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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 09.02.2016
LeuteGleichstellung homosexueller Partnerschaften

„Welche Werte hat so einer?“

Veröffentlicht
am 09.02.2016
Moritz Demetz, Bürgermeister von St. Christina, bekennt sich als erster Politiker Südtirols offen zu seiner Homosexualität. Über das Schwul-Sein in Italien und die Ehe für alle.
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Moritz Demetz und sein Freund

„Wieso sollte man hier in Südtirol bleiben, wenn man weggehen kann?“, sagt Moritz Demetz. Er ist der SVP-Bürgermeister von St. Christina in Gröden und der erste Politiker, der sich in Südtirol offen zu seiner Homosexualität bekennt. Glücklich ist er hier aber nicht. Viel lieber würde er mit seinem Freund Bruno Ghezzi Gäste in einem Hotel auf Gran Canaria bewirten. Dort, wo homosexuelle Paare so normal sind wie Paare bestehend aus Mann und Frau. Wo man sich ohne Häme in der Öffentlichkeit küssen und Händchen halten kann. „Hier bei uns kommt es nicht in Frage Händchen zu halten, weil man sich aufgrund der Norm selbst einschränkt“, erklärt Demetz. Während er zusammen mit seinem Freund in einem kleinen Café in der Bozner Innenstadt sitzt und sie sich einen frisch gepressten Orangen-Karotten-Saft teilen, gehen in Italien Menschen auf die Straße, um gegen genau solche Beziehungen zu demonstrieren. Von zwei Millionen Demonstranten am Circus Maximus ist den Veranstaltern zufolge die Rede, Kritiker sprechen von maximal 300.000, so die deutsche Tagesschau. Die Demonstanten halten große Transparente in die Luft, auf denen in dicken Lettern „sbagliato è sbagliato“ steht und „no unioni civili“. Tausende Menschen, die sich dagegen aussprechen, dass homosexuelle Partnerschaften, wie bereits in Deutschland und anderen Ländern, endlich auch in Italien anerkannt werden. Eine Sache, die Ministerpräsident Renzi bereits versprochen hatte, als er zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt wurde. Und eine Sache, die seitdem ein Versprechen blieb, obwohl sogar schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Mahnung an den Stiefelstaat geschickt hat.

„Homosexualität ist nur solange ein Problem, solange du es eines sein lässt.“

Obwohl im Grödental bereits jeder wusste, dass Moritz Demetz schwul ist und seit 16 Jahren in einer Beziehung mit seinem Freund lebt, scheint er mit seinem Outing und seiner Offenheit im Wahlkampf trotzdem immer noch ein Revoluzzer im konservativen Südtirol gewesen zu sein. Bei seiner entscheidenden Wahlrede vor zwei Jahren hat sich Demetz dazu entschlossen, nicht über den Neubau des Lifts auf den Monte Pana zu reden, sondern über sich und sein Schwul-Sein. „Homosexualität ist nur solange ein Problem, solange du es eines sein lässt“, ist er überzeugt und hat daher seine ganz eigene Art der Aufklärung gefunden. An seine Rede in der letzten Wahlkampfveranstaltung kann er sich noch wortwörtlich erinnern. Gerne denkt er daran zurück, wie er damit bestimmten Vorurteilen den Garaus gemacht hat. „Was fällt euch ein, so einen überhaupt aufzustellen?“, hat ein Bürger den Ortsausschuss damals gefragt, „Welche Werte hat so einer?“. Das muss man Demetz nicht zwei Mal fragen: „Ich habe die gleichen Werte wie ihr alle.“ Den Mut, den der Grödner damals bei dieser Rede gebraucht hat, habe er von seinen Eltern mit auf den Weg bekommen. „In ihrer Erziehung war es immer das wichtigste, dass ich davon überzeugt bin, das Richtige zu tun und dass ich davon überzeugt bin, dass ich das Beste getan habe, was ich tun konnte“, erzählt er. Auf die Frage hin, ob er denn in der konservativen SVP überhaupt willkommen sei, meint Demetz ganz lässig: „Ich denke schon, schließlich haben sie mich ja gefragt“ und lacht.

„Mein Freund ist meine Familie.“

Während sie abwechselnd vom grünen Strohhalm schlürfen, erzählen er und sein Freund Bruno Ghezzi von 16 gemeinsamen Jahren, von Höhen und Tiefen in ihrem Leben und davon, wie sie sich immer zur Seite stehen. Wenn Demetz einen Witz über ihre Beziehung macht, gibt sein Freund ihm einen kleinen Klaps auf den Oberarm. Wenn dieser von seinen Eltern erzählt, wirft Demetz ein: „mi adoravano“. Die beiden scheint keine Hürde an ihrem Weg zu hindern.

Doch dann erzählt der Grödner Bürgermeister von einer Hirnhautentzündung, die ihn vor zwei Jahren mit einer Überlebenschance von nur mehr fünf Prozent ins Koma warf. Damals wollten die Ärzte im Brixner Krankenhaus nicht mit seinem Lebenspartner sprechen, sondern nur mit Demetz’ Cousin. „Unfassbar. Sie haben Bruno einfach ignoriert. In Innsbruck hingegen war das kein Thema“, erzählt der Grödner in einem Ton, der sein Entsetzen immer noch deutlich hören lässt. „Wir sind seit 16 Jahren zusammen. Der einzige Mensch, der Entscheidungen treffen sollte, wenn es um mein Leben geht, ist er“, fährt Demetz fort. Das Recht, die Intensivstation zu betreten, haben in Italien nur Eltern und Familienangehörige. Als Familie kann sich Demetz’ Freund rechtlich gesehen jedoch nicht bezeichnen. In Italien wird nämlich keine Form von gleichgeschlechtlicher Beziehung anerkannt. Auf italienischem Papier ist Bruno Ghezzi nicht mehr als eine Liebschaft von Moritz Demetz – trotz 16-jähriger Beziehung.

In diesen Tagen will der Senat endlich eine Entscheidung treffen. „Sollte es dieses Mal nicht klappen, werde ich nichts mehr für diesen Staat machen“, sagt Demetz etwas böse.

Es ist mittlerweile der fünfte Versuch in 14 Jahren hierzulande die gleichgeschlechtlich eingetragenen Lebenspartnerschaften, die sogenannte unione civile, in einem Gesetz zu verankern. In diesen Tagen will der Senat endlich eine Entscheidung treffen. „Sollte es dieses Mal nicht klappen, werde ich nichts mehr für diesen Staat machen“, sagt Demetz etwas böse. Einem Staat, der ihn nicht akzeptiert, wolle er nicht dienen. Überhaupt sehe sich der Grödner nicht gerne als Politiker. Ein Dorf verwalten hat in seinen Augen nämlich nichts mit Politik zu tun. „Ich baue Gehsteige“, sagt er und grinst. Wäre er hingegen Vollblutpolitiker in der italienischen Regierung, würde er das Thema Ehe für alle wahrscheinlich nicht anfassen. „Da hat man einfach kompletten Gegenwind von der rechten Seite und von der Kirche“, fährt Demetz fort und ist eigentlich begeistert davon, dass die italienischen Politiker sich trotzdem trauen – wenn auch noch nicht ganz richtig.

An der Spitze dieses politischen Kampfes steht Monica Cirinnà, für die sich Demetz’ Aussage bewahrheitet. Sie muss nicht nur gegen die Gegner von den rechtskonservativen Parteien, sondern auch gegen die Kirche anreden. „Der Papst macht seinen Job, das Parlament auch“, sagt die Politikerin in einem Interview lässig und bleibt ihrem Weg treu. In Zukunft sollen homosexuelle Partner nämlich sowohl vor Gericht als auch im Finanzamt oder im Krankenhaus gleich wie heterosexuelle Partner als Eheleute behandelt werden. Den Namen des anderen sollen Homosexuelle von nun an genauso annehmen dürfen wie die Pensionsbezüge des Partners, wenn dieser stirbt. Der umstrittenste Punkt des Gesetzes ist die sogenannte „Stepchild Adoption“. Durch diese soll es in Zukunft möglich sein, dass ein Partner das leibliche Kind, das der Lebensgefährte in die Beziehung mitbringt, adoptieren darf. Kinder haben Moritz Demetz und sein Freund Bruno keine, doch sie sind bereits stolze Paten. „Und ein weiteres Patenkind ist unterwegs“, erzählt Demetz. Heute wollen sie für dieses eine Wiege kaufen. „Zwei Schwule mit Kreditkarte in einem Kindergeschäft? Sehr gefährlich und sehr teuer“, meint er und lacht.

„Ich denke es ist absolut notwendig, die Adoption gesetzlich zu regeln, damit Kinder zum Beispiel im Falle des Todes des leiblichen Elternteils finanziell abgesichert sind und im gewohnten Lebensumfeld weiterleben können.“

In der SVP-Fraktion sind die Meinungen zum Thema Adotion geteilt. Während Hans Berger auf der Contra-Seite steht und gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ist, ist sein Fraktionschef Karl Zeller der Ansicht, die Adoption zu verbieten sei unmöglich. Wird das Thema im Senat ausgeklammert, dann entscheiden die Gerichte über das Schicksal der Kinder. So wird es jetzt bereits gehandhabt. Doch wer A sagt, muss laut Zeller auch B sagen. Er erkennt, dass es auch andere Formen der Partnerschaft gibt und findet, dass man das natürlich auch berücksichtigen müsse. Und dieser Meinung ist auch Moritz Demetz: „Ich denke es ist absolut notwendig, die Adoption gesetzlich zu regeln, damit Kinder zum Beispiel im Falle des Todes des leiblichen Elternteils finanziell abgesichert sind und im gewohnten Lebensumfeld weiterleben können.“

Portugal, Finnland oder doch Italien?

Nachdem in der vergangenen Woche 99 Senatoren in einer Gesamtredezeit von 21 Stunden ihre Stellungnahmen zum Thema abgegeben haben, soll am Donnerstag endgültig über das Gesetz abgestimmt werden. Würde das Gesetz so durchgehen, wie es momentan in der Kammer vorliegt, sei Italien in Europa nur ein bisschen weniger weit hinten als bisher, meint Demetz. Von Gleichstellung könne man immer noch nicht sprechen. „In der Sentenz von 2010 hat das italienische Verfassungsgericht festgestellt, dass eine Gleichstellung mit dem italienischen Recht überhaupt nicht kompatibel ist“, beklagt er. Warum dann trotzdem immer und immer wieder im Senat darüber verhandelt wird, bleibt fraglich.
In Portugal und Finnland könnten Demetz und sein Freund bereits heiraten, das wäre aber nur eine symbolische Sache, meint er und Symbolik bräuchten sie nach 16 Jahren nun wirklich nicht mehr. Was die beiden hingegen herbeisehnen, sind die gleichen Rechte wie alle anderen italienischen Bürger. Schließlich hätten sie auch die gleichen Pflichten. „Wenn die Sache alltäglich wird, werden die Leute sich daran gewöhnen, das steht fest“, sagt Moritz Demetz und blickt zu seinem Freund. „Wir sind dann aber hoffentlich schon an einem Ort, wo es warm ist“, lacht dieser und reibt sich wärmend die Hände.

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