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Veröffentlicht
am 10.08.2017
LeuteStraßenzeitung zebra.

Nicht für die Katz

Veröffentlicht
am 10.08.2017
Antonia Rieder und Sepp Kuen sind Idealisten. In Obervintl betreiben sie ein privates Tierheim, 365 Tage im Jahr arbeiten sie hier zum Wohl der Hunde und Katzen.
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Wären sie Hündin Laika nicht begegnet, würden sie heute kaum an 365 Tagen im Jahr arbeiten. Und auf ihrem Grundstück stünde womöglich ein Mehrfamilienhaus. Aber Laika kam und alles anders: Seit 2005 führen Antonia Rieder und Sepp Kuen in Obervintl ein privates Tierheim.

Anfang Juni herrscht Hochbetrieb. Unzählige Katzenkinder kommen zur Welt und immer wieder landet ein Wurf – oft verwaist und kränklich, manchmal samt Katzenmutter – im Tierheim. Unentwegt klingelt das Telefon: Eine Frau hat wilde Kätzchen gefunden und sucht Rat, ein junger Mann erkundigt sich nach einem neuen Familienmitglied auf vier Pfoten. Dann gibt der 62-Jährige mit den kurzen grauen Haaren und dem sanften Blick geduldig Auskunft. Das Tierheim ist südtirolweit mit Tierschutzvereinen und engagierten Privaten gut vernetzt. Ist irgendwo ein Tier in Not, organisiert man sich so gut es geht. Neben dem Landestierheim in der Sill gibt es in Südtirol nur noch ein weiteres privat geführtes Tierheim.

„Man kann ein Tier nicht einfach so mitnehmen wie eine Kiste Bier!“

„Viele und in allen Farben! Kommt und schaut euch um!“, sagt Sepp in den Hörer und legt auf. Nachmittags ist das Tierheim für Besucher*innen geöffnet. Bevor jemand einen Hund oder eine Katze abholt, wollen Sepp und Antonia die Person kennenlernen. Sie solle sich erst mit dem Tier anfreunden, es sei wichtig sich gegenseitig zu „beschnuppern“. Die Harmonie müsse stimmen, erklärt Sepp: „Man kann ein Tier nicht einfach so mitnehmen wie eine Kiste Bier!“

Das Büro im Katzenhaus.

Die Hunde Ocki, Bobby und Chucky, jeweils mit weiß, grau und schwarz gelocktem Fell, gehören zur Familie. Sie bewegen sich frei auf dem Gelände und folgen Sepp jetzt bis vor die Glastür zum Katzenhaus. Antonia hantiert dort gerade mit dem Staubsauger in einem der „Katzenzimmer“. Im Zentrum des achteckigen Gebäudes steht ein Schreibtisch. Einen eigenen Raum für das Büro wollte das Paar nicht opfern, der Platz ist knapp. Im Winter ist es bei den Tieren dank Wandheizung schön warm und wer am Schreibtisch sitzt, kann durch die Glasfenster in jedes Katzenzimmer blicken. Jetzt im Sommer liegen deren Bewohner*innen draußen auf den von Reben überwucherten Balkonen, die ein schattiges Plätzchen bieten. „Wenn Sepp es nicht auch gewollt hätte, wäre das nicht gegangen“, sagt Antonia, während sie vor dem Haus eine Decke ausschüttelt. Schon als Kind bedeuteten die Tiere viel für die 61-jährige Pfalznerin. Als sie Sepp kennenlernte, traten mit ihr auch die Tiere in sein Leben. Vom Ruhestand merkt der Pusterer heute kaum etwas: „Eigentlich haben wir uns mit dem Heim jede Menge Arbeit gekauft.“ Aber das haben sie schon vorher gewusst. Nachdenklich blickt Sepp über das Gelände: das Katzenhaus, die beiden Hundehäuser mit Auslauf, in der Mitte ein Häuschen mit Quarantänestation und Lager, dahinter das Wohnhaus mit Garten.

Bei Bedarf finden im Heim bis zu 60 Tiere Unterschlupf, einige hundert gehen pro Jahr hier ein und aus. Sepp blinzelt in der Vormittagssonne und lächelt, wenn er von der Anfangszeit erzählt: Bereits in den 80er-Jahren hat das Paar in seinem Wohnhaus verwaiste und verletzte Tiere gepflegt und vermittelt. Die Käfige und Boxen nahmen irgendwann einen beachtlichen Teil ihres Wohnbereiches in Anspruch. Wurde irgendwo ein Tier gesichtet, verständigte man Antonia. Und so trat eines Tages auch Hündin Laika in ihr Leben: Vor etwa 18 Jahren irrte die herrenlose Hündin zwischen den Höfen und in den Wäldern oberhalb von Vintl umher. Antonia erfuhr davon und gewann mit viel Geduld das Vertrauen des trächtigen Tieres. Kurzerhand richteten Sepp und Antonia in ihrem Garten einen Zwinger für die Hundefamilie ein. Mit Laikas Welpen wurde auch eine Idee geboren: Auf dem Grundstück vor dem Haus der Kuens sollte ein Tierheim entstehen. „Spinner“ habe man sie im Tal genannt. „Welcher normale Mensch investiert sein Vermögen in so etwas?“, fragt Sepp. Die beiden lachen.

Sie wissen: Ein Tierheim ist eher ein Defizitgeschäft. Ohne die Mitarbeit von Verwandten, Freunden und Freiwilligen müssten sie das Heim zusperren. Die finanziellen Beiträge des Landes Südtirol reichen bei weitem nicht, aufwändig sind die Ansuchen und zahlreich die bürokratischen Auflagen. „Wir sind Idealisten!“, sagt Sepp. Und damit sind sie nicht allein: Durch Spenden und Beiträge seiner Mitglieder kommt das Tierheim irgendwie über die Runden. Sepp und Antonia arbeiten dafür fast rund um die Uhr. Die Arbeitsstunden zählen sie nicht: Ihr Tag beginnt um sechs Uhr morgens, die Arbeitswoche hat meist sieben Tage. Zeit für Hobbys und gemeinsame Unternehmungen bleibt kaum: Im Sommer ist das Paar gerne in der Natur unterwegs, da begleitet sie stets einer ihrer Hunde. Auch die Heimhunde wollen regelmäßig spazieren gehen.

Auf dem Weg zum Hundehaus fischt Sepp ein paar Leckerlis aus seiner Hosentasche. Hinter den Gitterstäben springt und bellt Mischlingsrüde Monkey vor Freude. „Das ist ein feiner Kerl“, sagt Sepp und begrüßt den pummeligen Vierbeiner. Sein verstorbenes Frauchen habe es etwas zu gut mit ihm gemeint – daher die Problemzonen. Im Vorbeigehen nennt Sepp jedes Tier beim Namen: Jagdhund Max war seinen Besitzern zu lebendig, der kleine Idefix ist ein Scheidungskind, der großgewachsene Chicco schwer vermittelbar. Stafford-Mischling Billy landete hier, weil seine Besitzer ständig umgezogen sind. Die Leute unterschätzen den Aufwand und die Arbeit, die mit der artgerechten Haltung eines Hundes einhergehen, bedauert Sepp. Hoffnung setzt er in die jüngere Generation. Die hätte heute mehr Respekt vor der Umwelt und den Tieren als ihre Eltern und Großeltern. Jene seien oft der Ansicht, dass ein Tier, das nichts einbringt, keinen Wert habe. Dabei erfahren Sepp und Antonia immer wieder das Gegenteil: Es kamen schon Menschen zu ihnen ins Tierheim, denen der Arzt einen Hund „verschrieben“ hatte. Ein Tier kann einen Menschen, etwa nach seiner Pensionierung, zu einem geregelten Tagesablauf anregen, hilft Kontakte zu knüpfen und hält fit. Das zeige sich auch an den Tierheimbesucher*innen, die sich regelmäßig einen Hund zum Spazierengehen ausborgen.

„Es erstaunt uns immer wieder, was ein Tier bewirken kann!“, erklärt Sepp. Umso mehr schmerzt es ihn, wenn er misshandelten, ausgesetzten oder verwahrlosten Tieren begegnet. Terrier-Mischling Ocki war als junger Hund ständig auf einem Balkon ausgesperrt. Als er im Heim ankam, musste der verdreckte Rüde erst einmal aus seinem verfilzten Fell geschnitten werden. Mit Menschen, die keine Tiere mögen, hat Sepp kein Problem, „nur sollen sie bitte auch keine halten und sie schlecht behandeln!“. Denn gerade diese würden dann wieder im Tierheim landen. Eigentlich sei es eine Schande, dass es den Tierschutz überhaupt geben müsse, sagt er. Aber so sei es nun mal, und immerhin seien auch Menschen da, die sich für die gute Sache einsetzen. Etwas zu tun, von dem man überzeugt ist, etwas Gutes zu bewegen – das sei das wichtigste im Leben. „Denn das kann schnell vorbei sein“, weiß Sepp. Als im vergangenen Jahr ihr einziger Sohn Alexander bei einem Lawinenunglück ums Leben kam, traf es die Familie schwer. Auch das Tierheim verlor mit ihrem Sohn eine tragende Säule. Dennoch: Sepp und Antonia machen weiter – für die Tiere und für ihren Idealismus. „Das letzte Hemd hat keine Taschen!“, sagt der ruhige Mann bedächtig und schlendert zurück zum Katzenhaus. Dort hat Antonia erneut den Staubsauger angeschmissen. Vor dem Haus räkelt sich Haushund Bobby in der Sonne und trabt seinem Herrchen entgegen. Der tätschelt dem Pudel, der einst ein unüberlegtes Geschenk an eine Frau war, kurz den Kopf und krempelt seine Hemdsärmel hoch: Es gibt noch viel zu tun an diesem Vormittag im Tierheim von Obervintl.

von Lisa Frei

Der Text erschien erstmals in der 29. Ausgabe von „zebra.”, Juli/August 2017.

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