Mädchen im Waldlaub und hämmern konzentriert lange Nägel in einen feuchten Holzstamm. Sie sind fürs Fundament zuständig, erklären die Jungs. „Motorisch sind die Kleinen total fit. Vieles lernen sie einfach nebenbei“, meint Ingrid. Vertrauen sei schließlich besser als jede Vorschulübung.

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