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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 30.08.2017
LeuteRomanische Entlehnungen im Dialekt

Occio, do kimp dor Karpf!

Veröffentlicht
am 30.08.2017
Isabel Meraner beschäftigt sich mit Romanismen im Südtiroler Dialekt. Warum Südtiroler gerne fluchen und das Wort „dorcazzt“ sprachliche Integration vom Feinsten ist.
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Isabel Meraner hat immer ein kleines Büchlein dabei. Wenn jemand etwas Interessantes sagt, dann geht das nicht verloren. Nur, dass es ihr dabei weniger um den Inhalt, als um die Form des Gesagten geht: Isabel Meraner ist Romanistin und interessiert sich für den Südtiroler Dialekt – und wie sehr er vom Romanischen beeinflusst ist. Die 24-Jährige aus St. Michael/Eppan hat an der LMU München Romanistik und Skandinavistik im Bachelor studiert und lebt nun in Zürich, wo sie sich auf multilinguale Textanalyse spezialisiert.

Isabel, du hast dich in deiner Bachelorarbeit mit romanischen Einflüssen im Südtiroler Dialekt beschäftigt. Um was geht es dabei genau?
Ich hatte während meines Bachelorstudiums bemerkt, dass es keine umfassende Datenbank und Sammlung an romanischen Entlehnungen, die wir in unserem Dialekt haben, gibt. Ich habe deshalb verschiedene Wörterbücher über den Südtiroler Dialekt und andere wissenschaftlichen Arbeiten in einer Datenbank zusammengefasst und dann noch eigene Wörter, die ich im Laufe der Zeit selbst gesammelt habe, eingepflegt. Mein Ziel war es, herauszufinden, auf welche Themenbereiche sich die romanischen Entlehnungen im Südtiroler Dialekt konzentrieren: Gastronomie, Verwaltung, Militärwesen und noch mehr? Außerdem hat mich interessiert, welche Art von Entlehnungen es gibt: Wird der Begriff einfach aus dem Italienischen übernommen oder wird er angepasst?

Es gibt auch ganz stark integrierte Formen wie in „I hon mi dorcazzt“, wo man das deutsche Präfix „-dor“ nimmt, die italienische Stammwurzel von „incazzarsi“ und dann wieder das „-t“ am Ende als Perfekt-Endung. Das ist ja eigentlich verrückt, aber das ist sprachliche Integration vom Feinsten.

Kannst du kurz erklären, was du unter Entlehnungen genau verstehst?
Hm, kurz beschreiben ist immer schwierig (lacht). In meiner Arbeit habe ich Entlehnung so definiert: eine assimilierte oder nicht assimilierte Wortform, die aus einer der Kontaktsprachen kommt. Da gibt es viele Feinheiten, zwischen denen man dann unterscheiden kann: Es gibt Lehnbedeutungen, bei denen nur die Bedeutung aus dem Italienischen übernommen wird oder aber auch Lehnübersetzungen, bei denen das romanische Wort direkt übersetzt wird. Beispielsweise beim Wort Identitätskarte: Das deutsche Wort wird ja wörtlich aus carta d’identità übersetzt, wobei es im Deutschen eigentlich Personalausweis heißen müsste. Es gibt auch ganz stark integrierte Formen wie in „I hon mi dorcazzt“, wo man das deutsche Präfix „-dor“ nimmt, die italienische Stammwurzel von „incazzarsi“ und dann wieder das „-t“ am Ende als Perfekt-Endung. Das ist ja eigentlich verrückt, aber das ist sprachliche Integration vom Feinsten.

Isabel Meraner

Du sprichst von romanischen Entlehnungen. Haben wir in Südtirol nicht hauptsächlich italienische Entlehnungen?
Ja, ich habe mich auch hauptsächlich auf Italienisch konzentriert. Es war sehr schwierig, Belege dafür zu finden, dass Entlehnungen tatsächlich aus anderen Kontaktsprachen kommen. Das Problem ist, dass es kein etymologisches Wörterbuch zum Südtiroler Dialekt gibt. Die Arbeit konzentriert sich vor allem auf den Großraum Bozen mit Überetsch und Unterland.

Warum hast du dich auf das Gebiet Überetsch und Unterland konzentriert?
Ich habe auch Leute aus verschiedenen Südtiroler Tälern befragt, aber im Süden gibt es natürlich einfach am meisten Entlehnungen, da der Sprachkontakt am intensivsten ist und auch schon am längsten besteht. Wir haben ja nicht erst seit der Annexion, d. h. seit 1918 so einen intensiven Sprachkontakt. Das Überetsch und Unterland haben schon vorher durch die geografische Nähe zum Trentino viel Kontakt mit dem Italienischen gehabt. Man sieht deshalb auch genau, dass es besonders bei Themen wie der Landwirtschaft oder Gastronomie viel altes Lehngut gibt, das mittlerweile leider etwas verschwindet, weil die Landwirtschaft sich wandelt. Es sind Bezeichnungen für Geräte, beispielsweise Zapin für eine Hacke. Das kommt aus dem Trentiner Dialekt, aber heute verwendet das niemand mehr, weil niemand mehr damit arbeitet.

Kann man sagen, dass es heute insgesamt weniger Entlehnungen aus dem Romanischen gibt, da dieser große landwirtschaftliche Bereich verschwindet? Oder gibt es Bereiche, die das ersetzen?
Ja, ich denke, das trifft es genau. Heute gibt es einfach andere Bereiche, in denen die Entlehnungen zu finden sind. Früher war es der Obst- und Weinbau, Geräte und Ähnliches, oder auch Gastronomie. Diese Bereiche sind heute durch Spontansprache im Alltag ersetzt worden. Auch die Jugendsprache ist sehr kreativ und produktiv.

Inwiefern ist die Gastronomie ein alter Bereich für Entlehnungen?
Hier gibt es natürlich auch viele neue Entlehnungen, aber eben auch viele ältere wie beispielsweise Plent, was vom Italienischen polenta kommt. Polenta hat auch diese Doppelung im deutschen Sprachraum: In Deutschland und Italien sagt man Polenta, aber in Südtirol sagt man Plent. Dieses Wort wird schon lange im Dialekt verwendet. Ein Beispiel für eine neue Entlehnung wäre beispielsweise Stracchino oder Asiago, also Dinge, die man in Deutschland gar nicht findet und bei denen es deshalb notwendig ist, das italienische Wort dafür zu verwenden.

Welche anderen großen Bereiche für Entlehnungen gibt es? Bis jetzt hast du die Landwirtschaft und Gastronomie genannt.
Weitere große Bereiche sind das Militär und die Verwaltungssprache, mit Wörtern wie Patent, Quästur und Tribunal. Aber generell stammen viele Entlehnungen aus dem öffentlichen Wesen, da die Verwaltung lange Zeit italienisch dominiert war. Durch die Frequenz, in der diese Worte auf Italienisch gefallen sind, sind sie übernommen worden.

Ist eigentlich auch der Satzbau im Dialekt vom Italienischen beeinflusst?
Ja, beispielsweise bei einem Satz wie „Des schun isch a guatr Leps“. Hier ist der Satzbau typisch romanisch: Die Betonung liegt am Anfang. Im Standarddeutschen könnte man das gar nicht so sagen. Was aber auch noch einen großen Bereich der Entlehnungen darstellt, ist das Fluchen: Es gibt nur ganz wenige deutsche Fluchworte im Dialekt, wie hardimizn oder sapperlott. Aber italienische Fluchworte wie dio cane, zio porco und so weiter überwiegen deutlich. In meiner Analyse habe ich ja Themenbereiche unterschieden, und Flüche sind eine der größten vier Gruppen. Es gibt so viele neue Flüche und Fluch-Kombinationen – wenn ich mich richtig erinnere, sind es zwischen 70 und 80 verschiedene, und das von den knapp 1000 romanischen Entlehnungen, die ich gefunden habe.

„Besonders bei Tabu-Themen oder heiklen Geschichten wie dem Fluchen tendieren die meisten dazu, die Nicht-Muttersprache zu wählen, weil dadurch die Bedeutung abgeschwächt wird. Nach dem Motto: Wenn ich gläubig bin, aber auf Italienisch fluche, wird mich der Herrgott schon nicht verstehen.”

Was ist der Grund dafür, dass Südtiroler so gerne auf Italienisch fluchen?
Es gibt ein sprachliches Phänomen, das sich Expressivität nennt: Wenn du die Wahl zwischen zwei Wörtern hast, dann nimmst du das ausdrucksstärkere Wort. Sagen wir, wir sind auf einem Fest und ich rege mich über etwas auf. Da habe ich die Wahl zwischen, sagen wir, Verdammt und Puttana. Dann ist das besonders in einem zweisprachigen Raum viel expressiver, das Fremde zu nehmen. Parallel wirkt das Phänomen des Disguise, also der Tarnung: Besonders bei Tabu-Themen oder heiklen Geschichten wie dem Fluchen tendieren die meisten dazu, die Nicht-Muttersprache zu wählen, weil dadurch die Bedeutung abgeschwächt wird. Nach dem Motto: Wenn ich gläubig bin, aber auf Italienisch fluche, wird mich der Herrgott schon nicht verstehen.

Warum werden überhaupt Wörter aus einer anderen Sprache übernommen?
Menschen haben das Bedürfnis, Konzepte sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Südtiroler könnten genauso gut sagen: „Da kommt ein Polizist“. Das ist aber mehrdeutig, weil man dann nicht weiß: Ist ein Carabiniere, ein Gemeindepolizist oder ein Finanzer gemeint. Wenn ich also sage: „Occio, do kimp dor Karpf“, dann weiß jeder, was Sache ist. Da es in Deutschland keine Carabinieri gibt, brauchen wir in Südtirol einfach ein neues Wort, und da bietet sich natürlich eine Entlehnung an. Dasselbe gilt bei vielen Begriffen aus der Gastronomie wie beispielsweise aperitivo lungo.

Wird in Südtirol deiner Meinung nach genug für unseren Dialekt getan?
Die Universität Bozen und die Eurac beschäftigen sich recht gut mit dem Dialekt, ja. Was mir während meines Studiums aber immer wieder gefehlt hat, ist ein guter Südtiroler Korpus. Ein Korpus ist eine Datenbank, in der Sprachmaterial gesammelt wird. Es gibt zwar bereits einen Korpus Südtirol, der beinhaltet jedoch kein dialektales Material, sondern nur Südtiroler Zeitungsartikel. Das ist ein großes Manko: Interessante Analysen beziehen sich ja besonders auf den gesprochenen Dialekt. Wenn ich beispielsweise nachschauen könnte, wie oft das Wort targa im gesprochenen Südtiroler Dialekt vorkommt, dann könnte ich herausfinden, wie oft Südtiroler auf das romanische Lehnwort zurückgreifen – und ob sich die Häufigkeit mit der Zeit verändert hat. So habe ich aber keinen Vergleich. Im bestehenden Südtirol Korpus ist targa vielleicht zwei Mal vorgekommen, logisch: Wenn Südtiroler einen Text schreiben, benutzen sie auch das Wort Kenntafel oder Kennzeichen und nicht targa.

„Den Leuten gefällt unser Dialekt und sie wollen, dass er nicht verschwindet.”

Inwiefern wäre ein solcher Korpus für Südtirol interessant?
Wegen der heutigen technischen Möglichkeiten ist Korpus-Linguistik ein riesiger Forschungsbereich. Ich war dieses Jahr in Burmingham auf einer Korpus-Linguistik-Konferenz und habe mir da ein paar Vorträge angehört: In Wales wird momentan ein Welsh-Korpus angelegt und in Irland ein Gälisch-Korpus. Mich hat dabei fasziniert, wie oft betont worden ist, wie wichtig eine solche Datenbank gerade für eine Minderheitensprache ist. Und mich hat fasziniert zu sehen, dass in anderen Regionen dafür auch Ressourcen bereitgestellt werden. Denn es ist ja klar: Erst, wenn man eine Aufnahme des Ist-Zustandes des Dialektes hat, kann man überhaupt sagen: Moment, wir haben sehr viele Italianismen drin, wir müssen auf unseren Dialekt aufpassen. Aber wir können ja keine Aussagen darüber treffen, weil wir de facto nicht wissen, wie sich der Dialekt in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Die rechten Parteien in Südtirol reden davon, dass die Sprache geschützt werden muss, aber eigentlich kann niemand sagen, wie viel Mischsprache es schon gibt – und ob es mehr oder weniger wird. Natürlich ist es eine Herausforderung, eine Datenbank mit gesprochener Sprache zu erstellen, aber es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die vom Welsch-Korpus machen das mithilfe einer Crowd-Sourcing-App, wo Sprecher mithilfe der App einfach Texte einsprechen können oder auch selbstständig Unterhaltungen aufnehmen können. Das würde in Südtirol meiner Meinung nach auch funktionieren: Den Leuten gefällt unser Dialekt und sie wollen, dass er nicht verschwindet. Es würde schon funktionieren – es müssten nur die finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden. Sprachwissenschaftler, die sich gerne darum kümmern würden, gibt es bestimmt genug.

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