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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 20.04.2016
LeuteAutonomiekonvent

„Wir Junge sollten mitbestimmen”

Veröffentlicht
am 20.04.2016
Johanna Mayr und Giacomo Fabris sind die jüngsten Mitglieder im Forum der 100. Ein Gespräch über die Trennung der Sprachgruppen, Selbstbestimmung und Streitereien im Konvent.
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Giacomo Fabris und Johanna Mayr

Johanna Mayr und Giacomo Fabris sind beide 17 Jahre alt, dürfen also noch gar nicht wählen. Beide sitzen im Rahmen des Autonomiekonvents im Forum der 100, das ein Abbild der Südtiroler Gesellschaft sein und die wichtigste Arbeitsgruppe, den Konvent der 33, in seiner Arbeit unterstützen soll. Ziel ist die Reform des Autonomiestatuts, das seit 1972 (fast) unverändert gilt. Die Mitglieder wurden aus allen Anmeldungen zum Forum gelost, acht wurden dann in das Konvent der 33 gewählt.
Johanna kommt vom Ritten und besucht die FOS Meran, Fachrichtung Tourismus, Giacomo ist aus Bozen und besucht dort die ehemalige Gewerbeoberschule, Fachrichtung Informatik. Beide sind nicht politisch organisiert, Fabris ist zwar Präsident des italienischen Landesbeirats der Schüler und Schülerinnen, will aber dort alle vertreten, „ohne mir eine politische Flagge umzuhängen“. Wir treffen uns auf einen Kaffee im Gasthof Figl am Bozner Kornplatz.

Wie kommt es, dass ihr im Forum der 100 sitzt, trotz oder gerade wegen eures jugendlichen Alters?
Johanna Mayr:
Ich habe einen Lehrer, der uns die Politik näher bringen will. Er hat uns vom Autonomiekonvent erzählt und ich habe mit ein paar Freundinnen den Open Space in Brixen besucht. Dort sahen wir viele Männer, wenig Frauen, und keine Jugendlichen. Also wollten wir aktiv werden und haben uns beworben.
Giacomo Fabris: Ich habe von Anfang an an den Open Spaces teilgenommen. Die Reform betrifft uns Junge, weil sie Jahrzehnte gelten wird. Wir Jungen sollten die Regeln mitbestimmen. Mit großer Bescheidenheit will ich meinen Beitrag leisten. Bei den Open-Space-Veranstaltungen waren wenige junge Menschen, und sehr wenige Italiener. Das hat mich traurig gemacht. Viele Italiener haben sich nicht als Teil des Prozesses gesehen. Nach siebzig Jahren haben wir offensichtlich immer noch Schwierigkeiten, zwischen den Sprachgruppen zu kommunizieren.

Welche Punkte müsste man angehen?
Mayr:
Die Südtiroler, besonders die deutschen, sind nicht offen genug. Viele wollen nicht mal die andere Sprache lernen.

Wieso grenzen sich auch junge Menschen voneinander ab, vielleicht noch mehr als früher?
Mayr:
Ich komme vom Land, da ist es anders als in der Stadt. In der Stadt geht es besser, glaube ich, aber am Land siehst du nie einen Italiener, da fragen sich manche, wofür brauche ich die andere Sprache? Ich habe ein halbes Jahr lang eine italienische Schule besucht. Das ist eine andere Welt. Eine tolle Erfahrung.

Was ist dort denn anders?
Mayr:
Sie sind lockerer drauf. Wir deutschsprachige Südtiroler sind strenger. Ich selbst gehe sehr planvoll vor. Die Italiener nicht, Schüler wie Lehrer. Wenn mal was nicht da ist, sei’s drum.

„Das Land gibt offensichtlich zu, dass 13 Jahre Unterricht nicht langen, um die Zweitsprache ausreichend zu lernen. Darüber muss man nachdenken.”

Sind die deutschsprachigen Südtiroler zu genau?
Fabris:
Sagen wir so, wir Italiener sprechen schlecht deutsch. Es fehlen wohl auch die Möglichkeiten zum Austausch. Vielleicht weil wir sie nicht suchen, vielleicht weil wir an anderen Orten im Land leben. Aber eine Sprache lernt man nicht, wenn man sie nicht benutzt. Ich kann die deutsche Grammatik wunderbar, aber wenn ich nicht deutsch spreche, nützt das wenig. Wenn ich nächstes Jahr die Matura mache, werde ich 13 Jahre lang Deutschunterricht gehabt haben. Aber das Land glaubt immer noch nicht, dass ich zweisprachig bin. Das Land gibt offensichtlich zu, dass 13 Jahre Unterricht nicht langen, um die Zweitsprache ausreichend zu lernen. Darüber muss man nachdenken.

Welche Punkte des Autonomiestatuts sollten geändert werden?
Fabris:
Mir sind vor allem Unterricht und Proporz wichtig. Ich glaube nicht, dass wir auf absehbare Zeit eine perfekt zweisprachige Schule bekommen werden. Eine Vereinigung der deutschen und italienischen Schule könnte aber ein Ziel sein. Wir müssen in der Schule beginnen, die Gesellschaft zu einen. Wie sollen die Erwachsenen zusammenarbeiten, wenn man es nicht mal in der Schule schafft? Wir müssen die Möglichkeiten des Austauschs nützen. Der Zweitsprachenunterricht CLIL tut sich sehr schwer, in den italienischen Schulen Fuß zu fassen. Aber wir müssen Schulstoff in der zweiten Sprache unterrichten, die Sprache mit Inhalt füllen. Vielleicht, ich sage vielleicht, kann der Artikel 19 neu interpretiert werden.
Mayr: CLIL ist ein großes Thema. Bei uns in der Schule funktioniert es gut. Aber viele, die das schon in der Grundschule haben, sind damit nicht zufrieden, da funktioniert es anscheinend nicht. Viele reden gegen CLIL, aber ich finde es gut. Schwache Schüler haben schon größere Schwierigkeiten, aber wir dürfen die Sprache wählen, in der wir die Tests schreiben, dann gleicht sich das wieder aus.

Und beim Proporz?
Fabris:
Der Proporz hat die Konflikte in diesem Land entschärft. Konflikte, von denen ich nur im Geschichtsunterricht hörte. Aber heute ist der Proporz ein Wettbewerbsnachteil. Im Rest der Welt entscheidet das Leistungsprinzip, hier entscheidet erst mal die Sprachgruppe, wer eine Stelle bekommt. Hier in Bozen bekommst du als Italiener keine öffentliche Stelle, als Deutscher ist es viel einfacher. Im Rest des Landes ist es umgekehrt. Man sollte den Proporz in einem bestimmten Sektor fünf Jahre lang aussetzen und schauen, was passiert. Ich glaube nicht, dass sich prozentuell viel ändert.

Wie steht ihr zum Thema Selbstbestimmung?
Fabris:
Ich bin in erster Linie Südtiroler. Südtirol ist ein wunderschönes Land, aber wir sind klein und die Welt ist beängstigend groß. Ein Freistaat Südtirol mit 500.000 Einwohner in einer Welt, in der selbst die EU wenig zählt, ist anachronistisch. Und vergessen wir nicht, auch die Verfassung lässt es nicht zu. Reden wir also lieber über Autonomie, bewegen wir uns lieber nach Europa als nach Österreich. In fünfzig Jahren werden wir ein vereinteres Europa haben und keine mittelalterlichen Grafschaften.
Mayr: Schwieriges Thema. Ich bin nicht dafür. Uns geht es mit unserer Autonomie gut.

„Wieso soll eine Italienerin mit tunesischen Wurzeln die Italiener nicht repräsentieren?”

In den Zeitungen liest man, wenn es um den Autonomiekonvent geht, von Streit, Polemiken und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Wie ist die Stimmung bei den Treffen, worüber diskutiert ihr?
Mayr:
All die Konflikte kamen beim Treffen auf.
Fabris: Beim ersten Treffen wollten wohl viele Dampf ablassen. Viele Polemiken fand ich prätentiös. Auch die italienische Seite hat keine gute Figur abgegeben. Die 27 italienischen Vertreter im Forum der 100 haben für ihre zwei Plätze im Konvent der 33 13 Kandidaten aufgestellt. Typisch italienisch. Von diesen 13 wurden zwei gewählt, die – so behaupten manche Italiener – die Italiener nicht repräsentieren. Viele dieser Kritiken kamen aus jenem italienischen Lager, aus dem ich mir das nicht erwartet hätte. Wieso soll eine Italienerin mit tunesischen Wurzeln die Italiener nicht repräsentieren? Oder ein Italiener, der ein Tiroler Verdienstkreuz bekam?

Manche kritisierten den Wahlmodus.
Fabris:
Das gesamte Forum wählt die Kandidaten. Ich habe deutsche Kandidaten mitgewählt, die mich viel mehr überzeugten als manche Italiener. So ging es auch umgekehrt. Das Forum hat den Wahlmodus so abgesegnet, in einer langen Debatte, die große Mehrheit war für die Wahl am selben Tag nach diesen Regeln. Man sieht hier wenigstens, dass der Proporz nicht mehr in der Lage ist, die Sprachgruppen zu repräsentieren. Wir lösen uns aus diesem Deutsch-Italienisch-Ladinisch-Schema.

Ein weiterer Streitpunkt war das Engagement der Parteien im Forum.
Fabris:
Vielleicht war das nicht opportun, die Politik hätte andere Möglichkeiten, sich einzubringen. Aber die Politiker hatten eben auch Interesse, im Forum mitzuarbeiten. Die opfern ja auch ihre Freizeit. Was mich enttäuscht hat, war die geringe Zahl an italienischen Bewerbungen für das Forum. Wir versäumen hier eine Gelegenheit.

„Alle wissen, was man alles anders machen sollte, aber keiner tut es.”

Ist eure Mitgliedschaft im Forum Thema im Freundeskreis?
Mayr:
Die meisten wissen nicht mal, worum es geht. Mit ein paar Schulfreundinnen rede ich darüber, und die Lehrer und die Heimleiter fragen mich ständig danach.

Welchen Stellenwert hat Politik in eurer Altersklasse?
Mayr:
Alle wissen, was man alles anders machen sollte, aber keiner tut es.
Fabris: Man spricht über Politik. Wir sind alt genug, um uns Gedanken zu machen über die Welt, die uns umgibt. Das Autonomiestatut ist halt ein eher sperriges Thema.

Was müsste man tun, um die Jugend zu gewinnen?
Fabris:
Die Schule muss ihren Teil beitragen, aber auch die Zivilgesellschaft. Wir haben einige Stunden Recht und Wirtschaft, was es im Rest Italiens fast nirgends gibt. Aber in der zweiten Oberschulklasse ist Schluss damit. Und danach ist Politik nicht mehr Thema.
Mayr: Wir haben Rechtskunde bis in die fünfte Klasse. Unser Lehrer ist sehr engagiert, er bringt uns aktuelle Themen gut näher und ermutigt uns, uns zu engagieren.

Was erwartet ihr euch vom Forum? Ist es nur ein Debattierklub, oder wird es zu einer Reform kommen?
Mayr:
Ich denke schon, dass am Ende eine Reform herauskommt. Es wird wohl nicht jedes Mal zugehen wie beim ersten Treffen. Wir müssen Ideen liefern, den Rest werden andere machen.
Fabris: Es sind sehr interessante Standpunkte und Themen zur Sprache gekommen. Die Frage ist, ob sie mit dem Autonomiestatut zu tun haben. Die Förderung der Start-Up-Unternehmen, über die gesprochen wurde, gehört in ein Gesetz, nicht ins Statut, so wichtig sie auch ist. Versuchen wir, konkret zu arbeiten, wenn wir wollen, dass unsere Ideen übernommen werden.

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