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Wenn man Thomas Schäfer fragt, wie er sich und sein Tun selbst beschreibt, antwortet er: „Sich nur über den Beruf zu definieren, ist nicht immer gut, denn er ist oft nur die Summe dessen, was man tut“. Wobei gerade bei ihm Berufung mit Tätigkeit verschmilzt. Als Freelance-Fotograf macht er Bilder, realisiert Filme und betreut gemeinsam mit einer guten Freundin, Meike Hollnaicher, das Projekt „Farmfluencers of South Tyrol“. Junge und ältere Pionier:innen der Südtiroler Landwirtschaft finden dort zueinander – online auf einer gemeinsamen Webseite, die Thomas und Maike betreuen, aber auch physisch vor Ort. „Darüber hinaus bin ich einfach ein Naturmensch und liebend gerne in den Bergen“, ergänzt Thomas. Und was ihm selbst vielleicht nicht bewusst ist: Sein Lebensweg erinnert in der Gesamtschau an die klassische Heldenreise eines Spielfilms. Aber dazu später mehr.
Im Gespräch erzählt Thomas ruhig und kohärent von seinem Leben. „Ich merke, ich darf mir zunehmend den Raum geben, in dem ich zu dem werden kann, der ich mir schon immer gewünscht habe zu sein“, sagt er mit einem zufriedenen, aber auch ehrfürchtigen Lächeln.
Hierbei ist die Gründung der „Farmfuencers of South Tyrol“ nur einer der Bausteine, die seinen aktiven Weg prägen. Hier wird zum Beispiel ein Mitte-20-Jähriger aus Atzwang porträtiert, der den klassischen Apfel- und Weinbaubetrieb der Eltern übernommen hat und den Hof heute allmählich zum Agroforst-Betrieb transformiert. Die ausgewählten Farmfluencers sind also Landwirt:innen, die in Kreisläufen denken. Thomas fängt ihre Geschichten und Charaktere fotografisch und filmisch ein. Meike führt Interviews, gestaltet Podcasts. Beide machen die Arbeit unentgeltlich, einen Teil der Kosten decken kleine Förderbeiträge. „Es geht uns ums Kräfte-Bündeln der Landwirt:innen“, betont Thomas, „und dass sie sich verstanden fühlen.“
Tieferes Verständnis für Werte
Sich verstanden fühlen – das war auch der Anstoß für den damals noch sehr jungen Thomas, nach seiner Kochausbildung erst einmal auf Reisen zu gehen. Denn beim Knödel drehen und Gemüse schnibbeln war ihm klar geworden, dass sich das für ihn alles gar nicht stimmig anfühlte. Er konnte es damals nur noch nicht begreifen, woran das lag und schon gar nicht artikulieren. Also kocht er zunächst weiter auf seinen Reisen an unterschiedlichen Orten der Welt. Aber es fühlt sich zunehmend falsch an. Daraus entsteht eine neue Sehnsucht: tieferes Verständnis für Werte aufbringen zu wollen.
Zurück in Südtirol entscheidet er sich, in einer zweijährigen Abendoberschule die Matura nachzuholen. Anschließend zieht es ihn wieder hinaus, er möchte unterwegs sein, sich selbst im Unterwegs-Sein finden. Ein Zufall folgt dem nächsten: Ein Couchsurfer namens Jake aus Australien macht Zwischenstopp bei Thomas in Sexten. Dieser sieht zum ersten Mal Schnee in den Dolomiten, filmt solche und andere Erlebnisse mit einer kleinen Digitalkamera. Jake zieht weiter und hinterlässt ein unfertiges Video. Thomas` Neugier ist geweckt und er beginnt, sich mit dem Thema Videodreh und -schnitt zu beschäftigen. Sein damaliger Mitbewohner wird zu seinem Mentor in Sachen Kameratechnik und Schnitt.
„Ich merke, ich darf mir zunehmend den Raum geben, in dem ich zu dem werden kann, der ich mir schon immer gewünscht habe zu sein.“
Und weiter geht’s im Script, denn das Ganze hört sich immer mehr wie ein Drehbuch an, nur in echt: Auf einer Reise durch die Toskana landet Thomas an der falschen Bushaltestelle und findet sich in einem Kloster wieder. Dort begegnet er Levi, einem jungen Schweizer auf dessen Weg von der Schweiz zu den Großeltern in Apulien. Levi wird noch zu einem seiner besten Freunde werden. Dieser erzählt ihm vom „Youth Initiative Program“ in Schweden, einem einjähriges Studienprogramm für junge Menschen, in dem gezielt Gemeinschaftsstrategien erlernt werden. Dort möchte er hin und es wird auch sein Jahr der Initiation, wie er heute sagt: 25 Teilnehmende aus unterschiedlichen Ländern, Konfrontationen, Kulturclashes, aber auch eine Tiefe, die ihm zeigt, dass man nicht nur konsumiert, sondern auch Verantwortung übernimmt und gibt. Im Abschlussbrief an die Absolvent:innen schreibt ein Lehrer im ersten Satz: „Willkommen auf der anderen Seite, ich hoffe, du hast verstanden, dass jeder von uns für alles mit verantwortlich ist.“ Thomas ist beflügelt, aber sucht jetzt mehr denn je nach dem Ort, wo er dies umsetzen kann.
Am Tiefpunkt
Nach der Ausbildung begibt er sich wieder auf Reisen und es entsteht auch seine erste Kurzfilmreihe, filmische Porträts, etwa von einem Schneehühnchenjäger in Lappland oder einer Frau auf Hawaii, die ihn durch ihr Sammeln in und aus der Natur inspiriert. Kochen bekommt hier eine neue Dimension und Perspektive. Es wird immer greifbarer für Thomas. Das war das, wonach er suchte: die Beziehung zu den Produkten, zum Essen. Was ihm immer wieder hilft am Weg, er ist ein aufmerksamer Zuhörer und Denker. „Ich philosophiere einfach gerne über all diese Dinge“, sagt er mit einem leicht selbstironischen Schmunzeln.
Das Ziel ist damals greifbar nahe, dennoch sagt er heute: „Ich bin in der Zeit nach Schweden an meinem tiefsten Punkt angekommen.“ Wie passt das zusammen? Die klassische Reise der Protagonist:innen in einer Filmstory würde folgende Erklärung liefern: Der Held macht sich auf die Suche, verlässt die ihm bekannte Welt, kommt – so nennen es die Dramaturg:innen – von der Tagwelt in die Nachtwelt, voller Abenteuer und Herausforderungen. Der Protagonist findet zwar, was er gesucht hat. Doch um es zu erlangen, zahlt er zunächst einen hohen Preis, den Sturz in eine existentielle Krise.
„Ich habe das Gefühl, unsere Welt ist so voll und überladen.“
Mit-Auslöser war eben dieser Brief des Lehrers. Wo und wie sollte er das Verstandene konkret für sich selbst umsetzen? Thomas hört auf seinen Bauch und beschließt, nach Südtirol zurückzukehren. Und tatsächlich, wieder dort kommt die Energie sukzessive zurück. Thomas sieht diese Entscheidung heute als großes Geschenk.
Nach Südtirol folgt ihm auch seine Partnerin Marion aus Frankreich. Beiden war nach dem Kennenlernen während der Ausbildung in Schweden schnell klar: Sie sind Partner in crime, da und dort. Gemeinsam ist ihnen diese Verbundenheit zur Natur, die beruflichen Wege sind allerdings unterschiedlich. Marion arbeitet als Tanztherapeutin auch schon einmal in den Bergen und bringt sich als Geschichtenerzählerin an Schulen ein, außerdem unterrichtet sie Englisch. „Ich habe das Gefühl, unsere Welt ist so voll und überladen“, sagt Thomas, „wir suchen beide nach dem, was darunter liegt.“
„Tue ich genug dafür?“
Er versucht jetzt einen anderen, für ihn neuen Zugang zur Kulinarik zu finden. Dafür belegt er zunächst Kurse an der Winterschule in Ulten und lernt dort, dass einen das Wissen über die Pflanzenwelt mit der Umgebung stärker verwurzelt. Er holt Fleisch und Gemüse lieber direkt von befreundeten Bauern als vom Supermarkt. Ab und zu wird er als Koch für Workshops engagiert, dort kann er seine Ideen umsetzen, etwa kürzlich bei einem Wildniscamp auf einem Bauernhof im Pustertal. Auf dem Speiseplan standen nur lokale Produkte. Das kleine Stück Speck etwa, von einem Bauern mitgebracht, musste für alle Teilnehmer:innen reichen, mehr Fleisch gabs nicht. Und es wurden Fragen gestellt, Geschichten erzählt: zum Mehl, Gemüse, zu den Beeren. „Es war einfach eine Gaudi, im Dunkeln mit Butterschmalz Strauben zu frittieren und diese mit Waldbeeren zu füllen. So eine Freude beim Kochen hatte ich lange nicht mehr empfunden!“
Genau diese Wertschätzung fürs Essen, neue Antworten auf Fragen zu finden oder auch mal nicht, die Suche nach anderen Wegen – dies alles gibt Thomas heute die Verwurzelung, nach der er gesucht hat.
Genau diese Wertschätzung fürs Essen, neue Antworten auf Fragen zu finden oder auch mal nicht, die Suche nach anderen Wegen – dies alles gibt Thomas heute die Verwurzelung, nach der er gesucht hat. Stärker denn je zieht ihn die Frage um: Wie nachhaltig ist die aktuelle Landwirtschaft in Südtirol wirklich? Gibt es noch etwas anderes außer Äpfel und Milch? Er ist skeptisch gegenüber dem, was sich in Südtirol etabliert hat und regt an, Dinge zu hinterfragen. Und er fragt sich auch selbstkritisch: „Tue ich genug dafür? Wo könnte ich mich noch mehr einbringen“. Diese Botschaft klingt auch immer in all seinen filmischen Arbeiten durch, von denen er heute leben kann.
Zum Jahreswechsel entstand auch ein aufwendig realisierter Kino-Dokumentarfilm von Meike und Thomas über die Farmfluencers, produziert von der Südtiroler Firma Takt Film. Der Film beleuchtet Klimaherausforderungen, Umgestaltungen, Generationenkonflikte und -übergänge und er trägt den programmatischen Titel „Tian“. Das Team geht damit seit Frühjahr südtirolweit und auf Festivals auch außerhalb des Landes auf Tour. Ziel der Vorführungen ist es vor allem zu sensibilisieren und anschließend zum Diskutieren und Weiterdenken anzuregen.
Was treibt Thomas für die Zukunft an? Tiefer gehen, mehr zuhören, mehr wahrnehmen – und diese Erfahrungen weiter in Filme, Bilder und Geschichten gießen, die andere wiederum inspirieren. Und wenn Zufälle Türen öffnen, dann bleibt Thomas offen für das Unerwartete. Und wer weiß – vielleicht inspiriert seine Geschichte ja wirklich einmal zu einem Film über einen jungen Koch, der einst eine Reise tat.
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