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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 23.03.2017
LeuteMehrsprachigkeit in Südtirols Schulen

Mehr Sprachen, mehr Chancen?

Veröffentlicht
am 23.03.2017
Südtirols Klassenzimmer werden in Sachen Sprache immer bunter. Linguistin Andrea Abel findet das Konzept der einsprachigen Schule deshalb überholt. Ein Umdenken ist gefragt.
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In den Klassenzimmern hierzulande werden immer mehr Sprachen gesprochen und auch unterrichtet. Oft werden jedoch nur die Herausforderungen dieser Vielsprachigkeit gesehen und Chancen außen vor gelassen. Bei einer Tagung wollte die EURAC über 100 Lehrkräfte nun besser zum Thema Mehrsprachigkeit in der Schule informieren und in verschiedenen Workshops praktische Beispiele für den Schulalltag präsentieren. Die Linguistin und Koorganisatorin der Tagung, Andrea Abel, ist sich sicher: „Es geht hier um einen Wertewandel. Eine Entscheidung für Mehrsprachigkeit ist in meinen Augen eine Werteentscheidung.“

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Es sind immer mehr Sprachen in den Klassen vorhanden. Das ist der Wahnsinn, aber gleichzeitig auch eine enorme Ressource, die häufig leider brachliegt.

Weil sich die Lehrkräfte nicht dafür interessieren?
Wenn bestimmte Lehrer sich ihrer Stammrolle sicher sind, sind sie oft weniger motiviert darauf einzugehen, als Lehrer die neu im Beruf sind. Auf neue Situationen mit vielen verschiedenen Sprachen zu reagieren, ist schließlich auch eine Herausforderung.
Heutzutage braucht man einfach andere Kompetenzen als früher, weil die Situation komplexer ist. Diese muss man bereits in der Lehrerausbildung integrieren. Neben Projekten, Fortbildungen und Tagungen können sich Lehrer dafür auch Hilfe in den Sprachenzentren holen.

Ist Mehrsprachigkeit unter Lehrern also nicht so gut angesehen?
Durch den Nationalstaat hat der Großteil der Gesellschaft ein einsprachiges Selbstverständnis, das auf die Bildungsinstitutionen übergeht. Man hat immer Erwartungen, die von der Gesellschaft ausgehen, und mehrsprachige Kinder erfüllen diese Normalitätserwartungen nicht so wie einsprachige. Die Frage, die nun bleibt: Ist es für mehrsprachige Kinder gerecht, wenn die Bezugsnorm eine einsprachige ist?

Ist es das denn?
Natürlich ist es nicht gerecht, aber man muss trotzdem schauen, dass alle Schüler dem Unterricht gut folgen können und gefördert werden. Man muss also auf die jeweiligen individuellen Kompetenzen eingehen.

Ist das in einer Klasse mit 30 Schülern, von denen über die Hälfte eine andere Muttersprache als die deutsche hat, überhaupt noch möglich?
Im Grunde genommen sind seit jeher ja alle Klassen mehrsprachig. Bereits wer einen Dialekt und die Hochsprache spricht, ist mehrsprachig. Heutzutage kommen jedoch bis zu 20 und mehr Sprachen in einer Klasse vor, das ist wie gesagt eine Herausforderung, die neuer Kompetenzen bedarf. Wir müssen das als einen Prozess sehen, in dem man sowohl in der Lehrerausbildung als auch in der Forschung erst weiterkommen muss, um zu schauen, wie Mehrsprachigkeit am besten gefördert werden kann.

Kennen Sie hierfür bereits Methoden?
Es gibt verschiedenste Ansätze in der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Das sind sprachenübergreifende und sprachsensible Unterrichtsmethoden. Es ist ja nicht so, dass jede Sprache getrennt voneinander gelernt wird. Man kann zum Beispiel Dinge, die man in einer Sprache bereits gelernt hat, ganz einfach auf eine andere Sprache übertragen. Außerdem kann man andere Sprachen in den Unterricht mit einbringen und mit diesen experimentieren. So kann man zum Beispiel Texte von verschiedenen Sprachen miteinander vergleichen und mit den Schülern, die eine andere Sprache sprechen, analysieren, wie die Mechanismen der Texte in ihren Muttersprachen funktionieren.

Was halten Sie hingegen von Methoden wie CLIL?
Das kann in einigen Fällen auch gut funktionieren. Ich denke aber eher, dass das eine Art Modeströmung ist, die sicherlich Gutes leisten kann, aber leider nicht so etwas wie die Motivation zum Sprachenlernen und die Wertschätzung einer Sprache ersetzt. In erster Linie basiert CLIL auf zwei Sprachen. Wenn die Lehrkräfte gut ausgebildet sind, kann das gut funktionieren. Sicher ist es aber nicht die Methode, die alles perfekt macht.

Ist es wichtig, die Muttersprache zu festigen, bevor man andere Sprachen lernt?
Sicherlich ist es gut, in der Muttersprache gefestigt zu sein. Aber es gibt auch einen bilingualen Erstsprachenerwerb, bei dem man mit zwei Sprachen aufwächst. Wichtig ist Kontinuität und dass es nicht zu Bildungsbrüchen kommt.

„Sprachliche Kompetenzen sind in der Schule oft nicht so viel wert wie andere.“

Sie finden Mehrsprachigkeit an Schulen generell also gut?
Ja, auf jeden Fall. Wenn man zum Beispiel in der Unterrichtssprache Deutsch nicht gleich schnell ist, hat man oft ganz andere Kompetenzen, die man der Mehrsprachigkeit verdankt und die einem weiterhelfen können. Das Problem hier ist nur, dass sprachliche Kompetenzen in der Schule oft nicht so viel Wert sind wie andere.

Welche Vorteile bringt Mehrsprachigkeit mit?
Viele. Vor allem für die kognitive Entwicklung von Kindern. Das wurde bereits in mehreren Studien bewiesen. Kinder, die viele Sprachen können, sind zum Beispiel in Mathematik besser. Mittlerweile hat man sogar herausgefunden, dass Demenz bei Leuten, die mehrsprachig sind, später anfängt. Natürlich muss man aber auch schauen, dass alle Kinder im Unterricht die gleichen Chancen haben, um erfolgreich zu sein.

Welche Probleme gibt es im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit an Schulen?
Es gibt heutzutage oft einen defizitorientierten Blick. Wenn man sich nämlich an der Norm eines Einsprachigen orientiert, ist der Mehrsprachige immer nur so etwas wie ein zwei Mal nicht vollständiger Einsprachiger. Das Auffangen von Kindern mit sehr kleinen Kompetenzen durch Förderkurse ist eine große Herausforderung. Außerdem sind sicherlich die Lehrerfortbildung und das Nicht-Vorhandensein von Ressourcen ein Problem.

Könnte die Politik hier Abhilfe schaffen?
Ja. Sie sollte Mittel und Förderkräfte zur Verfügung stellen, um für eine entsprechende Anzahl an Lehrern und für Förderung zu sorgen.

„Man muss vom einsprachigen Konzept unserer Schule langsam abkommen und umdenken hin zu einer mehrsprachigen Schule.”

Was halten Sie vom Argument so mancher Politiker, dass durch Mehrsprachigkeit die Muttersprache zu kurz kommt?
Hier muss man unterscheiden: Beim Artikel 19 im Autonomiestatut geht es um politische Diskussionen und darum, welche Rechte man bewahren muss. Die Realität ist eine andere. Wir von der EURAC haben 2011 eine Studie zu den Deutsch-Kompetenzen von Südtiroler Schülern kurz vor dem Ende der Oberschule im Vergleich zu Schülern aus Österreich und Deutschland gemacht. Diese hat ergeben, dass die Südtiroler Schüler im Mittelfeld, also ganz „normal” sind. Der mehrsprachige Kontext, in dem sie aufwachsen, hat also absolut keinen Schaden auf sie und ihre Muttersprache genommen. Natürlich muss die Muttersprache immer gefördert werden, aber man muss vom einsprachigen Konzept unserer Schule langsam abkommen und umdenken hin zu einer mehrsprachigen Schule.

Ihre Vision für eine Klasse der Zukunft?
Die bunte, mehrsprachige Schule ist keine Vision, sondern Realität. Wir sollten hier gute Möglichkeiten finden, sodass alle Kinder die möglichst gleichen Chancen haben, an der Gesellschaft teilzuhaben und erfolgreich zu sein, wenn sie die Schule verlassen. In Zukunft werden auch noch mehr Leute aus fremden Ländern bei uns sein, da ist es bestimmt von Nutzen, auch in anderen Bereichen wie der Sanität oder Ämtern viele Sprachen zu können.

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