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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 11.04.2017
LeuteInterview mit einer Medienforscherin

Sind wir Analphabeten?

Veröffentlicht
am 11.04.2017
Italienische Professoren beklagen, dass Studenten nicht mehr schreiben können. Dabei ist das Bildungssystem selbst Schuld daran.
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Italiens Studenten können weder schreiben noch lesen. Drei Viertel von ihnen seien sogar halbe Analphabeten. Das behaupten zumindest 600 Universitätsprofessoren in Italien, die vor Kurzem einen Brief an die Regierung und das Parlament geschickt haben. Darin fordern sie Maßnahmen zur Förderung der Rechtschreibung an den Schulen. „Ich merke schon, dass den jungen Leuten Rechtschreibung mehr oder weniger egal ist. Trotzdem liegt die Schuld nicht bei ihnen“, sagt Sabria David. Die Medienforscherin aus Bonn untersucht den Medienwandel und die Auswirkungen der Digitalisierung auf Kommunikation und Gesellschaft. Sie ist sich sicher, dass sich eine Gesellschaft einen solchen Brief nicht leisten kann, ohne die Schuld bei sich selbst zu suchen.

Studenten in Italien würden Ortografie-Fehler „wie in der dritten Volksschule“ machen. Drei Viertel von ihnen seien sogar halbe Analphabeten. Das beklagen Universitätsprofessoren aus Italien in einem Brief. Wie sehen Sie das Problem?
In Deutschland gibt es auf jeden Fall ein ähnliches Problem. Viele Universitätsprofessoren oder ehemalige Lehrer und Direktoren bestätigen mir immer wieder, dass das Niveau stark abgenommen hat. Ein Deutschunterricht wie früher sei heutzutage demnach gar nicht mehr möglich. Dazu ist der politische Wille an den Schulen viel zu hoch. Was jetzt zählt, ist dass so viele Schüler und Studenten wie möglich einen Abschluss machen. Das geht natürlich nur, wenn man das Niveau senkt oder die Bildungsausgaben erhöht.

Sabria David

Hierzulande erkennt man oft einen Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und den mangelhaften Fähigkeiten, Texte zu schreiben und zu verstehen …
Ich finde nicht, dass die Ursache des Problems die Digitalisierung ist. Das ist einfach ein Vorwand, der im Bildungssystem gerne genutzt wird, um Kosten zu senken. Natürlich haben sich unsere Kommunikation und die Schriftform sehr verändert. Wir sehen ja, wie in Whatsapp, Facebook und Twitter kommuniziert wird. Die Schriftform hat sich dabei einfach sehr ins Mündliche verlagert. Durch die Digitalisierung wird die Schriftkultur sozusagen reoralisiert. Das bedeutet, dass die Schrift, die wir nutzen, nach den Regeln der Mündlichkeit funktioniert.

Können Sie ein Beispiel nennen?
E-Mails werden oft wie ein Brief genutzt, in dem Anrede, Abrede und korrekte Grammatik vorkommen. Es gibt aber auch die E-Mail, die als mündliches Pingpong benutzt wird – ohne Formalitäten und Grammatik. Hier befinden Sie sich im mündlichen Modus und wundern sich deshalb auch, wenn jemand nicht gleich antwortet. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Schriftkultur.

„Alles, was Zeit und Mühe in den Klassen kostet, wird hierzulande auf die Eltern ausgelagert.“

Welche denn?
Zu den beiden Grundformen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit kommt heutzutage eine dritte Form hinzu: Eine Reoralisierung in der Schrift, die durch die Digitalisierung entsteht. Das Fazit meiner eigenen Arbeiten ist, dass den Schülern in den Schulen klar gemacht werden muss, dass es diese drei Formen gibt und man sie als solche auch würdigen muss – alle drei. Die Schriftform muss deshalb aber nicht für überflüssig gehalten werden. In Deutschland fängt man ja schon an, die Schreibschrift gar nicht mehr zu unterrichten, sondern nur noch in Druckbuchstaben zu schreiben. Alles, was Zeit und Mühe in den Klassen kostet, wird hierzulande auf die Eltern ausgelagert.

Wie könnte man diese neue, dritte Form konkret im Bildungssystem integrieren?
Dafür gibt es unzählige Lernmethoden. Meiner Meinung nach ließe es sich sogar als eigenes Fach unterrichten, in dem man die Mechanismen der drei Formen verstehen und anzuwenden lernt.

Also liegen mangelhafte Schreibfähigkeit und fehlendes Textverständnis Ihrer Meinung nach an einem falsch aufgebauten Schulsystem?
Sie liegen sicherlich an der falschen Reaktion auf die Digitalisierung. Mit all den neuen Herausforderungen in den Klassen wäre es ja besonders wichtig, die Digitalisierung in den Schulen zum Thema zu machen. Man muss verständlich machen, was Schriftform, mündliche Kommunikation und digitale Kommunikation ist und den Schülern dann erklären, wie sie sich diesen vernünftig bedienen können. Rechtschreibung in der Schule einfach wegzulassen, weil man der Meinung ist, dass man sie nicht mehr brauche, ist ein Fehler des Bildungssystems.

Muss man denn unbedingt an der alten Grammatik festhalten, wenn sich unsere Schreibkultur ja sowieso in Richtung Mündlichkeit entwickelt?
Man muss beides wertschätzen. Diskursive, mündliche Formate müsste man an Universitäten stärker nutzen und sich mehr mündlich auseinandersetzen. Aber trotzdem muss man die Fähigkeiten der normalen Schriftkultur auch beherrschen. Viele Fehler passieren einfach, weil die Leute nicht mehr unterscheiden können, in welchem Schriftmodus sie sind.

Würde es etwas bringen, Grammatik in der Universität nochmals zu lernen?
Ich würde das als Zeichen des Versagens des bisherigen Bildungsweges sehen. Grammatik in der Universität zu unterrichten, ist in meinen Augen eine Notlösung. Es bedeutet nämlich, dass bis dahin bereits sehr viel falsch gelaufen ist. Rechtschreibung, Grammatik und Handschrift sind Kulturtechniken, die in der Grundschule erworben werden. In der Universität geht es dann um etwas anderes, das aber auf diese Grundinstrumentarien aufbaut.

„Ich würde das auf jeden Fall als großes Alarmzeichen sehen. So etwas kann man sich als Gesellschaft einfach nicht leisten.“

Werden Kulturtechniken durch die Digitalisierung eigentlich nicht unwichtiger?
Im Gegenteil. Quellenkritik, Quellen einordnen, sortieren und gewichten zu können und Hintergrundinformationen zu beschaffen wird durch die Digitalisierung enorm wichtig. Alle Bildungssysteme, egal ob deutsches oder italienisches, machen es sich leicht, wenn sie sagen, dass solche Kulturtechniken nicht mehr notwendig sind.

Wäre die Lösung dann, Bildungssysteme anzupassen?
Unsere Bildungssysteme müssten sich einfach einmal mit der Digitalisierung befassen. Mit den digitalen Kompetenzen hinken sie nämlich komplett hinterher. Dieses schwere Schiff reagiert auf den neuen Strom einfach nicht, sondern bleibt schwerfällig und kurzsichtig. Medienkompetenzen spielen in unserem Fachunterricht keine wirkliche Rolle, weil sie fächerübergreifend sind und das Bildungssystem nicht weiß, wie es damit umgehen soll. Also macht es sich leicht und sagt: Die SchülerInnen lernen das schon selbst.

Wie würden Sie als italienisches Parlament oder italienische Regierung auf einen solchen Brief reagieren?
Ich würde das auf jeden Fall als großes Alarmzeichen sehen. So etwas kann man sich als Gesellschaft einfach nicht leisten. Außerdem würde ich mir denken, dass es wichtig ist, dass die Menschen mit einer entsprechenden Grundqualifikation ins Berufsleben starten. Wir brauchen in unserer digitalen Gesellschaft schließlich Menschen, die ein gutes Handwerkszeug haben. Deshalb muss man die Digitalisierung auch ins Schulsystem einbinden. Sowohl die Nutzung der digitalen Strukturen als auch die reine Schriftkultur müssen parallel verständlich gemacht und gefördert werden.

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