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Die Mutter war Lehrerin, die Schwester ist Lehrerin, sie selbst Psychotherapeutin und hat außerdem Geschichte und Germanistik studiert. So weit, so erfolgreich. Doch Ingrid Mair hat sich dem Schulsystem entfremdet, obwohl sie mit Leichtigkeit durch das Studium kam. „Was war ich für eine Streberin“, sagt sie, grinst, dreht sich auf dem Baumstock sitzend um und leiht der vierjährigen Magdalena ein Ohr. Manche Kinder rechen im Wald über dem Haus der Familie am Ritten Laub zusammen, andere essen am Feuer ihr mitgebrachtes Obst, zwei haben ein Eichhörnchen entdeckt.
Die 39-jährige Ingrid Mair hat vor fünf Jahren gemeinsam mit Ute Mayr aus Klobenstein den Waldkindergarten in Lichtenstern gegründet. Den ersten Winter harrte Mair mit ihrer älteren Tochter und einem pädagogisch geschulten Vater samt dessen Sohn allein im Freien aus: „Die meisten hielten uns für verrückt.“ Sie arrangierten sich mit der Kälte, suchten auch bei minus 13 Grad keinen warmen Raum auf, spielten mit dem, was der Wald hergibt. Als Ute Mayr bald darauf an Krebs starb, standen die Zeichen auf Abbruch. Die Verstorbene hatte dem Waldkindergarten ein Tipi-Zelt für Regentage hinterlassen und bei ihrer Mitstreiterin unzerstörbaren Idealismus entfacht. Ingrid Mair hat ihre Töchter zu Hause geboren, sie windelfrei erzogen und nicht impfen lassen. Widerstand waren ihr und ihrem Mann bekannt. Sie wollten ihre Kinder in keinen Regelkindergarten schicken: die kleinen Räume, das enge Programm, der hohe Geräuschpegel. Im Wald könne sich jedes Kind frei bewegen und bei Unlust aus dem Weg gehen.
Ingrid Mair stellte für den Waldkindergarten engagierte Mitarbeiter ein, veranstaltete Informationsabende, spürte Interesse und erhielt Absagen. Väter äußern sich meist kritischer als Mütter: „Die lernen ja nichts“, heißt es dann. Dass die Natur zum Lernen anregt und Bewegung das Immunsystem stärkt, wollen manche nicht wahrhaben. Im Winter 2015/2016 kamen 15 Kinder, heuer ist der Kindergarten mit 18 Drei- bis Fünfjährigen ausgelastet, für das kommende Jahr stehen bereits Namen auf der Warteliste. 150 Euro zahlt jede Familie im Monat. Seit Herbst 2015 führt der Verein auch eine Schule: Die Klasse ist in einem Raum des Hauses der Familie untergebracht, zwei Montessori-Lehrerinnen begleiten die Kinder.
Auch wenn im Wald alles glatt läuft, auf dem politischen Parkett ist die Vorsitzende des Vereins öfters ausgerutscht: Sie wurde von Sponsoren verschickt, kämpft um öffentliche Anerkennung und finanzielle Mittel und verdient im Monat weniger als eine durchschnittliche Kindergärtnerin in einer Woche. Aber wenn ihre Kinder im Sommer keine Ferien, sondern zurück in den Wald wollen, ist ihr das Bestätigung genug.
von Maria Lobis
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