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Der Faire Handel ist das Thema in Rudi Dalvais Leben. Der Mann mit dem langen, grauen Haar, der gerne kocht und noch lieber reist, hat 1985 den ersten Weltladen in Bozen eröffnet und hat bei der Gründung der ersten italienischen Importorganisation von Fair-Trade-Produkten mitgewirkt. Außerdem berät er das Land Südtirol zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit und ist der Präsident der Word Fair Trade Organization.
Beim Interview bestellt sich Dalvai einen Grüntee. Wir versenken synchron die Teebeutel im heißen Wasser und fangen an, in Reise-Erinnerungen zu schwelgen.
Rudi, deine erste Reise ist nach Indien gegangen.
Ja genau. Zu der Zeit hat mir gerade ein Freund das feine Leben beim Wirtschaftsstudium in Innsbruck schmackhaft gemacht. Also war ich bald Wirtschaftsstudent als Quereinsteiger und habe auf Anhieb alle Prüfungen probiert und fast alle auch bestanden. In den ersten beiden Semestern war ich also schon relativ weit voraus und habe daraufhin beschlossen, ein Semester frei zu nehmen und mit einem Freund nach Indien zu fahren. Im VW-Bus. (grinst)
Im VW-Bus nach Indien?
Ja, ich hatte noch so einen schönen, alten, bei dem die Scheibe in der Mitte geteilt war. Wir haben Reservereifen und etwas Gepäck eingeladen und sind los. Das Visum haben wir dabei total vergessen. Weder in Istanbul noch in Damaskus oder in Amman in Jordanien hat man uns ein Visum ausgestellt. Also wollten wir über Nordafrika wieder zurück nach Hause, doch die Fähre hat 2 Millionen Lire gekostet – zu viel. Also sind wir wieder zurück, mein Freund hat das Auto nach Hause gebracht und ich bin mit dem Zug nach Athen und dann mit dem Flugzeug nach Delhi. Zu der Zeit wusste ich nicht einmal, dass das die Hauptstadt Indiens ist. (lacht)
Hast du dort schließlich die Eindrücke gesammelt, die dich 1985 dazu bewogen haben, zusammen mit deinem Bruder Hansi, den ersten Weltladen in Bozen zu eröffnen?
Nein. Ich kannte den Weltladen damals von Innsbruck, wo ich immer meinen Kaffee und Honig gekauft habe. Dann dachte ich mir: Das ist eigentlich etwas Tolles. Machen wir doch auch einen Weltladen in Bozen auf. Diese Idee ist dann so drei, vier Jahre umhergeschwirrt. Schließlich haben wir das passende Lokal gefunden. Weil ich keine Ahnung hatte, wo man die Waren einkauft, habe ich im Weltladenkalender nach Adressen von anderen Läden gesucht und an die 100 Briefe an diese gesendet und gefragt, wo man die Ware für einen solchen Laden herkriegt. Bald darauf waren wir mit dem Auto schon im Wuppertal, wo wir mit sechs Millionen Lire, die wir von Leuten geliehen hatten, Ware eingekauft haben. Damals von Deutschland zu importieren, war dasselbe wie aus Kenia zu importieren. Wir sind also mit der Ware zum Zoll gekommen, wo wir für jede Zollnummer ein eigenes Dokument gebraucht hätten, das wir aber nicht hatten. Drei Tage vor der Eröffnung! Schließlich hatten die Mitleid mit uns und haben die Ware am Freitagnachmittag noch freigegeben. Freitagabend haben wir die Regale in Bozen schließlich eingeräumt und Samstagvormittag haben wir eröffnet. Damals habe ich vom Fairen Handel ehrlich gesagt aber noch nicht viel gewusst. Ich kannte zwar die Produkte, aber was dahinter steckt, war mir unbekannt.
Nach der Eröffnung hast du dich aber informiert, oder?
(lacht) Ja, mittlerweile kann ich glaub ich jedem erzählen, was der Faire Handel ist.
Ist das Prinzip des Fairen Handels seit damals gleich geblieben?
Genau, die Stichworte sind immer dieselben geblieben: Kontakte mit den Produzenten, langfristige Zusammenarbeit, technische Unterstützung. Dazu kommt, dass es keine Kinderarbeit, dafür aber faire Preise gibt und Umweltschutz, Gesundheit am Arbeitsplatz und Sicherheit großgeschrieben werden. Was bei uns so selbstverständlich klingt, ist es bei unseren Partnern nicht von vornherein. Unsere Standards werden daher immer und immer wieder kontrolliert.
Verhandelt ihr eigentlich direkt mit den Bauern oder Handwerkern?
Nein, es braucht immer Import-Organisationen. Anfangs haben wir aus Österreich und Deutschland importiert, weil es bei uns keine Organisation dafür gab.
1986 reiste Rudi Dalvai nach Bangladesch. Dort hat er Juteproduzenten-Organisationen besucht und Ware eingekauft. Dieses Erlebnis und die Erzählungen vor Ort von einem italienischen Pater waren ausschlaggebend dafür, das Rudi beschlossen hat, weiterhin und bis heute im Fairen Handel zu arbeiten. So hat er bei der Firma, in der er damals arbeitete, gekündigt und ist nach Österreich gegangen, wo er angefangen hat, für die EZA zu arbeiten. Danach hat er mit zwei Freunden selbst eine Importorganisation, die CTM Altromercato, gegründet.
Die Importorganisation CTM Altromercato war die erste Italiens, der Weltladen in Bozen der zweite in Südtirol. Mittlerweile zählt Italien 400 Weltläden. Wie hat sich die Situation seit damals verändert?
Sehr. Als wir unseren Laden eröffnet haben, kannte noch keiner das traditionelle Handwerk aus Peru oder Indien, in den 90er-Jahren ist der Markt dann überschwemmt worden davon. Sicherlich hat sich auch das Bewusstsein der Leute verändert. Früher war der Weltladen für Insider und mittlerweile hat fast jeder Supermarkt in Italien Fair-Trade-Regale. Doch nicht nur der Bekanntheitsgrad, sondern auch das Image ist gestiegen. Heute geht man nicht mehr nur in den Weltladen, um die armen Leute zu unterstützen, sondern auch, um Produkte von hoher Qualität zu kaufen. Früher haben wir alles so verkauft, wie es angekommen ist. Von außen wurde nichts kontrolliert, weil es einfach eine Vertrauensbasis gab. Heute wird alles kontrolliert und es gibt Kontroll- und Zertifizierungssysteme, die ich zusammen mit dem globalen Dachverband entwickelt habe.
„Transparenz auf allen Ebenen ist das erste Kriterium des Fairen Handels.“
Kontrolliert ihr also auch die Firmen vor Ort?
Natürlich. Wir fahren selbst in die Länder und arbeiten dabei auf drei verschiedenen Ebenen: Einmal gibt es die Selbsterklärung eines jeden Mitgliedes, dann die gegenseitige Kontrolle und am Ende kontrollieren noch Externe, die schauen, ob die Selbsterklärungen auch gültig sind. Das System ist mittlerweile wirklich gut durchstrukturiert. So werden auch kleine und große Tragödien vermieden, wie beispielsweise das Rana Plaza, das vor zwei Jahren mit 3.000 Arbeiterinnen eingestürzt ist und 1.300 Frauen das Leben gekostet hat. Bei diesen Firmen geht es um jeden Cent, die investieren, um Gewinne zu machen. Wir investieren hingegen in die Bewusstseinsbildung.
Aber eigentlich ist „alternativ” mittlerweile doch schon cool, da muss man doch nicht mehr viel bilden.
Das lass ich die jungen Leute entscheiden, ich bin froh, wenn es so ist. (lacht) Die Frage, die sich mir eher stellt, ist: Ist Fair Trade alternativ?
Vielleicht sollte man den Fairen Handel nicht nur international, sondern auch national mehr stärken, um ihn zum Standard zu machen.
Das ist das, was wir gerade machen. Vor fünf Jahren haben wir mit solidale italiano angefangen. Der italienische Staat hat viel investiert, um in den Gefängnissen kleine Produktionsstätten wie Bäckereien einzurichten. Sozialgenossenschaften von außerhalb, beispielsweise Landwirtschaftsbetriebe, arbeiten mit den Gefangenen zusammen und produzieren beispielsweise Wein oder Kekse. Das unterstützen wir. Auch die legale Landwirtschaft wollen wir in Zukunft mehr fördern. Vor allem in Süditalien, Kalabrien und Apulien, wo Leute für zwölf Euro am Tag arbeiten. Der Bauer kann ihnen nicht mehr bezahlen, weil er nur 9 Cent für ein Kilogramm Orangen kriegt. Deshalb verkaufen wir nun auch Orangen, Olivenöl, Tomatenpaste und Pasta direkt aus Italien zu einem fairen Preis. Dasselbe gilt aber auch für einen Bergbauer hier bei uns, der mit einem holländischen Bauer konkurrieren muss. Der lebt im Flachland und hat Kühe, die 30 bis 40 Liter Milch am Tag geben. Da könnte der Südtiroler gleich einpacken.
Wollt ihr also auch den nationalen Fairen Handel in Zukunft regeln?
Nein keine Regeln, eher Richtlinien, die wir gerade mit dem globalen Dachverband ausarbeiten. Je mehr Regeln es gibt, desto komplizierter werden die Sachen. Weiterbildung und Bewusstseinsbildung sind wichtiger. Wenn jemand die Regeln nur einhält, weil sie da sind, aber nicht versteht, was dahinter steckt, bringt es auf die Dauer nicht viel. Vor allem bringt es keine Veränderung und der Faire Handel soll ja auch verändern.
„Man sagt mir nach, dass ich nicht allzu viel schlafe und oft da schlafe, wo ich eigentlich nicht schlafen sollte. Also in Versammlungen und so.“
Du bist seit 2011 auch der Präsident der World fair Trade Organization, der ganze 75 Länder und über 300 Mitglieder angehören. Wie schafft man es, Kopf von so einer Organisation zu sein?
Viel Erfahrung und Geduld. Kongresse, Generalversammlungen und Messen zu koordinieren und zu schauen, dass alles in Gang bleibt, heißt die richtigen Leute um sich zu scheren, diese zusammenzuhalten und zu motivieren. So konnten wir auch das Kontrollsystem entwickeln und Schulden, die die Organisation hatte, in den letzten vier Jahren wieder abbauen.
Letzte Frage, Rudi. Glaubst du denn an eine gerechte Welt?
Ja. Aber es gibt nicht eine gerechte Welt, sondern gerechte Menschen. Der Mensch kann sich verändern, jeder für sich selbst. Weiterbildung, Schule, Umfeld und Familie sind da wichtige Faktoren. Und ich glaube, dass auch wir als Fairer Handel dazu beitragen, dass die Leute kritischer überlegen und der Konsum nicht nur blind verläuft.
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