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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 23.12.2015
LeuteArbeitsintegrationsprojekt

„Schupfer in die Wirklichkeit“

Veröffentlicht
am 23.12.2015
Das Arbeitsintegrationsprojekt JAI gibt Jugendlichen mit Schwierigkeiten eine Chance auf eine Arbeitsanstellung. Und eröffnet dadurch neue Welten.
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Bei der Arbeit auf der Straße

„Durch die Arbeit bin ich ruhiger geworden und habe mich besser im Griff. Außerdem bin ich viel selbständiger. Ein schönes Gefühl“, meint Laura und strahlt. Um acht Uhr morgens steht die 21-jährige Pustererin im Palais Widmann in Bozen und schüttelt mit einer gekonnten Handbewegung gerade eine weiße Tischdecke über einen Tisch. Viele kleine Häppchen neben blankpolierten Sektgläsern finden ihren Platz darauf. Vorbereitet wird das Catering für eine Veranstaltung. Laura trägt eine weiße Bluse, darüber eine schwarze Krawatte und eine Schürze. Sie sieht seriös darin aus. Und so fühlt sie sich auch, seit sie Teil des Arbeitsintegrationsprojektes JAI ist.
„Gelernt habe ich nie gerne. Trotzdem habe ich mich gezwungen und am Ende die Matura auch geschafft“, erzählt sie. Laura hat ihren Abschluss an der LEWIT in Sand in Taufers gemacht und sich danach immer und immer wieder auf verschiedene Stellen beworben. Absagen habe sie kassiert, manche hätten sich gar nicht bei ihr zurückgemeldet. Von einer Freundin hat Laura schließlich vom Projekt JAI – Jugend Arbeit Integration – der Sozialgenossenschaft EOS erfahren und sich gleich darauf dort beworben. Mit Erfolg. Seit über einem halben Jahr ist sie mittlerweile Teil der „großen Familie“, wie sie ihre Mitarbeiter im Projekt nennt. [[{“fid”:”19768″,”view_mode”:”teaser”,”fields”:{“format”:”teaser”,”field_description[und][0][value]”:”%3Cp%3ELaura%20bei%20der%20Arbeit%3C%2Fp%3E%0A”,”field_description[und][0][format]”:”full_html”,”field_imagesource[und][0][value]”:”EOS Sozialgenossenschaft”,”field_tags[und]”:””},”type”:”media”,”link_text”:null,”attributes”:{“height”:399,”width”:320,”class”:”media-element file-teaser”}}]]

Durch ihren Fleiß und ihre zuverlässige Art beim anfänglichen Praktikum, wurde sie vor einem Monat sogar fix fürs nächste halbe Jahr angestellt. Nun arbeitet sie nicht nur in der Verwaltung, sondern hilft auch ab und an bei Caterings, wie dem in Bozen, aus.

„Jeden Tag in der Früh freue ich mich, zur Arbeit zu gehen.“

Ursprünglich hat die Sozialgenossenschaft EOS ausschließlich sozialtherapeutische Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen angeboten. „Das alles ist aber nur die Hälfte Wert, wenn die Jugendlichen am Ende keine Arbeit haben“, meint Barbara Pizzinini, die Geschäftsführerin der Sozialgenossenschaft. Einen „Schupfer in die Wirklichkeit“ sei das, was solche Jugendliche unbedingt bräuchten. Und dieser Schupfer führt durch JAI direkt in die Arbeitswelt. Praktika in einem geschützten Rahmen werden Jugendlichen wie Laura geboten. Eine Chance, die ihnen in der schnelllebigen Welt oft verwehrt geblieben ist.
„Drogenkonsum, Missbrauch, Gewalt, Prostitution oder andere soziale Probleme. Es gibt viele Gründe, aufgrund deren Kinder und Jugendliche psychische Schwierigkeiten haben können“, erklärt Pizzinini. Sie sieht ernst aus, wenn sie im Bozner EOS-Büro sitzt und über die Hintergründe des Projekts spricht. „Außerdem kommen heutzutage auch noch neue Krankheiten wie Sozialphobien, Depressionen oder mediale Süchte dazu, die Jugendliche auf die schiefe Bahn bringen können“, ergänzt die Sozialpädagogin. Es muss aber nicht immer gleich ein psychisches, soziales oder psychiatrisches Problem sein. Auch Jugendliche, die mit der Gesellschaft und ihrer Erwartungshaltung nicht klar kommen und Schwierigkeiten haben, einen Platz in der Arbeitswelt zu finden, werden bei JAI aufgefangen. So wie Laura. Sie wohnt immer noch zu Hause bei ihren Eltern und nimmt das betreute Wohnen der Sozialgenossenschaft nicht in Anspruch. Durch die Selbständigkeit, die ihr die Arbeit bei JAI verschafft, fühlt sie sich mittlerweile sogar bereit dazu, den nächsten Schritt in der Selbständigkeit zu wagen. „Vor Kurzem habe ich mich für eine Sozialwohnung beworben“, sagt sie und lacht stolz.

Jeder Fünfte Oberschüler in Südtirol ist ein Schulabbrecher. Und das ist nicht das einzige Problem, das Jugendliche auf die schiefe Bahn wirft.

Wenn die Jugendlichen zwischen 15 und 21 nach einer herkömmlichen Bewerbung im Projekt angenommen werden, besteht anfangs die Möglichkeit eines Praktikums in einem der vielen Bereiche, die zur Auswahl stehen. Sowohl in Bruneck als auch in Bozen gibt es Arbeitsplätze in einem der beiden Cafés, einer Werkstatt oder der Eisenwarenhandlung MT. Außerdem gibt es Jobs im Handwerksbereich, wo Hausmeisterarbeiten oder Grünflächenbearbeitung von verschiedenen Firmen anfallen, im Catering oder der Verwaltung. Die Instandhaltung der Radwege im gesamten Pustertal hat JAI mittlerweile über. „Durch die unterschiedlichen Arbeitsbereiche kann auf die momentane Befindlichkeit eines jeden Jugendlichen einzeln eingegangen werden“, meint Pizzinini. Die jungen Erwachsenen arbeiten mit den Handwerkern oder Baristen zusammen und werden von ihnen betreut. Zudem kümmern sich die Pädagogen um die Jugendberufshilfe und begleiten die Jugendlichen individuell.[[{“fid”:”19761″,”view_mode”:”default”,”fields”:{“format”:”default”,”field_description[und][0][value]”:”%3Cp%3ESo%20l%C3%A4uft%20Integration%3C%2Fp%3E%0A”,”field_description[und][0][format]”:”full_html”,”field_imagesource[und][0][value]”:”EOS Sozialgenossenschaft”,”field_tags[und]”:”Integration, Jugend, Arbeit”},”type”:”media”,”link_text”:null,”attributes”:{“height”:520,”width”:780,”class”:”media-element file-default”}}]]

In der Schule sei das nicht immer der Fall. So ist die Pusterer Sozialpädagogin auch nicht verwundert darüber, dass in Südtirol die Quote der Schulabbrecher bei fast 20 Prozent liegt. Für Pizzinini ist die Schulpflicht bis 18 Quatsch. Es gebe zu viele junge Leute, die handwerksmäßig fit seien und besser bei der Arbeit als in der Schule aufgehoben wären. Daher gibt es mittlerweile einige Schulen, die mit der EOS in Form von schulinternen Projekten zusammenarbeiten. So können Schulverweigerer oder Schüler, die sich mit dem „System Schule“ schwer tun, in Form einer Time-Out-Regelung die Schule für einige Stunden verlassen und stattdessen auswärts an Projekten mitarbeiten, die ihnen als Schulzeit anerkannt werden.
„Es nützt nichts, wenn wir dem Balotelli auf Druck Mathematik beibringen wollen. Dann haben wir keinen guten Fußballer und keinen guten Mathematiker mehr“, vergleicht die 46-Jährige. Das, was die Jugendlichen gut können, müsse gefördert werden. „Wenn wir im modernen Europa schon immer vorne dran sein wollen, müssen wir es auch mit unserer Zukunft, den jungen Leuten, gut machen und uns nicht ausruhen“, meint Pizzinini weiter.

[[{“fid”:”19764″,”view_mode”:”teaser”,”fields”:{“format”:”teaser”,”field_description[und][0][value]”:”%3Cp%3EBarbara%20Pizzinini%20und%20Laura%3C%2Fp%3E%0A”,”field_description[und][0][format]”:”full_html”,”field_imagesource[und][0][value]”:”Lisa Maria Kager”,”field_tags[und]”:”Sozialgenossenschaft, Jugend, Integration”},”type”:”media”,”link_text”:null,”attributes”:{“height”:213,”width”:320,”class”:”media-element file-teaser”}}]]Oft sei es für herkömmliche Firmen einfach schwierig die Zeit zu finden, sich mit den Jugendlichen intensiver auseinanderzusetzen und sie zu betreuen. Bevor die Jugendlichen also in die Arbeitswelt entlassen und in solche Firmen integriert werden, lernen sie in den hauseigenen Projekten soziale Kompetenzen, die unabdinglich fürs tägliche Leben sind. Außerdem lernen sie in Rollenspielen, wie man sich richtig vorstellt oder in Workshops, wie man Lebensläufe korrekt verfasst. Das bereitet sie darauf vor, sich zu einem späteren Zeitpunkt auch bei größeren Firmen zu bewerben und eventuell auch den Sprung in eine fixe Anstellung auf dem freien Arbeitsmarkt zu schaffen – das Ziel des Projekts.
„Unsere einzige Aufgabe im Bereich der Jugendarbeit ist es, Jugendliche irgendwann selbständig in die Welt hinaus zu entlassen. Und das schafft man durch Arbeit. Sie sollen glücklich sein, mit einem eigenen Einkommen und einem rechtlichen Grundgedanken“, betont Pizzinini. Sie schaut Laura an, die bestätigend nickt und der ein Lächeln übers Gesicht huscht.

„Ziel ist es, Chancen zu geben und die Menschen so gut wie nur möglich zu fördern und auch zu fordern.“

Allein von Jänner 2014 bis Juni 2015 hat das Projekt 172 Jugendliche in der Arbeitsintegration aufgefangen. Einfach sei es jedoch nicht. Schließlich wird die ganze Arbeitsintegration rein privat und ohne öffentliche Gelder auf die Füße gestellt. Durch social marketing in Firmen und mit den Arbeiten als Dienstleister im Handwerk verdient die Genossenschaft etwas Geld. „Wir arbeiten wie jede normale Firma auch, nur, dass wir Jugendlichen mitnehmen, ihnen was beibringen und sie betreuen“, meint die Geschäftsführerin, „dafür wäre es nicht schlecht auch mal etwas mehr Unterstützung vom Land zu kriegen.“ Hilfe von Seiten des Arbeitsamtes und der Politik gibt es aber nur sporadisch. Im vergangenen Jahr waren die verfügbaren Praktikumsstellen im Juni bereits alle vergeben. Für das restliche Jahr musste man sich selbst organisieren.
Was die Arbeitsintegration anbelangt, bleibt Pizzinini Realistin: „Das Soziale muss endlich mit in die Wirtschaft gebracht werden. Dass soziale Dienste eine Extrabehandlung erfahren, ist schon lange nicht mehr der Fall.“ Dass jede Integration erfolgreich endet, ist dabei auch nicht gesagt. Natürlich gebe es auch Fälle, in denen auch JAI keine Lösung bringt. „Man kann eben nicht die Welt retten“, meint die Pustererin während sie entschuldigend ihre Schultern und Augenbrauen hochzieht, „aber man tut, was man kann“.

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