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Mit einem leicht krächzenden Unterton gleitet die Stimme des neapolitanischen Tenors Enrico Caruso durch das gedimmte Licht eines Proberaums in der Bozner Romstraße. Es sind die Noten von „E lucevan le stelle“, einer Arie aus Puccinis „Tosca“. Die Musik kommt nicht aus einer Stereoanlage, sondern von einem sogenannten Phonographen, der einen kleinen Zylinder aus Vinyl zum Singen bringt.
Der Apparat erinnert an ein Grammophon. Er wurde vor 140 Jahren von Thomas Edison entwickelt und gilt heute als Erfindung der modernen Tonaufnahme. Rund 25 dieser seltenen Geräte nennt der Bozner Francesco Gigliotti – knielange Dreadlocks und ein warmherziges Gesicht – sein Eigen. Seiner italienweit einzigartigen Sammlung widmete die Bozner Stadtgalerie im August 2017 sogar die Ausstellung „Archeophonica“, die im Sommer 2018 mit neuen Inhalten in St. Ulrich zu sehen sein wird.
Wer seine Wochenenden früher noch im Ku.Bo in Bozen verbracht hat, wird Francesco vermutlich als Saxophonist der Ska-Band „Club 99“ kennen. Seitdem sind viele Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hat der ausgebildete Musikpädagoge während einer sechsmonatigen Indienreise noch ein weiteres Instrument erlernt: die Sitar. Nach seiner Rückkehr aus Indien schrieb sich Francesco dann am Konservatorium in Vicenza ein, wo er indische Musik studierte. Heute liebt er es, mit verschiedenen Instrumenten und Klanginstallationen zu experimentieren, ohne sich dabei auf ein bestimmtes Genre festzulegen.
Bereitwillig zeigt er seine Musiksammlung, die Besucher erst nach einem Parcours durch gestapelte Kisten, Blasinstrumente, Bücher und Verstärker hindurch erreichen. In einem zur Bibliothek umfunktionierten Bereich seines Proberaums zieht Francesco Platten aller Art aus den bis zum Bersten gefüllten Regalen: Tibetanische Musik, Beethoven und Sitar stehen hier neben Bergen von Büchern über fernöstliche Philosophie oder Theologie.
Der Gastgeber erzählt von seinen Reisen durch Süd- und Mittelamerika, seinen Recherchen zur Ausstellung, von den Tempeln der Maya und den Linien von Nazca. Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Zurück im sauerstoffreicheren Teil des Proberaums schraubt er mit geflissentlichen Handgriffen an seinen Phonographen und zaubert unzählige bunte Pappbehälter im Vintage-Stil aus einem Koffer. Es sind die Hüllen seiner Wachs- und Vinylzylinder, die er stolz präsentiert.
Bei seinen Reisen in den südamerikanischen Dschungel faszinierten Francesco die archäologischen Stätten der Kulturen vor den Inkas und die wenigen materiellen Zeugnisse, die sie hinterlassen haben. Genauso ging es ihm mit den Phonographen. Er entdeckte diese seltsamen Geräte, als er auf der Suche nach dem Ursprung der Töne und deren Reproduzierbarkeit war. Francesco sucht nach der Essenz der Dinge und will seine Erkenntnisse mit anderen teilen, „etwas zurückgeben“, wie er sagt. Deshalb arbeitet er auch mit geistig oder körperlich beeinträchtigten Personen, ist Mitbegründer des Kulturvereins „Uscita/Ausweg“ und tourt mit dem experimentellen Projekt „Musicalbus“ durchs Land.
Etwas zurückgeben möchte er auch den Bewohnern Südtirols und den sprachlichen Minderheiten im Land. Bei seinen Recherchen zur Ausstellung „Archeophonica“ hatte er im Wiener Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die ersten Tonaufnahmen des Südtiroler Dialekts entdeckt und sie öffentlich gemacht. Sie stammen vom Tiroler Linguisten Josef Schatz, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem tragbaren Phonographen durch Südtirol gereist war. Diese Entdeckung hat einen wahren Stein ins Rollen gebracht, denn auch in Wien wird nun stärker zu diesem Thema geforscht.
Francesco ist schon mit der Vorbereitung der nächsten Ausstellung beschäftigt. Im Sommer wird er den Besuchern seiner Ausstellung in St. Ulrich die weltweit ersten Tonaufnahmen des Ladinischen präsentieren. Plötzlich senkt er seine Stimme. Fast ehrfürchtig spricht er von seinem eigentlichen, großen Traum: ein phonographisches Museum in seiner Heimatstadt Bozen. Er sagt: „Ich freue mich unglaublich über all das hier. Es ist meine Art, den Menschen etwas zu hinterlassen.“
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