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Einen Paraglide-Schirm, ein Board, Schnee unter den Füßen und etwas guten Wind: Schon fliegt Patrick Andergassen aus Kaltern seinen Titeln entgegen. In den letzten Monaten hat er den ersten Platz bei der Italienmeisterschaft, den zweiten bei der Europameisterschaft und den vierten bei der Weltmeisterschaft abgeräumt. „A richtig cools Gefühl“, grinst er stolz, als er von den Siegen erzählt. Sein Ziel hat er damit aber noch lange nicht erreicht.
Als Laie stellt man sich das Kiten am besten wie das Paragliden vor. Der Lenkdrachen, sogenannter Kite, bietet jedoch viel mehr Varianten: Da wäre einmal das Kitesurfen im Wasser, dann das Snowkiten auf Schnee mit Skiern oder Snowboard und das Landkiten mit einem Untersatz auf Rollen. Neuerdings gehört auch das Kiten über den Berg dazu. Teils fliegend, teils gleitend, düsen die Franzosen seit einiger Zeit in Höchstgeschwindigkeit 200 Meter den Berg runter. In der Welt der Kiter sind Grenzen also noch ein Fremdwort.
Patricks Lieblings-Kite-Variante ist und bleibt jedoch das Snowkiten. „Ich fühle mich auf dem Schnee pudelwohl, auch wenn das Fallen auf dem Wasser weniger weh tut“, erzählt er von seinem Traumsport und kommt vom Schwärmen gar nicht mehr los. „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Man gleitet über den Schnee, wird vom Wind getrieben und hat die Sonne im Gesicht. Mehr Verbundenheit mit der Natur geht fast nicht.“ Außerdem komme man im Gegensatz zum Surfen gleich ins Gleiten und könne auf Höchstgeschwindigkeiten beschleunigen. Das sind beim Race, der Disziplin, in der es um Schnelligkeit geht, bis zu 130 km/h und in Patricks Disziplin, dem Freestyle, bis zu 40 km/h. Freestyle bedeutet, dass Patrick mit seinem Kite über sogenannte Kicker fährt und der Jury verschiedenste Tricks vorführt, die er das ganze Jahr über trainiert. In einem Wettbewerb, so zum Beispiel bei den snowkite masters, der Weltmeisterschaft im Snowkite, zählt dann die Schwierigkeit dieser Tricks. In etwa so wie beim Eiskunstlauf oder dem Turmspringen bekommt auch Patrick Punkte. Bei der Italienmeisterschaft hatte er knappe sieben Minuten, um auf einem Feld zusammen mit seinen Konkurrenten, sein Bestes zu geben und die Jury von seinen Tricks zu überzeugen. Im K.-o.-System hat er so einen nach dem anderen aus dem Rennen gekitet. „Auch Mädels geben sich mit ihren Kites auf dem Schnee die Ehre. Sowohl bei den Italienmeisterschaften als auch bei den snowkite masters waren welche dabei“, erzählt Patrick.
Seit mittlerweile sechs Jahren dreht sich beim 23-jährigen Kalterer alles ums Kiten. Angefangen hat die Leidenschaft fürs „Bretteln“, als er eines Tages einem Kiter am Kalterersee zugesehen hat. „Das will ich auch lernen“, dachte sich Patrick und flog einige Tage darauf bereits mit einem Brett unter den Füßen über die Wellen des Gardasees. Noch nie vorher stand er auf einem Brett. Weder beim Kiten noch beim Skaten oder Snowboarden. „Vom Boarden hatte ich keine Ahnung, als ich mit dem Kiten begann“, schmunzelt Patrick. Doch auch ohne Vorkenntnisse ließ er sich nach einigen Versuchen bereits gekonnt übers Wasser treiben. „Wie man an mir sieht, kann es wirklich jeder lernen, wenn er es nur will.“ Nach diesem Erfolgserlebnis war es um ihn geschehen. Er, das Brett und der Schirm: eine Liebe, die keiner so schnell trennen wird. Am größten See Italiens verweilt Patrick jedoch nicht mehr oft. Viel zu kommerziell sei ihm die Kitergemeinschaft der östlichen Seeseite entlang. Ohne Geld für Parkplatz, Ausrüstung und Seebenutzung komme man hier nicht zu seinem Spaß.
Mittlerweile entscheiden sich immer mehr Luft- und Landliebhaber für das Kiten. Die vielfache Verwendung des Kites bietet den Outdoor-Freaks einfach ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Doch wer leidenschaftlicher Kiter sein will, der muss tief in die Tasche greifen. Für jede Wetterbedingung braucht Patrick einen eigenen Kiteschirm. Je mehr Wind, desto kleiner der Schirm. Der Abnutzung wegen muss er die ganze Palette nach jeder Saison erneuern. Dazu kommt noch das jeweilige Board und für das Kiten im Wasser je nach Temperatur der passende Neoprenanzug. „Sponsoren sind im Kitermilieu noch eine Seltenheit. Da muss man schon zu den weltbesten Dreien gehören, um einen Vertrag zu ergattern“, erklärt Patrick. Für jeden Sponsorenvertrag müsse er hart kämpfen. Dazu kommen noch die vielen Reisen. Getreu dem Motto: Dem Wind hinterher.
Die schönsten Kite-Spots haben die Franzosen, erzählt man sich. Unter strahlender Sonne gleiten dort Kiter aus aller Welt über das spiegelglatte Meer, heben ab und kreiseln ihr Brett in atemberaubenden Höhen. So ist auch Patrick schon über französisches Wasser gegleitet. Und über ägyptisches, kalabresisches, sizilianisches und toskanisches. Sein persönlicher Lieblings-Kite-Spot bleibt jedoch der Stiefel im Süden Europas: „Italien ist einfach unersetzlich“, so der Kalterer. Auch wenn einer seiner großen Träume ein Kite-Urlaub in Norwegen bleibt.
Fast 350 von 365 Tagen verbringt er derzeit im Südtiroler Kite-Eldorado am Reschensee. Der See im oberen Vinschgau ist im Winter immer zugefroren und schneebedeckt. Die riesige, ebene Fläche und die Föhnwinde bieten ideale Bedingungen, um zu trainieren und Wettbewerbe auszutragen. Schon von der Dorfstraße aus sind die bunten Drachensegel in den Lüften zu sehen. „Oft fühlen wir uns wie Stars, weil die Leute am Straßenrand stehenbleiben und Staus verursachen, um uns zu fotografieren“, so Patrick. Ob Sommer oder Winter sei ihm egal, er liebe den See. „Ich habe am Reschen Freunde aus ganz Europa gefunden. Wir sind wie eine große Familie“, erzählt er. Seine von der Sonne leicht verbrannte Haut und seine erschöpften, roten Augen sind Zeugen eines weiteren Tages am Reschensee.
Gerade befindet er sich im Winterkite-Modus. An seinen Füßen ein Snowboard, in seiner Hand ein Haken, der ihn an den Schirm hängt, an seiner Hüfte, ein Trapez. Ein Gurtsystem mit Haken, das es ihm erlaubt, etwas von seinem Körpergewicht dem Wind abzugeben. Doch der Frühling naht. In spätestens vier Wochen steigt Patrick wieder aufs Wasser um.
Als er mit 17 Jahren mit dem Kiten begann, hätte er niemals gewagt, von so vielen Titeln zu träumen. Doch mit viel hartem Training und eiserner Disziplin hat es der Akrobat der Lüfte geschafft. Wie Mary Poppins ist er mit seinem Schirm die Treppchen hochgeflogen. „Nächstes Ziel: der Weltmeistertitel 2015“, träumt Patrick vor sich hin.
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